Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke

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Название Leopold von Ranke: Historiografische Werke
Автор произведения Leopold von Ranke
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788027206056



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geistigen Übergewicht, das man überhaupt in der Welt noch hatte, zusammenhing. Da hatte sich denn, wie man auch in Münsters Beschreibung wahrnimmt, über den ganzen Boden hin Behagen und Wohlhabenheit ausgebreitet. Wir sehen bei ihm, wie sich der Landertrag nach den Städten hin sammelte, etwa der Kornhandel nach Schweinfurt oder Überlingen, wie 200 Städte, Flecken und Dörfer zu Markte nach Worms gingen, wie man das Getreide des Elsaß in alle Länder umher und auch durch Churwalen hinauf in die italienischen Grenzen führte, wie die Kastanien durch Thüringer Fuhrleute nach dem Norden oder flußabwärts nach England gebracht wurden, auch der Wein von Weißenburg in Brabant und Niederland seinen Markt fand. Mit Vergnügen folgen wir dieser Beschreibung. Von dem Gebirge herab, dessen heilende Kräuter sie namhaft macht, führt sie uns die Flüsse entlang durch die Landschaften von unzähligen Dörfern und wohlgelegenen Schlössern erfüllt, mit Buchen und Eichen umzäunt, nach den Bergen, wo der Wein kocht, nach der Ebene, wo die Kornähren so hoch wachsen, daß sie dem Reiter auf den Kopf reichen, zu den gesunden Brunnen, den heißen Quellen; sie eröffnet uns Deutschland wie eine Sommerlandschaft mit den bunten Streifen ihrer Feldfrüchte, über und über von geschäftigen Händen angebaut und, was mehr ist, von einem treuherzigen, in seinen Sitten und dem Ruhme alter Tugend verharrenden tapferen Volke bewohnt.

      * * *

      Soviel ist einleuchtend, daß, um an die Möglichkeit einer Erhaltung der Einheit Deutschlands in diesem Zeitraum denken zu können, nicht gerade notwendig ist, eine andere Entwicklung der Reformation vorauszusetzen. Nach alle den Stürmen, welche dieselbe begleitet haben, sehen wir doch die Nation gewerbtätig und mächtig, blühend und groß, von ihren Fürsten in Eintracht zusammengehalten, gegen auswärtigen Einfluß eifersüchtig und abgeschlossen. Sie in diesem Zustand zu erhalten, zu befestigen, darauf kam alles an. In jeder Gesundheit liegt eine Möglichkeit der Krankheit, die Möglichkeit des Verfalles in jeder Größe und allem Bestehen, in jeder Vereinigung die Möglichkeit der Trennung. Dadurch unterscheidet sich der vorausdenkende Staatsmann von dem schwatzenden Pöbel oder der Leidenschaft der Partei, daß er die Elemente der Gefahr von ferne erkennt und ihnen vorzubauen versucht. Leugnen wir nicht, daß diese Elemente in dem damaligen Zustand der deutschen Nation besonders stark waren. Durch das glückliche Zusammentreffen von Umständen, die ihnen eine andere Richtung gaben, nur eben noch gehindert uns ganz zu verderben, waren sie nicht einmal völlig beschwichtigt worden, geschweige denn eigentlich beruhigt.

      Man mußte in den Jahren des inneren Friedens sorgfältig Bedacht nehmen, ihrem Ausbruche vorzubeugen. Die größte Gefahr war unfehlbar da, wo die geistlichen und weltlichen Interessen einander berührten, in den Verhältnissen der deutschen Kirche. Sie war von dem Protestantismus wenigstens in einem Teile ihrer Grundlagen angegriffen und während der Unruhen, als die Gewalt nicht selten statt des Rechtes galt, beleidigt und beeinträchtigt worden. Und doch beruhte die Verfassung des Reiches, in dessen beiden vornehmsten Räten, dem kurfürstlichen und dem fürstlichen, so viele geistliche Mitglieder saßen, wesentlich auf der Kirche. Die geistlichen Amtshandlungen der deutschen Bischöfe und Erzbischöfe wollten wenig sagen; mit der Seelsorge hatten sie soviel wie nichts zu tun, auch an der Regierung der allgemeinen Kirche nahmen sie geringen Anteil; sie waren deutsche Fürsten mit derselben Autonomie wie die andern, und wenigstens während des 14. und 15. Jahrhunderts haben sie sich vielleicht von allem am meisten um die allgemeinen Reichsangelegenheiten bekümmert; in diesen werden sie genannt, damit waren sie beschäftigt. Freilich gab es da oft seltsame Widersprüche zwischen dem geistlichen Titel und der weltlichen Amtsführung; aber was half es, darüber nun immer wieder einen leicht zu findenden Spott zu ergießen? Es war nun einmal so. Dazu kam noch ein andrer bedeutender Umstand. Wie oft haben protestantische Grafen und Herren wiederholt, daß Stifte und Erzstifte vornehmlich zwar zur Ehre Gottes, dann aber auch zur Erhaltung fürstlicher, gräflicher und adliger Häuser gegründet und von Kaisern, Königen, Fürsten und Herren milder Gedächtnis reichlich begabt seien; wie oft haben sie ausgeführt, das Fortbestehen ihrer Geschlechter knüpfe sich hieran. Es läßt sich schwerlich leugnen, daß diese Rücksicht bei der Stiftung mitgewirkt habe; zuletzt war sie überwiegend geworden. Die Stifter waren das Erbteil der jüngeren Söhne aus fürstlichen und adligen Häusern; sie kamen ihnen zugute, insofern sie darauf verzichten wollten, selber eine Familie zu gründen. Den erblichen Fürstentümern der ältesten setzten sich diese Wahlfürstentümer der jüngeren Söhne zur Seite. Weltliche Austeilung und weltliche Bestimmung hielten einander die Wage.

      Eben darum sind die Gesetze ein menschliches, nicht ein göttliches Institut, damit sie, sobald es notwendig geworden, sobald das Leben einen andern Gang genommen hat, demgemäß verändert werden können. Wenn man die Sache so gehen ließ, so war auf der einen Seite das Umsichgreifen ungesetzlicher Zustände nicht zu vermeiden, auf der anderen mußte die katholische Gegenpartei sich immerfort für beleidigt und gefährdet halten, der Friede konnte niemals völlig sicher sein. Vielleicht scheint es verwegen, wenn man, nachdem Jahrhunderte vorübergegangen sind, nachdem die lebendigen Kräfte in gewaltigem Widerstreit sich auseinandergesetzt haben, noch immer Möglichkeiten berechnen will. Allein wie wir verschiedene Wege vor uns haben, so auch jene Zeitgenossen. Wenn man das Verderben kommen sieht, welches gekommen ist, so kann man sich, nicht als hätte man die Anmaßung, etwas besser zu wissen, sondern aus jener Vaterlandsliebe, welche Gegenwart und Vergangenheit umfaßt, schwerlich enthalten zu fragen, wie dem Übel vielleicht zuvorzukommen war.