Название | Leopold von Ranke: Historiografische Werke |
---|---|
Автор произведения | Leopold von Ranke |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027206056 |
* * *
Soviel ist einleuchtend, daß, um an die Möglichkeit einer Erhaltung der Einheit Deutschlands in diesem Zeitraum denken zu können, nicht gerade notwendig ist, eine andere Entwicklung der Reformation vorauszusetzen. Nach alle den Stürmen, welche dieselbe begleitet haben, sehen wir doch die Nation gewerbtätig und mächtig, blühend und groß, von ihren Fürsten in Eintracht zusammengehalten, gegen auswärtigen Einfluß eifersüchtig und abgeschlossen. Sie in diesem Zustand zu erhalten, zu befestigen, darauf kam alles an. In jeder Gesundheit liegt eine Möglichkeit der Krankheit, die Möglichkeit des Verfalles in jeder Größe und allem Bestehen, in jeder Vereinigung die Möglichkeit der Trennung. Dadurch unterscheidet sich der vorausdenkende Staatsmann von dem schwatzenden Pöbel oder der Leidenschaft der Partei, daß er die Elemente der Gefahr von ferne erkennt und ihnen vorzubauen versucht. Leugnen wir nicht, daß diese Elemente in dem damaligen Zustand der deutschen Nation besonders stark waren. Durch das glückliche Zusammentreffen von Umständen, die ihnen eine andere Richtung gaben, nur eben noch gehindert uns ganz zu verderben, waren sie nicht einmal völlig beschwichtigt worden, geschweige denn eigentlich beruhigt.
Man mußte in den Jahren des inneren Friedens sorgfältig Bedacht nehmen, ihrem Ausbruche vorzubeugen. Die größte Gefahr war unfehlbar da, wo die geistlichen und weltlichen Interessen einander berührten, in den Verhältnissen der deutschen Kirche. Sie war von dem Protestantismus wenigstens in einem Teile ihrer Grundlagen angegriffen und während der Unruhen, als die Gewalt nicht selten statt des Rechtes galt, beleidigt und beeinträchtigt worden. Und doch beruhte die Verfassung des Reiches, in dessen beiden vornehmsten Räten, dem kurfürstlichen und dem fürstlichen, so viele geistliche Mitglieder saßen, wesentlich auf der Kirche. Die geistlichen Amtshandlungen der deutschen Bischöfe und Erzbischöfe wollten wenig sagen; mit der Seelsorge hatten sie soviel wie nichts zu tun, auch an der Regierung der allgemeinen Kirche nahmen sie geringen Anteil; sie waren deutsche Fürsten mit derselben Autonomie wie die andern, und wenigstens während des 14. und 15. Jahrhunderts haben sie sich vielleicht von allem am meisten um die allgemeinen Reichsangelegenheiten bekümmert; in diesen werden sie genannt, damit waren sie beschäftigt. Freilich gab es da oft seltsame Widersprüche zwischen dem geistlichen Titel und der weltlichen Amtsführung; aber was half es, darüber nun immer wieder einen leicht zu findenden Spott zu ergießen? Es war nun einmal so. Dazu kam noch ein andrer bedeutender Umstand. Wie oft haben protestantische Grafen und Herren wiederholt, daß Stifte und Erzstifte vornehmlich zwar zur Ehre Gottes, dann aber auch zur Erhaltung fürstlicher, gräflicher und adliger Häuser gegründet und von Kaisern, Königen, Fürsten und Herren milder Gedächtnis reichlich begabt seien; wie oft haben sie ausgeführt, das Fortbestehen ihrer Geschlechter knüpfe sich hieran. Es läßt sich schwerlich leugnen, daß diese Rücksicht bei der Stiftung mitgewirkt habe; zuletzt war sie überwiegend geworden. Die Stifter waren das Erbteil der jüngeren Söhne aus fürstlichen und adligen Häusern; sie kamen ihnen zugute, insofern sie darauf verzichten wollten, selber eine Familie zu gründen. Den erblichen Fürstentümern der ältesten setzten sich diese Wahlfürstentümer der jüngeren Söhne zur Seite. Weltliche Austeilung und weltliche Bestimmung hielten einander die Wage.
Wie konnte man nun wissen, daß man da, wo der Protestantismus nicht mehr insgeheim – denn das war, wie wir sahen, ziemlich allenthalben der Fall – sondern öffentlich die Oberhand behauptet hatte, um jenes »geistlichen Vorbehaltes« willen seinen Anteil an den geistlichen Benefizien und die Wirksamkeit in Reichsgeschäften, die damit verbunden war, ruhig aufgeben würde? Trotz den Bestimmungen des Religionsfriedens finden wir gar bald im ganzen nördlichen Deutschland protestantische geistliche Fürsten, welche ihre Reichsstandschaft keineswegs aufgaben, in Magdeburg, Bremen, Lübeck, Minden, Halberstadt; der Äbtissin von Quedlinburg, die eben auch evangelisch war, kostete es weniger Mühe, von dem Legaten des Papstes bestätigt zu werden als von Kursachsen. Den Religionsfrieden glaubte man nicht zu verletzen. Man behauptete, er verbiete nur, daß ein schon eingesetzter Prälat von der katholischen Kirche zur protestantischen übergehe; die Absicht sei nur gewesen, den Zwiespalt, der etwa zwischen einem altgläubigen Kapitel und einem zur neuen Lehre übergetretenen Bischöfe entstehen müsse, zu verhüten; allein mit nichten verbiete er einem bereits evangelischen Kapitel sich auch einen evangelischen Bischof zu wählen.136 Es scheint, als seien die Kaiser dieser Meinung gewesen; sie erkannten die Landeshoheit evangelischer Bischöfe oder Administratoren an und duldeten ihre Reichsstandschaft. Hätte die Bestätigung der Bischöfe allein bei dem Kaiser gestanden, so wäre alles getan gewesen, aber nach dem Gesetz stand sie auch dem Papste zu: in diesem Verhältnisse lag die Schwierigkeit. Man hatte das Glück, einen alten Gebrauch in Übung zu finden, dessen man sich unter den neuen Umständen mit Vorteil bedienen konnte; ich meine die kaiserlichen Indulte. Unter dem Vorwande, man habe das Geld, das für die römischen Gebühren erfordert werde, nicht sogleich zur Hand, bat man um vorläufige Verleihung der Regalien auf ein paar Jahre. Indessen leisteten die Untertanen den Eid, man setzte sich fest, man suchte die Bestätigung in Rom. Erlangte man sie auch nicht, so blieb man im Amte und wußte sich eine Verlängerung des Indults zu verschaffen. Auf diese Weise verletzte man das Gesetz nicht, aber man umging es.
Eben darum sind die Gesetze ein menschliches, nicht ein göttliches Institut, damit sie, sobald es notwendig geworden, sobald das Leben einen andern Gang genommen hat, demgemäß verändert werden können. Wenn man die Sache so gehen ließ, so war auf der einen Seite das Umsichgreifen ungesetzlicher Zustände nicht zu vermeiden, auf der anderen mußte die katholische Gegenpartei sich immerfort für beleidigt und gefährdet halten, der Friede konnte niemals völlig sicher sein. Vielleicht scheint es verwegen, wenn man, nachdem Jahrhunderte vorübergegangen sind, nachdem die lebendigen Kräfte in gewaltigem Widerstreit sich auseinandergesetzt haben, noch immer Möglichkeiten berechnen will. Allein wie wir verschiedene Wege vor uns haben, so auch jene Zeitgenossen. Wenn man das Verderben kommen sieht, welches gekommen ist, so kann man sich, nicht als hätte man die Anmaßung, etwas besser zu wissen, sondern aus jener Vaterlandsliebe, welche Gegenwart und Vergangenheit umfaßt, schwerlich enthalten zu fragen, wie dem Übel vielleicht zuvorzukommen war.
Sollte es bei der Opposition, in welcher das Reich zu dem Papste stand, so schwer gewesen sein, die deutsche Kirche von dem Einflusse der Kurie völliger abzulösen? War man verbunden, die Beschlüsse des tridentinischen Konziliums, durch welche Eide und Verpflichtungen der Prälaten gegen den Papst so sehr geschärft wurden, in Deutschland anzunehmen? Oder gab es eine Möglichkeit, eine deutsche Kirche zu erhalten, in der das weltliche Element, wie es wesentlich überwog, auch der Form nach das bedeutendere geworden wäre? Konnte man nicht den Besitz dieser Wahlfürstentümer, die so wenig geistliche Pflichten hatten, von dem Bekenntnis gewisser Formeln unabhängig machen? Es ist dies die große Frage der Freistellung, welche Deutschland vom Religionsfrieden bis zum dreißigjährigen Kriege fortwährend in Bewegung gehalten hat. Nicht als hätte man hiermit den Protestantismus schlechthin zur herrschenden Religion machen wollen. Man wollte nur den Besitz der Wahlfürstentümer von dem Bekenntnis, die Reichsstandschaft, die mit ihnen verknüpft