Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke

Читать онлайн.
Название Leopold von Ranke: Historiografische Werke
Автор произведения Leopold von Ranke
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788027206056



Скачать книгу

beziehen, einer ohne den andern nicht zu denken sind. Zuletzt ist der gleichartige Fortschritt der europäischen Kultur und Macht an die Stelle der kirchlichen Einheit getreten. Was diese verloren hatte, das Übergewicht über die Welt, ist durch jene im Laufe der Jahrhunderte wieder erworben worden.

      11. Deutsche Wissenschaft und Literatur in der Reformationszeit

       Inhaltsverzeichnis

      Deutsche Geschichte V, Werke Bd.5 S.348 ff.

      Wir überschauen die Arbeit, in welcher der deutsche Geist begriffen war. In allen Gebieten reißt er sich von der Überlieferung los, welche sich im Laufe der Zeit in hohem Grade verfälscht und mit Aberglauben erfüllt hatte. Aber indem er zu echteren Quellen der Belehrung aufsteigt, bemerkt er doch, was auch diese zu wünschen übrig lassen. Er ist überall bemüht, die Kenntnis, welche die Alten besaßen, zu erweitern und zu ergänzen. Gegen die Systeme, die sie gebildet, ruft er den fragmentarischen Widerstand zu Hilfe, der sich unter ihnen selbst geregt hat, und schickt sich an, aus eigener Kraft zur Anschauung der Natur der Dinge hindurchzudringen. Die gewonnene religiöse Überzeugung flößt ihm Vertrauen und Furchtlosigkeit ein; Forschung und Kritik werden ihm Natur. Wir nehmen nicht ein Bestreben wahr, daß aus dem Schoße der Nationalität ohne fremde Einwirkung hervorgegangen wäre; der deutsche Geist sucht vielmehr den Boden der schon vor Zeiten gegründeten Wissenschaft nun auch seinerseits vollständig zu gewinnen und an der Arbeit der Jahrhunderte tätigen Anteil zu nehmen.

      Fehlt es auch nicht durchaus an freier Produktion, so ist es doch noch mehr Aneignung, Popularisierung schon vorhandener fremder Stoffe, was auch der deutschen Literatur jener Zeit ihren Charakter gibt. So recht eigen ist dies das Element, in welchem sich die umfangreichen Werke des »sinn- und kunstreichen, wohlerfahrenen« Meister Hans Sachs bewegen. Einen großen Teil der heiligen Bücher alten und neuen Testaments gibt er in Reimen wieder; daran schließen die Historien von den Märtyrern, dann folgen die weltlichen Geschichten, wo dann bei der alten Welt »der griechische Weise Herodotus« oder Justin oder Johann Herold abwechselnd als Gewährsmänner genannt werden, in der neueren die Chronisten, die französisch Chronika, die hochburgundisch Chronika. Weiter finden sich die Erzählungen der Volksbücher, wie vom hörnen Siegfried oder der schönen Magelone; die Sprüche der alten Philosophen und die Tierfabel fehlen nicht; zuweilen werden theologische Fragen aufgeworfen, wo dann jeder Teil seine Zeugnisse aufführt, Propheten und Apostel gewissermaßen redend erscheinen.

      Indem sich aber Hans Sachs fast überall früheren Autoren anschließt, weiß er sich doch ihrer Form zu erwehren. Sein Verfahren steht anderer Poesie beinahe entgegen. Während andere dem überlieferten Stoffe neue Gestalt zu geben suchen, führt er das Gestaltete auf den Stoff zurück. Er nimmt zuweilen alte Komödien herüber, aber gleichsam auszugsweise; ihm gewinnen hauptsächlich nur die Situationen, ihre Aufeinanderfolge und das daraus hervorgehende Ergebnis Teilnahme ab. Seine dramatischen Arbeiten sind höchst sonderbar; man könnte sagen, sie entbehren des Dialogs; wenigstens arbeitet sich derselbe aus der Erzählung nur eben erst hervor. Und selbst mit seiner Erzählung verhält es sich oft ähnlich; er epitomiert die Volksbücher. Den großen Inhalt der