Название | Leopold von Ranke: Historiografische Werke |
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Автор произведения | Leopold von Ranke |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027206056 |
11. Deutsche Wissenschaft und Literatur in der Reformationszeit
Deutsche Geschichte V, Werke Bd.5 S.348 ff.
Ein herrliches Werk würde sein, wenn einmal die Teilnahme, welche die Deutschen an der Fortbildung der Wissenschaften überhaupt genommen haben, im Lichte der europäischen Entwicklung jedes Jahrhunderts mit gerechter Würdigung dargestellt werden könne.106 Zu einer allgemeinen Geschichte der Nation wär es eigentlich unentbehrlich. Denn nicht allein in den Bildungen des Staats und der Kirche, oder in Poesie und Kunst tritt der Geist eines großen Volkes hervor; zuweilen werfen sich die besten Kräfte auf die wissenschaftlichen Gebiete. Man muß wissen, was sie da schaffen und vollbringen, wenn man die Bestrebungen einer Epoche überhaupt verstehen will. Die Zeit, die wir hier betrachten, würde eine der fruchtbarsten sein. Schon erscheinen, z. B. bei Paracelsus,107 die Anfänge der Chemie. Es kommen die feinsten und eingreifendsten physikalischen Beobachtungen vor. Georg Hartmann zu Nürnberg, der sich mit Verfertigung von Kompassen beschäftigte, hat dabei die Inklination des Magnets entdeckt; er bemerkte, wie der Nordmagnetismus beim Streichen südliche Polarität hervorbringe; er scheint noch mehr gewußt zu haben, als er ausdrücklich ausspricht. Gern unterhielt er teilnehmende Fürsten, den König Ferdinand mährend des Reichstags, oder den Herzog Albrecht von Preußen in Briefen, von der geheimnisvollen Tugend und Kraft des Magneten. Die Wißbegier Karls V., die von seiner Stellung zu beiden Hemisphären genährt ward, veranlaßte zu Arbeiten der mathematischen Geographie, welche allen Nationen zu statten gekommen sind. Aus Duisburg, von Mercator, rührt die erste durchgreifende Verbesserung der Zeichnung der Land- und Seekarten her. An den östlichen Grenzen, wo die deutschen Elemente sich mit den polnischen berühren, ging aus einer der geschilderten108 ähnlichen Beschäftigung mit dem Altertum, gleichsam unter dieser geistigen Atmosphäre, eine der größten Entdeckungen hervor, die das Jahrhundert auszeichnen, die des wahren Sonnensystems.109 Es gereicht der Schule von Wittenberg zur Ehre, daß einer ihrer jungen Professoren, Rhäticus,110 durch das Gerücht in Kenntnis gesetzt, sich zu Kopernikus begab, der Welt die erste sichere Nachricht über die Entdeckung mitteilte und wirklich den Druck des von dem Autor beinahe bei Seite gelegten Werkes veranlaßt hat.
Den Vorwurf dürfte man überhaupt der Wittenberger Schule damaliger Zeit nicht machen, daß ihre Theologie sie abgehalten hätte, sich auch mit anderen Wissenschaften zu beschäftigen. Wir finden die eifrigsten Theologen, wie Wigand zu Eisleben, die benachbarten Berge durchstreifen, um die Wunder Gottes in den seltenen Kräutern zu schauen; Michael Neander zu Ilfeld verband mit der Kräuterkunde selbst medizinische Einsichten, er wird als der Chiron111 des Harzes gepriesen; Johann Mathesius besaß eine treffliche Kenntnis der Metalle und Erdgewächse. In hohem Ansehen bei seinem Leben und unvergänglichem Gedächtnis nach seinem Tode stand Kaspar Cruciger, Professor der Theologie,112 den aber physikalische und besonders mathematisch-astronomische Einsichten persönlich fast noch mehr auszeichneten. Melanchthon, der sich immer in lebendiger Teilnahme an allen diesen Fortschritten zu halten suchte, in dessen Vorlesungen z. B. Valerius Cordus113 Anregung zu seinen botanischen Ausflügen empfing, widmete doch seinen besten und fruchtbarsten Fleiß den philosophischen Studien.114
Wir überschauen die Arbeit, in welcher der deutsche Geist begriffen war. In allen Gebieten reißt er sich von der Überlieferung los, welche sich im Laufe der Zeit in hohem Grade verfälscht und mit Aberglauben erfüllt hatte. Aber indem er zu echteren Quellen der Belehrung aufsteigt, bemerkt er doch, was auch diese zu wünschen übrig lassen. Er ist überall bemüht, die Kenntnis, welche die Alten besaßen, zu erweitern und zu ergänzen. Gegen die Systeme, die sie gebildet, ruft er den fragmentarischen Widerstand zu Hilfe, der sich unter ihnen selbst geregt hat, und schickt sich an, aus eigener Kraft zur Anschauung der Natur der Dinge hindurchzudringen. Die gewonnene religiöse Überzeugung flößt ihm Vertrauen und Furchtlosigkeit ein; Forschung und Kritik werden ihm Natur. Wir nehmen nicht ein Bestreben wahr, daß aus dem Schoße der Nationalität ohne fremde Einwirkung hervorgegangen wäre; der deutsche Geist sucht vielmehr den Boden der schon vor Zeiten gegründeten Wissenschaft nun auch seinerseits vollständig zu gewinnen und an der Arbeit der Jahrhunderte tätigen Anteil zu nehmen.
Wenn es eben daher rührt, daß Latein die ausschließende Sprache der Wissenschaft blieb, so ward doch auch die auf die Muttersprache angewiesene Bevölkerung von der Teilnahme an der Bewegung nicht ausgeschlossen. Schon die theologischen Flugschriften, die Predigten, die immer schwerere Fragen in Anregung brachten, nahmen die Aufmerksamkeit der Ungelehrten in Anspruch. Ein großen Teil der alten Literatur ward ihnen in deutschen Übersetzungen zugänglich gemacht; es ist bezeichnend, was man übersetzte, was man beiseite ließ. Man nahm z. B. die Aeneide, die Metamorphosen, nicht Horaz noch Catull; es war hauptsächlich der Stoff, den man sich anzueignen suchte. Man beschäftigte sich viel mit Terenz, seines lehrreichen Inhalts wegen, der gleich auf dem Titel gerühmt ward, wenig mit Plautus; man übersetzte nicht die Reden Ciceros, sondern seine populären philosophischen Schriften. Am sorgfältigsten sind vielleicht diejenigen Werke bearbeitet, die zu unmittelbarem Gebrauch bestimmt waren. Vitruvius erscheint »als ein Schlüssel aller mathematischen und mechanischen Künste, die zur Architektur gehören, aus rechtem Grund und sattem Fundament, so daß jeder Kunstbegierige einen rechten Verstand fassen möge«: einer der schönsten Drucke jener Zeit,115 mit trefflichen Holzschnitten, unter denen auch das Bildnis Albrecht Dürers prangt.
Fehlt es auch nicht durchaus an freier Produktion, so ist es doch noch mehr Aneignung, Popularisierung schon vorhandener fremder Stoffe, was auch der deutschen Literatur jener Zeit ihren Charakter gibt. So recht eigen ist dies das Element, in welchem sich die umfangreichen Werke des »sinn- und kunstreichen, wohlerfahrenen« Meister Hans Sachs bewegen. Einen großen Teil der heiligen Bücher alten und neuen Testaments gibt er in Reimen wieder; daran schließen die Historien von den Märtyrern, dann folgen die weltlichen Geschichten, wo dann bei der alten Welt »der griechische Weise Herodotus« oder Justin oder Johann Herold abwechselnd als Gewährsmänner genannt werden, in der neueren die Chronisten, die französisch Chronika, die hochburgundisch Chronika. Weiter finden sich die Erzählungen der Volksbücher, wie vom hörnen Siegfried oder der schönen Magelone; die Sprüche der alten Philosophen und die Tierfabel fehlen nicht; zuweilen werden theologische Fragen aufgeworfen, wo dann jeder Teil seine Zeugnisse aufführt, Propheten und Apostel gewissermaßen redend erscheinen.
Indem sich aber Hans Sachs fast überall früheren Autoren anschließt, weiß er sich doch ihrer Form zu erwehren. Sein Verfahren steht anderer Poesie beinahe entgegen. Während andere dem überlieferten Stoffe neue Gestalt zu geben suchen, führt er das Gestaltete auf den Stoff zurück. Er nimmt zuweilen alte Komödien herüber, aber gleichsam auszugsweise; ihm gewinnen hauptsächlich nur die Situationen, ihre Aufeinanderfolge und das daraus hervorgehende Ergebnis Teilnahme ab. Seine dramatischen Arbeiten sind höchst sonderbar; man könnte sagen, sie entbehren des Dialogs; wenigstens arbeitet sich derselbe aus der Erzählung nur eben erst hervor. Und selbst mit seiner Erzählung verhält es sich oft ähnlich; er epitomiert die Volksbücher. Den großen Inhalt der