Entenbootweltbürger und andere Erzählungen aus Südkorea. Park Min-gyu

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Название Entenbootweltbürger und andere Erzählungen aus Südkorea
Автор произведения Park Min-gyu
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783706930123



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      Koreanische Literatur in deutscher Übersetzung, hrsg. v. Andreas Schirmer

      Band 1

      Park Min-gyu

      Entenbootweltbürger

      und andere Erzählungen aus Südkorea

      Aus dem Koreanischen von Andreas Schirmer

      Mit einem Nachwort des Übersetzers

      Praesens Verlag

      © 2020 Praesens Verlag | http://www.praesens.at

      Kaseutera ⓒ PARK Min-gyu

      All rights reserved.

      Original Korean edition published by Munhakdongne Publishing Corp., Paju.

      German translation rights arranged with Munhakdongne Publishing Corp., Paju.

      Coverbild: ⓒ CHA Mihee

      Deutsche Übersetzung: ⓒ Andreas Schirmer

      Übersetzung und Drucklegung wurden gefördert durch das Literature Translation Institute of Korea (LIT Korea).

      ISBN: 978-3-7069-3012-3

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      Entenbootweltbürger

      Erzählungen

      Castella

      1

      Dieser Kühlschrank hatte wahrscheinlich eine Präexistenz als Hooligan hinter sich.

      Ist halt mal meine These. Also, Mai 1985, Brüssel, Belgien: Im Finale des Europacups der Meister trifft der FC Liverpool auf Juventus Turin, und im Stadion stürmen die rasenden britischen Fans in Richtung Fanblock der Italiener. Eine trennende Mauer stürzt ein, 39 Menschen werden erschlagen oder erdrückt, darunter er, mein späterer Kühlschrank.

      Als er wieder zu sich kommt, ist er schon im Jenseits. Schöne Bescherung. Klar, dass er sich vor Reue kaum mehr einkriegt: „Ich muss lernen, wie man einen kühlen Kopf behält. Ich brauche mehr Coolness.“ Wie er so zerknirscht mit sich hadert, macht ihm das höhere Wesen einen Vorschlag zur Güte: „Wenn dem so ist, wie wär’s dann mit einer nächsten Chance als … Kühlschrank?“ Unser Mann klatscht vor Freude in die Hände: „Genial! Das wär mal ein Leben mit einem Sinn!“ Und so kam’s, dass dieser vormalige Liverpool-Fan tatsächlich als Kühlschrank wiedergeboren wurde. Der ging dann durch viele Hände und irgendwann schließlich in meinen Besitz über. Man soll mich ruhig für einen Spinner halten, aber so und nicht anders hat es sich abgespielt, davon bringt mich jetzt keiner mehr ab.

      Auch heute noch holt mich manchmal die Erinnerung an meine erste Nacht mit ihm ein.

      Es war eine grauenvolle Nacht. Anfangs fand ich bloß, dass der aber arg laut sei, aber irgendwann bekam ich es richtig mit der Angst zu tun. „Wenn das so weitergeht, wird der nicht explodieren?“, fragte ich mich. An Schlaf war gar nicht mehr zu denken. „U-Uuung U-Uuuung ...“ Wie dieser bloße Kühlschrank einen Mörderlärm zum Besten gab, der einer ganzen Fabrik zur Ehre gereicht hätte, also das hatte sich gewaschen. Mit aller Vorsicht drückte ich mal mein Ohr dran. Etwas Magmaartiges brodelte da im Inneren dieser Maschine. Schließlich zog ich den Stecker. Sechs Bierdosen, eine große Kimchi-Box und was ich am Abend von einer Packung Nusseis übriggelassen hatte, mehr hatte ich nicht eingekühlt. Die Sommernacht war schwül und stickig.

      Wie kann man sich einfallen lassen, so einen Schrott zu verkaufen? Ich war aufgebracht und rechtschaffen empört, so wie vielleicht ein armer Italiener, wenn er im Jenseits ankommt, nachdem er im Stadion unschuldig von einer Mauer erdrückt wurde, deren Einsturz auf das Konto englischer Hooligans geht. Mir war danach, sofort zu dem Laden zu rennen, wo das Aas von einem Trödler mir dieses Teil angedreht hatte, und die Auslage einzuschlagen. Aber eine Sache war noch dringender: Ich musste das Eis aufessen, ehe es schmolz. Weil ich schon bis zu diesem Zeitpunkt kein Auge zugetan hatte und weil ich dann den Eisgenuss mit einem schlimmen Durchfall büßte, der übrigens nach Walnüssen roch, war bereits Mittag vorbei, als ich endlich vor der Ramschbude aufmarschierte. Auf den heruntergelassenen und fest versperrten Rollläden hing ein Zettel mit der Aufschrift: „Wegen Innenrenovierung vorübergehend geschlossen!“

      Als ich zurück in meine Wohnung kam, stank schon alles nach sauer werdendem Kimchi. Dann in Teufels Namen! Angesichts des stechenden Geruchs gab ich klein bei und kabelte mit Todesverachtung eben wieder ein. „U-Uuung, U-Uuuung.“ Der Lärm, ohrenbetäubend wie der Ansturm einer Meute entfesselter Hooligans, wollte anscheinend unbedingt Mauern zum Einsturz bringen. „Warum passiert das justament mir?“ Aber als ich das dachte, spulte sich auch schon im Zeitraffer vor meinem inneren Auge der Film einer unglücklich kurzen Präexistenz ab. Ja, weiß man’s? Am Ende war ich früher wirklich so ein armer italienischer Juventus-Anhänger, der urplötzlich aus dem Leben gerissen wurde, als er bloß seine Mannschaft hatte anfeuern wollen.

      2

      Wer oder was auch immer ich früher, in meinem unmittelbaren Vorleben, gewesen bin – egal, es kam dann so, dass ich unterm Strich über zwei Jahre mit diesem Kühlschrank zusammenlebte. Irrsinn, wird vielleicht mancher sagen, aber so war es nun mal. Zunächst einmal aus dem Grund, weil dieses Aas von einem Schrotthändler tatsächlich der Pleitegeier geholt hatte. Zum anderen deshalb, weil es sich im Verlauf der Zeit zusehends doch irgendwie mit diesem Kühlschrank aushalten ließ. Der wiederum hatte ja sowieso eine unverwüstliche Rossnatur. „War da wirklich gar nicht so viel dabei? Ist dir das echt nicht über den Kopf gewachsen?“

      Nein, echt, es ist mir jedenfalls nicht über den Kopf gewachsen.

      Man könnte vielmehr sogar sagen, dass ich als Alleinhausender mich dank dieses enormen Lärms nicht einsam fühlte. Bin ja auch nur ein Mensch. Und damit letzten Endes ein lernfähiges Gewohnheitstier. Dass ich und der Kühlschrank wechselseitig ins Leben des jeweils anderen traten, war in den Sommerferien meines ersten Studienjahrs. Kann mich noch lebhaft daran erinnern, dass das ein Sommer war, in dem eine so arge Feuchtigkeit und Hitze herrschte, wie seit Menschengedenken noch nicht. Zuhause war ich mit nichts zufrieden gewesen, und so mietete ich, recht unüberlegt, in der Nähe der Uni eine Einzimmerwohnung. Dort hausten dann Kühlschrank, Fernseher, Stereoanlage und meine Wenigkeit einträchtig auf engstem Raum zusammen. Doch eigentlich war mir immer, als gäbe es nur den Kühlschrank und mich. Was wiederum daran lag, dass das Geräusch, das der Kühlschrank produzierte, gar so … dings war.

      Meine Einzimmerwohnung war bloß dreihundert Meter vom Haupttor der Uni entfernt, aber auf einem ganz steil ansteigenden Hügel, und wohl deshalb kam – kein Scheiß! – nie jemand auf Besuch zu mir. Es waren jedenfalls gerade Ferien, und, wie gesagt, ein Sommer mit Spitzenwerten punkto Feuchtigkeit und Hitze wie schon seit Menschengedenken nicht. Der Besitzer der Bierstube auf dem Hügel, meiner Stammkneipe, beschwerte sich oft: „Warum kehrt kein Schwanz hier ein? Okay, der Weg ist steil, aber doch wunderschön asphaltiert.“ Da hatte ich also einen Gleichgesinnten. „Tja, eben, warum bloß?“ Ich knetete meine stramm trainierten Waden und stopfte mir zwischendurch Erdnüsse in den Mund. Keiner kam zu uns auf den Hügel in diesem Sommer, ob wir nun einen superextrem feuchten und heißen Tag hatten oder nur einen durchschnittlich extrem feuchten und heißen.

      Supereinsam war ich immer bis zum Extrem.

      Das war also der Kontext, in dem wir, der Kühlschrank und ich, Freunde wurden. Würde ich halt mal so sagen. Oder mit anderen Worten: Weil da ja dieser ungeheure Lärm war, war ich doch nicht so supereinsam. In jener Einzimmerwohnung auf dem Hügel, in die keiner auf Besuch kam, waren wir immerhin zu zweit. Ich kam