Название | Entenbootweltbürger und andere Erzählungen aus Südkorea |
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Автор произведения | Park Min-gyu |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783706930123 |
und schloss die Tür wieder.
Am Tag darauf schneite meine Frau Mama bei mir herein. Hoppla, oder kam meine Uni noch davor? Aber egal, es kam ja alles dran, die Reihenfolge ist da weniger wichtig. Und im Rückblick würde ich sagen, es ist egal, ob Mutter oder Uni, kein wesentlicher Unterschied. Denn auf jeden Fall wurde mir mein Semesterzeugnis vor die Nase gehalten und dann gleich dermaßen auf mir rumgehackt, dass ich rasende Kopfschmerzen bekam. In meiner Not holte ich mir eine Dose Bier aus einer Schublade und trank einen Schluck. „Nanu, das darf doch nicht wahr sein! Was tust du das Bier dort rein? So ist es ja bloß lauwarm! Gib das Bier doch in den Kühlschrank! Wie kann man sich nur so ungeschickt anstellen?“ Ich nahm noch einen Schluck von dem lauwarmen Bier, dann öffnete ich schlagartig die Kühlschranktür. Was ich aber reintat, war dann nicht meine Bierdose, sondern meine Mutter.
Ich machte die Kühlschranktür wieder zu.
In der Nacht, die auf den Tag folgte, an dem ich meinem Vater im Kühlschrank meine Mutter beigesellte, gab es ein großartiges Sternschnuppen-Spektakel. Weil so was selten vorkommt, wurde auch in den Nachrichten mit großem Tamtam darüber berichtet. Am Fenster im ersten Stock der Bierstube auf dem Hügel ergötzte ich mich zusammen mit dem Wirt am Anblick der schwarmweise verglühenden Meteore und labte mich dabei an einem Humpen Bier.
„Mit deinen Eltern alles okay?“
„Ja.“
„Im Endeffekt ist es wohl besser für sie.“
„Selbstredend“, pflichtete ich ihm bei und steckte mir eine Scheibe Trockenfleisch in den Mund. „Da sieht man es wieder mal. Die Kühltechnik, die ist eben ein großer Segen für die Menschheit. Kann keiner bestreiten“, sprach der Wirt. „Ich würde es jedenfalls so unterschreiben“, dachte ich bei mir.
6
Wie schon gesagt, es kam alles dran. Was ich da nach meiner Uni noch alles klein faltete und im Kühlschrank verstaute: das Bezirksamt, einen Zeitungsverlag, eine Flipperbude, sieben Großkonzerne, fünf Polizeiinspektoren, eine Gruppe Schulkinder von der Nakdo-Insel, einen Limousinenbus der Gyeonggi-Expressbuslinie, die U-Bahn-Linie 2, fünf verschiedene Dreiecks-Gimbap, elf Fernsehproduzenten, einundfünfzig Risikokapitalgesellschaften, zwei Filmregisseure, drei Romanschriftsteller, einhundertzweiundneunzig Fabrikanten, fünf Angestellte, einunddreißig Importeure, zwei Schönheitschirurgen, drei Entertainer, zwei Besoffene, ein Taubenvieh, drei private Kreditgeber, zwei Profiringer, einen Kükensortierer, eine Million achthunderttausend Erwerbslose, dreihundertsechzigtausend Obdachlose, siebenundsechzig Abgeordnete und einen Staatspräsidenten.
Für einen außenstehenden Beobachter mochte es vielleicht so aussehen, als würde ich all diese Sachen nur willkürlich nach Lust und Laune in den Kühlschrank reinstopfen; aber in Wahrheit handelte ich es nach einem glasklaren Prinzip: entweder etwas Kostbares oder etwas, das für die Welt von Übel war.
Als ich die obige Liste so niederschrieb, dachte ich: In Summe hat es etwas von einem riesigen Meteorschwarm.
Freilich kam auch später noch eine Unmenge an Zeugs in den Schrank. Am wichtigsten war dabei, dass ich die USA reinbugsierte. Meine Erinnerung an den genauen Grund dafür ist inzwischen futsch, aber jedenfalls war es irgendwann um Weihnachten herum. Ich las die Zeitung, und plötzlich, mit den Gedanken eigentlich ganz woanders, riss ich die Kühlschranktür auf, schob die Vereinigten Staaten von Amerika rein und schloss die Tür wieder. Man glaubt es kaum, aber als die USA im Kühlschrank drin waren, war dessen Innenleben mit einem Mal eine „Internationale Weltgemeinschaft“. Ein paar Tage später:
„He, die McDonald’s-Filiale ist auf einmal weg.“
Diese Meldung schob der Chef des Plattenladens, als er nach einiger Zeit wieder mal in der Bierstube auf dem Hügel vorbeischaute, um zu quatschen. Er blies in seine gefrorenen Hände und rieb sie gegeneinander. „Ich meine den Mäcki, der bis jetzt dort an der Straßenkreuzung gestanden hat. Ist spurlos verschwunden.“ ‒ „Mag schon so sein“, brummte der Wirt unbeeindruckt, „und unser Freund hier geht zur Zeit in keine Vorlesung mehr.“ ‒ „Wirklich?“, staunte der Plattenladenbesitzer. „Und was denkst du dir da dabei?“
„Die Uni ist eben auch weg“,
klärte ich ihn auf. „So was. Jetzt wo du es sagst ‒ in letzter Zeit sind ganz schön viele Sachen verschwunden“, meinte der Plattenladenbesitzer. Zu dritt tranken wir ein Bier nach dem anderen. Es war kalt, und zufällig war Silvester, und obendrein noch der letzte Tag des ganzen Jahrhunderts. „Starke Sache! Du hast die Uni also einfach in den Kühlschrank geschoben, genau so, wie man’s mit einem Elefanten macht, richtig?“ Der Schallplattenladenbesitzer war vor Freude ganz aus dem Häuschen: „Hab ich’s doch vorhergesagt, dass mein Rat was helfen würde. Das ist ja ein Ding! Das ich das noch erleben darf.“
„Jaja, im vergangenen Jahrhundert ist schon ganz schön viel passiert“, sinnierte der Wirt. Dass dieser Neujahrstag just auch der allerletzte Tag des Jahrhunderts war, ließ uns nach der Reihe sentimental werden. „Die ersten Hooligans sollen Hitler und Mussolini gewesen sein“, meinte einer, wahrscheinlich der Plattenhändler. Irgendwer, vielleicht ich, quittierte das nur mit einem: „Ah ja?“ ‒ „Hat zumindest mal wer gesagt.“ Der Wirt war es dann wohl, der mich auf einmal fragte: „Was lässt du dir für China einfallen?“ ‒ „Warum denn China?“ ‒ „Weißt du das denn nicht?“ ‒ „Was denn?“
„Dass die Erde in der Mitte auseinanderbricht, wenn die Chinesen alle zur genau gleichen Zeit mal einen Hüpfer machen.“
„Wie bitte? Was wird dann aus Mutter Erde? Was bilden die sich ein?“, war mein spontaner Gedanke, und in dem gleichen Moment war China auch schon in meinem Kühlschrank. Wie soll ich sagen ‒ für den Kühlschrank war das jetzt wirklich lebensgefährlich. Von den rund eine Milliarde, zweihundertsechsundsechzig Millionen und einhundertausend Chinesen schafften es genau zwei nicht mehr rein. Das blieb uns deshalb nicht verborgen, weil die beiden fuchsteufelswild in der Bierstube aufkreuzten. Der Wirt bot seinen ganzen Gastronomencharme auf, rief unterwürfigst „Ni hao, ni hao!“ und drängte ihnen ein Bier auf. Das ließ ihre Wut ein wenig verrauchen. Weil aber natürlich eine bleibendere Lösung gefunden werden musste, tat ich uns allen den Gefallen und komplimentierte die beiden kurzerhand in die Kneipenkühltruhe. „Jetzt geht das also auch bei mir. Allerhand!“ murmelte der Wirt und wischte sich ein paar Schweißperlen von der Stirn.
In dieser Nacht gingen wir erst auseinander, als wir alle sternhagelvoll waren.
Es war schon gegen Mitternacht, als ich wieder zurück in meiner Bude war. Im Dunkeln stand der Kühlschrank und wartete auf mich. Brumm. Sein Lärm hörte sich heute besonders angestrengt an. „Gleich von einem ganzen Jahrhundert Abschied nehmen zu müssen, das ist sicher selbst für einen Kühlschrank keine Kleinigkeit.“ Unter solcherlei Gedanken entledigte ich mich meines Mantels. Ich zog mich um, wusch mir das Gesicht, putzte mir die Zähne und rang mit mir: Soll ich, soll ich lieber nicht? Als ich bereits zum zweiten Mal fest beschlossen hatte, es lieber bleiben zu lassen, riss ich sie dann aber doch auf, die Kühlschranktür. Es war damit zu rechnen gewesen, aber trotzdem haute mich der Anblick um: bis auf die zwei Ausreißer das ganze riesige Volk der Chinesen. „Alles außer Kontrolle“, entfuhr es mir. Das Maul weit offen, stand ich da wie ein Depp. Ein furchtbarer Saustall. Ich wusste nicht mehr wie und was, wusste weder aus noch ein. Denn das da
war eine komplette Welt.
Ich breitete meine Schlafmatte auf den Boden und legte mich hin. Durch den Spalt zwischen