Название | Leopold von Ranke: Historiografische Werke |
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Автор произведения | Leopold von Ranke |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027206056 |
Und hier darf ich mir wohl erlauben, noch einige andere Punkte zu berühren.
Es ist eine verbreitete Meinung, die geistige Entwicklung der Deutschen in Literatur und Poesie sei durch die Reformation aufgehalten worden. Allein, war es nicht die kirchliche Bewegung, welche dem Meistergesange, dessen etwas langweilige Formen schon lange an die Stelle der alten Poesie getreten waren, erst seinen Inhalt gab? Der begeisterte Ausdruck des religiösen Gefühls und Tiefsinnes unserer Nation in dem protestantischen Kirchenliede, wäre er für nichts zu achten? Sinnesweise und Weltansicht des deutschen Bürgerstandes spricht Meister Hans Sachs ehrlich und anmutig, künstlich und belehrend aus; niemals hatte er wieder seinesgleichen, er gilt in seiner Art für alle Zeiten. Die Poesie der Rollenhagen und Fischart hat die ganze Kraft, Einfachheit, Wärme und Wahrheit des deutschen Geistes. Man verkenne nicht das Verdienst der Chroniken des 16.Jahrhunderts; sie haben Studium, Vaterlandsliebe und den Ausdruck einer treuherzigen, mannhaften Biederkeit, wie sie in Leben und Lehre so erwünscht und förderlich ist.
Es lebte noch ungeirrt der alte, in seinem Grunde schaffende, ewig hervorbringende Geist der Nation. Jene tiefsinnigen Fabeln, von Faust oder dem ewigen Juden, und wieder wie viele schöne und zartgedachte Volkslieder verdanken ohne Zweifel ihre Entstehung keinem andern als diesem Jahrhundert. Sollte auch der Genius der Nation, der aus eigenem Antriebe, mit großem und allgemeinem Schwunge, reinere und tiefere Religion wieder erweckt hatte, damit sich selber entgegengetreten sein? Die Werte dieser Zeit ermangeln allerdings der Schönheit der Form, die nur aus selbstbewußter Beschränkung der eigenen Fülle hervorgeht; sie sind mehr künstlich, tiefsinnig und mannigfaltig als eigentlich wohlgestaltet. Welche andere unserer Epochen aber hätte so großes Recht, jene darüber zu tadeln? Oder hätten wir es? Der Vorzüge sinnreicher Vertraulichkeit wenigstens ermangeln wir überdies.
Der lebendige Geist des damaligen Deutschland, gesund und noch sein eigen, schien nur den Augenblick zu erwarten, wo die theologischen Streitigkeiten sich beruhigen würden, um seine Kräfte auf allen großen Bahnen zu versuchen, die dem Menschen ehrenvoll und rühmlich sind. Auch hat man wohl behauptet, mit dem Handel und Wohlstand der deutschen Städte sei es gegen die Mitte des 16.Jahrhunderts schon durch die Einwirkung neuentdeckter Handelswege ziemlich am Ende gewesen. Ich kann dies so im ganzen nicht finden. Wenigstens venetianische Gesandte sehen so gut nach wie vor dem schmalkaldischen Kriege eine Hauptstärke von Deutschland in den Städten. Badoer119 findet sie an wohlgelegenen Stellen erbaut, mit schönen Stadthäusern und Palästen, mit vielen und großen Kirchen ausgestattet, denen selbst der Vorzug vor den italienischen gebühre, reinlich gehalten, bewohnt von wohlhabenden Privatleuten und den geschicktesten Handwerkern der Welt, gut bewaffnet und eifersüchtig auf ihre Freiheit.
Ihm zufolge waren die Seestädte noch keineswegs in Verfall. Den Städten Hamburg, Lübeck, Rostock, Danzig, Riga schreibt er einer jeden 100-150 eigene Schiffe zu. Danzig war vielleicht der zweite oder dritte Handelsplatz der Welt; hier trafen beide Wege zum Orient, der alte russische Landweg und der Seeweg der Portugiesen, wieder zusammen; der europäische Osten und Westen hatten hier ihren großen Austausch, häufig sah man 4-500 Schiffe auf der Reede.120 Noch war der Verkehr im Norden nicht verloren. In dem dänischen Reiche bestätigte der odenseeische Vertrag noch 1560 die Hanse in ihren althergebrachten Freiheiten als die meistbegünstigten Fremden; sie blieben die Herren des Handels auf Schonen, sie hatten den Heringsfang an der norwegischen Küste, der so viel eintrug. In Schweden hatten sie zwar ihre großen Freiheiten, doch lange noch nicht Zutritt und Handelschaft verloren. Dem König zum Trotz eröffneten sie die Fahrt nach Narwa, um mit Rußland unvermittelt in Verbindung zu bleiben.
Ihre wichtigste Station war jedoch noch immer London. Das Privilegium, dessen sie genossen, war so wirksam, daß sie im Jahre 1551 44000 Stück Tuch aus England ausgeführt haben, während die Engländer auf eigenen Schiffen nur 1100 verluden. Die Verbindung Karls V. mit England und die Geschicklichkeit seines Gesandten Hans von Werden121 erhielt sie trotz aller Widersprüche bei ihren hergebrachten Rechten; 1554 verluden sie wieder 30 000 Stück Tuch, wobei sie, wie leicht zu erachten, einen außerordentlichen Vorteil hatten. Aber freilich machte solches Übergewicht, zumal da man nicht immer streng bei den Gesetzen blieb. eine Rückwirkung von England her unvermeidlich, und es kam alles darauf an, einer solchen mit Vernunft und Nachdruck zu begegnen.
Der Zwischenhandel zwischen England und den Niederlanden war noch großenteils in den Händen der Hansen. Die Privilegien der brabantischen Herzoge bestätigte ihnen 1561 Philipp II.; in Antwerpen, dem vornehmsten Sitze des damaligen Welthandels, bauten sie ein neues, prächtiges Residenzhaus. In Frankreich wuchs ihr Gewerbe dergestalt an, daß sie erst damals sich entschlossen, einen beständigen Residenten daselbst zu halten. In großen Gesellschaften unternahmen sie die Fahrt nach Lissabon. Hier sowie in Flandern, in Frankreich und in dem gesamten Westen trafen sie mit den oberdeutschen Landstädten zusammen, die nicht minder in großer Blüte standen.
Rhein und Main waren durch den Verkehr Nürnbergs mit Antwerpen belebt. Die Weltstellung Nürnbergs ist, daß es sozusagen an die Stelle der so oft in Vorschlag gebrachten Wasserverbindung zwischen Rhein und Donau trat. Man hat berechnet, daß die Waren vom Ausfluß des Rheins bis zum Ausfluß der Donau über Nürnberg nur vierzig Stunden Weges zu Lande zu machen hätten. Doch begnügte man sich hier nicht etwa mit reinem Zwischenhandel; schlesische Leinwand, italienische Seide, englische Tuche bearbeitete man erst, ehe sie weiter vertrieben wurden. Man kennt die Mannigfaltigkeit des der Kunst nahe verwandten Handwerks, das von allen Seiten der Welt sich hierher zog und seine Erzeugnisse von hier in alle Welt aussandte. Im Jahre 1544 befand sich einer von unsern Venetianern hier; dieser einsichtige Republikaner kann den Nürnbergern seine Bewunderung nicht versagen. Er rühmt, wie sparsam sie in ihren Häusern leben, wie sie sich nicht allzu prächtig in Seide und kostbares Pelzwerk kleiden, ihre Feste mit Mäßigkeit begehen; wie sie dann, da sie in der Fremde und zu Hause immerfort gewinnen, täglich reicher werden. In demselben Sinne werde die Stadt verwaltet: man könne rechnen, daß sie jährlich bei drei Viertel ihrer Einkünfte erspare; sie müsse einen Schatz von fünfzehn Millionen Gulden haben. Wenn Nürnberg die Tochter von Venedig sei, so habe es die Mutter hierin weit übertroffen. Dabei spare man nicht bei dem Notwendigen; ohne Rücksicht auf die Kosten befestige man die Stadt und rüste sie aus; er habe daselbst bei dreihundert Stück Geschütz, in den Kornhäusern für mehr als zwei Jahre Getreide gefunden; das Volk sei den herrschenden Geschlechtern mehr als irgendwo anders gehorsam. Freilich hatten sich auch diese noch nicht als Adel abgesondert; sie trieben den Handel wie ihre Väter und Mitbürger. Ihr einheimischer Poet findet daß ihnen Weisheit, Gerechtigkeit und Gewalt zur Seite stehe.
Nicht minder blühte Augsburg. Die Kosten des schmalkaldischen Krieges hat man auf drei Millionen Gulden berechnet, doch ist es wohl ein Irrtum, daß die Stadt seitdem sich nie wieder habe erholen können. Im Jahre 1557 rechnet es Badoer unter die blühendsten Städte. Es habe die reichsten Wechsler der Welt, die Fugger, Welser, Baumgartner, deren Geschäft sich auf viele Hunderttausende auf einmal belaufe. Im Jahre 1560 findet es Guicciardini die reichste und mächtigste deutsche Stadt. Wie prächtig, mit wie reichen Geschenken empfing man 1566 Kaiser Maximilian und seine Gemahlin. Erst 1567 versah sich der Rat mit