Entenbootweltbürger und andere Erzählungen aus Südkorea. Park Min-gyu

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Название Entenbootweltbürger und andere Erzählungen aus Südkorea
Автор произведения Park Min-gyu
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783706930123



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war schon kurios: Wir waren der erste Fall einer Freundschaft zwischen Mensch und Kühlschrank, seit General Electric im Jahr 1926 den ersten modernen Kühlschrank hergestellt hat. Seitens der Menschen war also ich der absolute Pionier! Wie haben wir es fertiggebracht, den Kühlschränken so sträflich lange die kalte Schulter zu zeigen? Hat denn sonst kein Mensch je den wahren Wert seines Kühlschranks erkannt? Wir haben uns angewöhnt zu glauben, dass es in den Weiten des Universums nur allein uns Menschen gibt. Dabei kann man mit nur ein bisschen mehr Sensibilität leicht spüren, dass da unmittelbar neben einem selber immer auch schon ein Kühlschrank ist.

      Kühlschränke haben eine Persönlichkeit.

      Also, jetzt leih diesem Lärm mal dein Ohr. Und fühl das mal ein wenig nach: Da ist dieser flüssige Kreislauf zwischen Kompressor, Kondensator, Verdampfer und Wärmetauscher, dieser wunderbare Zyklus! Dass ich dem Zauber des Kühlschranks erlag, das begann in dem Moment, als mir die Ohren aufgingen für die Musik dieses Kreislaufs. Das war natürlich nicht von Anfang an so. Schließlich war ich früher eben auch so ein Dutzendmensch und Allerweltsschnösel, der da schnöde denkt: „Welt der Kühlhaltung? Rutsch mir doch den Buckel runter.“ Will sagen: Es fing, da mache ich mir nichts vor, alles nur damit an, dass ich den treuherzig-bescheidenen Wunsch hatte, den maßlosen Lärm ein klitzekleines bisschen einzudämmen. Wenn ich zurückblicke, war es zwar eine dumme Naivität von mir, aber ich rief eben bei der Herstellerfirma an und bat um den „raschen und zuverlässigen Kundendienst“. Muss mich ja wohl nicht dafür rechtfertigen, hätte sicher jeder an meiner Stelle genauso gemacht.

      Der Kundendienst, den ich mir „rasch und zuverlässig“ vorgestellt hatte, spannte mich freilich auf eine langwierige Folter. Der Techniker überprüfte den Entfroster-Erhitzer, wechselte allerlei Komponenten aus, putzte sogar die Kapillarröhrchen durch. In meiner Einzimmerwohnung sah es bald aus wie auf einem Schlachtfeld. Obendrein war es die heißeste Zeit des Sommers, und der Mann vom Kundendienst kam immer an Nachmittagen, wenn die Luft kochte und dampfte. Insgesamt war es vier Mal, dass er in meinem Zimmer seine Serviceleistung erbrachte, und jedes Mal äußerte er sich beim Abgang anders. Beim ersten Mal hieß es: „Jetzt wird es sicher passen.“ Beim zweiten Mal: „Komisches Teil, das.“ Beim dritten Mal: „Schaffen Sie sich doch lieber einen neuen an!“ Beim vierten Mal hauchte er fast unhörbar wie ein Sterbender: „Ich häng den Scheißjob an den Nagel.“

      Der Lärm verringerte sich kein bisschen.

      Unterdessen begann das Herbstsemester. Bei mir war nichts mit ausgeruht und startklar. Irgendwann stürzte ich mich dann aber auf ein Privatstudium: Grundbegriffe der Kühlhaltung, Aufbau und Struktur von Kühlschränken, Kühlschrank-Reparatur und gar Geschichte der Kühlhaltung. Versuchte, mir alles anzueignen, mit bangem Eifer. Wie so ein Knirps, der vorwitzig ein Radio auseinander genommen hat und dann verzweifelt versucht, die einzelnen Elemente wieder richtig zusammenzusetzen.

      Merkwürdig: die Welt der Kühlhaltung hatte mich ganz unverhofft in ihren Bann geschlagen. Es war spannend wie nur je ein Thema. Immer häufiger ließ ich die Uni Uni sein, und ich konnte mich bald auch nicht mehr erinnern, wann ich nun das letzte Mal mit einer Ladung Schmutzwäsche bei meinen Eltern vorbeigeschaut hatte. Wie soll ich das ausdrücken? Mir war, als sei ich auf der verblendenden Straße eines schnöden Alltags ‒ dessen Motto da lautete „Welt der Kühlhaltung? Vergiss es!“ ‒ abrupt in einen offenen Schacht gefallen, der in ein Wunderland führte.

      Es tat sich da etwas ganz Neues auf, eben die dunkle und geheimnisvoll abgeschottete kühle Welt der Kühlhaltung. Ich war ein kleines Wölkchen Freongas und wanderte als solches tagsüber durch die Kapillarröhren dieser unterirdischen Welt, abends wurde ich ein kleiner Klecks glitzernden Frosts und klebte in leichtem Schlummer irgendwo an einer der unterirdischen Mauern. Als ich zufällig bei einem Ausgang wieder in die Oberwelt hinausstolperte, war der Herbst fast schon um (was mir aber auch erst klar wurde, als ich wieder oben war). Das Licht blendete mir die Augen. Und

      die Welt draußen hatte sich komplett verändert.

      3

      Will sagen, ich war wohl eine gute Woche komplett fixiert. Nach einer Reihe pedantischer Untersuchungen machte ich mich ans Reparieren, schraubte an allem herum, wo es nur ging, und trotzdem wurde der Lärm nicht weniger. Genau wie der Mann vom Kundendienst hatte ich nicht die leiseste Ahnung, warum der Kühlschrank so laut war. „Es muss einfach ein neuer her“, „Ich schmeiße jetzt mein Werkzeug hin“ ‒ ja, ich war oft nah dran, so was zu sagen. Aber die Welt der Kühlhaltung hatte bereits angefangen, sich mir zu offenbaren, und darum sah ich das Problem aus einem ganz anderen Blickwinkel als der Kundendienst. In dem Sinn nämlich, …

      … dass dieser Kühlschrank ein Recht darauf hatte, sich Gehör zu verschaffen.

      Ein Recht, jawohl! Denn dieser Kühlschrank war in seinem früheren Leben ein Hooligan gewesen und hatte wohl einen angeborenen, überdurchschnittlich großen Drang zur Selbstdarstellung. Hatte ein besonders lautes Organ und ein hitziges Temperament. Der Typ, der seinerzeit im Finalspiel Liverpool gegen Juventus als erster „Auf sie mit Gebrüll!“ gebrüllt und die wilde Horde angeführt hatte ‒ das war mein Kühlschrank. Von dieser Theorie bringt mich nichts mehr ab. Cooler Typ.

      „Auf sie mit Gebrüll!“ Da gehört schon was dazu.

      Die Geschichte der Kühlhaltung war ein einziger großer Kampf gegen die Macht der Fäulnis.

      Die Menschheit weiß schon seit langem, dass Lebensmittel länger halten, wenn man sie kühl lagert. Die Chinesen bedienten sich schon tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung einer primitiven Kühlhaltetechnik, bei der man die Wirkung von Eisblöcken in unterirdischen Kammern ausnutzte. Genau besehen lag der erste Kühlschrank der Menschheit also im Erdinneren, womit letztlich unser Planet selber als Kühlschrank herhielt.

      Die Chinesen entdeckten im 14. Jahrhundert, dass ein mit Salzwasser gefülltes Gefäß dauerhaft kälter ist als die Umgebung. Im 17. Jahrhundert machten die Italiener die gleiche Entdeckung. Das Salzwasser entzieht nämlich beim Verdunsten dem Gefäß immer ein wenig Wärme.

      Das war zwar nur Anfängerniveau, aber mit dieser Erkenntnis war nichtsdestoweniger zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte das Geheimnis unserer heutigen Kältetechnik gelüftet, bei der es ja nach wie vor um das Prinzip der Verdampfungskühlung geht.

      Im Jahr 1834 baute Jacob Perkins in England eine Kompressionskältemaschine, die Eis künstlich herstellen konnte, und es gelang ihm, auf seine Erfindung ein Patent anzumelden. Perkins nutzte den physikalischen Effekt, bei dem komprimierter flüssiger Ether zunächst abgekühlt und dadurch gasförmig wird, um dann wieder verdichtet zu werden und sich infolgedessen zu verflüssigen. Seine Kompressionskältemaschine leistete einen entscheidenden Beitrag zum Aufkommen des späteren Kühlschranks.

      Im Jahr 1926 stellte General Electric in Amerika die ersten Haushaltskühlschränke mit Kompressionskältemaschinen her. Damit begann die Geschichte des modernen Kühlschranks, die bestimmt war von ständigen Verbesserungen. Im Jahr 1939 wurde der in Kühlfach und Gefrierfach geteilte moderne Haushaltskühlschrank geboren. Mit diesem epochemachenden neuen Typ von Kühlgerät und natürlich mit den vielen neuartigen Tiefkühlprodukten, für die Clarence Buzzeye die entsprechenden Herstellungsabläufe entwickelte, begann das fantastische Zeitalter der Kühlhaltung.

      Die Verbreitung des Kühlschranks hat das menschliche Leben stark verändert. Eine der wesentlichsten Auswirkungen war die, dass die Häufigkeit bestimmter Erkrankungen ‒ Lebensmittelvergiftung, Krebs und so weiter ‒ erheblich abnahm. Dass man nun jederzeit frisches Gemüse essen konnte, dass man unverdorbenen Fisch zur Verfügung hatte, der nicht etwa in Salz eingelegt war, also dass man überhaupt nicht mehr auf Lebensmittel angewiesen war, die zwecks Haltbarkeit weiß Gott wie behandelt waren ‒ das alles trug ganz enorm dazu bei, dass der heutige Mensch sich eines viel gesünderen Lebens erfreut. Erst dank des Kühlschranks siegte die Menschheit im Kampf gegen den Lebensmittelverderb. Ein fantastischer Sieg! Der Ansicht, das 20. Jahrhundert sei in der Hauptsache von den zwei Weltkriegen sowie vom kalten Krieg und seiner Überwindung bestimmt gewesen, kann ich darum nicht