Название | Leopold von Ranke: Historiografische Werke |
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Автор произведения | Leopold von Ranke |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027206056 |
Das alte Reich war zur Behauptung seiner Sicherheit vortrefflich angelegt. Mir liegt es fern, die Entwicklung des westlichen Reiches als in stetem Übergriff in die Rechte seiner Nachbarn, namentlich der Deutschen, zu betrachten. Es war ihm gegeben, in einem Kampfe, der doch etwas Unvermeidliches hatte, inwiefern er zugleich gegen das überwältigende Umsichgreifen des plantagenetischen Vasallenverhältnisses gerichtet war, eine zentrale Macht von größerer Stärke zu entfalten, von der wir doch auch mannigfaltigen Vorteil empfangen haben, für Kultur und Gelehrsamkeit wie für den Staat. Auch will ich nicht unbedingt auf unsre Entzweiung schelten, die zu jenen Übergriffen Anlaß gab. Metz, Toul und Verdun wurden infolge der Streitigkeit Frankreichs mit dem Hause Österreich-Burgund, welches die reichsoberhauptliche Gewalt ausübte, und zugleich durch innere religiöse Kämpfe, welche eine Wendung gegen dieses Haus nahmen, dem Hause entfremdet. Um nicht dem in Aussicht stehenden Kaisertum Philipps II. zu verfallen454 und die Beschlüsse des tridentinischen Konzils annehmen zu müssen, haben die Protestanten unter Führung des geistvollen Kurfürsten Moritz von Sachsen es zugegeben, daß der König von Frankreich das Reichsvikariat in dieser Gegend in Besitz nahm. Es war ein Preis seiner Unterstützung, gelang aber durch eine eifrig katholische Partei in der Stadt.455 Karl V. erschien mit all seiner Macht zur Belagerung vor Metz, aber allzu ungünstige Jahreszeit und ein trefflicher Kriegsmann, der Herzog von Guise, der es verteidigte, nötigten ihn, gegenüber von Krankheit und Regenwetter die Belagerung aufzuheben.
Jedes Jahrhundert hat nun einmal seine eignen Aufgaben und Machtbedingungen. Aber man muß dessen gedenken, was im Laufe der Zeiten aus jenen Anfängen entsprungen ist. Unsre Entzweiung überstieg alles Maß. Als den Moment der tiefsten Erniedrigung des deutschen Reiches als eines Ganzen kann man die Überwältigung Straßburgs durch Ludwig XIV. betrachten, als eine der wichtigsten Reichsstädte, gegen den übermächtigen Nachbar allein gelassen, durch einen von demselben gewonnenen Magistrat im Gegensatz mit einer Bürgerschaft, die sich dennoch zu verteidigen wünschte, in die französische Hand geriet. Es ist ein großer historischer Augenblick, daß sie nach 189 Jahren ihrer Entfremdung fast an dem Jahrestage der ersten Eroberung Ludwigs XIV. wiedergewonnen ist. Und daß nun aus unsrer Entzweiung, welche in den erwähnten Zeiten so stark war, daß sie uns das Bewußtsein unsrer Nationalität kostete, dieses wiedererwacht und zu einer großartigen Erscheinung gebracht ist, das ist eben das welthistorische Ereignis, welches eine neue Ära verkündigt.
Wir nehmen nichts voraus, aber der Augenschein zeigt, daß das welthistorische Verhältnis, welches die letzten beiden Jahrhunderte beherrscht hat, sich umgestaltet und das Übergewicht sich auf die Seite des östlichen Reichs neigt, dem es jedoch nicht beikommt, die Freiheit des westlichen zu beschränken und zu beherrschen. Es kann nicht darauf ankommen andre zu erdrücken, sondern nur uns selber zu behaupten, die errungnen Siege dahin zu entwickeln, daß wir uns vor niemand zu fürchten haben und die Einheit der Nation wiedergewinnen, die uns mangelt, ohne die Besonderheiten, die auch ihre historische Berechtigung haben, zu vernichten.
Diesen Eindruck macht auch das Zusammenwirken aller deutschen Stämme und Staaten in diesem großen Kampfe. Die gemeinschaftlich bestandne Gefahr und die gemeinschaftlich errungnen Erfolge müssen allem menschlichen Ansehen nach alle wieder aufs engste zusammenknüpfen. Das, was geschehen, ist aber schon ein historischer Moment, der es vielleicht verdient auch hier zur Sprache gebracht zu werden, denn der Vergangenheit sind unsre Studien gewidmet, der Gegenwart unsre Sympathie, der Zukunft unsre durch beide berechtigten Hoffnungen und Wünsche.
58. Fürst Bismarck
Aus Rankes Nachlaß mitgeteilt von Alfred Dove. Ausgewählte Schriftchen. Entwurf einer Betrachtung zu Bismarcks 70. Geburtstag, 1885.
Der preußische Staat mußte von dem Druck, welchen die auswärtigen Verhältnisse ihm auferlegten, befreit werden. Der dänische, der österreichische und der französische Krieg sind daraus gleichmäßig hervorgegangen. Dem Einfluß einer fremden Nationalität auf das nördliche Deutschland, der auf einem dynastischen Verhältnis beruhte, welches eben unterbrochen wurde,456 mußte ein Ende gemacht werden, wenn die Nation jemals ihrer Einheit innewerden sollte. Aber der Hader, der zwischen den beiden in Deutschland vorwaltenden Mächten lange bestand und hierdurch noch geschärft wurde, konnte unmöglich länger fortdauern, wenn der preußische Staat seiner vollen Unabhängigkeit sich erfreuen sollte. War doch vor kurzem der Versuch gemacht worden, die Einheit der Nation in dem Hause Habsburg zur Darstellung zu bringen. Die Bundesfürsten, der Bundestag schienen sich dem zu fügen. Der gordische Knoten der deutschen Verwicklungen konnte nicht gelöst, er mußte zerhauen werden. Dies konnte nicht unternommen werden ohne Gefährdung der eignen Existenz: auf diese Gefahr hin wurde es unternommen. Aber dank der Ausbildung, welche eine lange vorausrechnende Sorge der Regierung dem militärischen Geiste des Volks und der Armee verschafft hatte, gelang es vollkommener, als man je erwartet hatte. Der einzige Bundesstaat, der sich dem wirksam entgegensetzte, wurde vernichtet. Dem alten Nebenbuhler wurde kein Fuß breit Landes entrissen; aber ein neuer Bund wurde geschlossen, der den Einfluß desselben auf das übrige Deutschland abschnitt.
Der Sieg von Sadowa eröffnete eine neue Ära für die Politik der Welt, nicht alle Welt aber akzeptierte ihn. Noch immer wollte Frankreich den Einfluß nicht entbehren, welchen es früher in Deutschland ausgeübt und zu Anfang des Jahrhunderts beinahe zu einer wirklichen Oberherrschaft ausgebildet hatte. Es hoffte noch immer, die Niederlagen, die es danach erlitten, durch eine neue Erhebung wettzumachen. Man hat später erfahren, wie tief das noch immer auf die Zersetzung in Deutschland wirkte; alle Hoffnungen, die alten Zustände wiederherzustellen, schlossen sich an Frankreich. An und für sich hätten die beiden Nationen wohl nebeneinander bestehen können. Unausgesetzte Eifersucht aber bewirkte endlich einen Bruch, der zum Kriege führte, in welchem die Monarchie Friedrichs des Großen den Sieg über die napoleonischen Tendenzen und ihre Streitkräfte davontrug. Hierdurch erst wurde die volle Unabhängigkeit gesichert. Was die politischen und militärischen Führer der letzten Jahrzehnte geträumt, wurde vollendet. Es liegt die größte Befriedigung des Selbstgefühls einer Nation darin, wenn sie weiß, daß auf Erden kein Höherer über ihr ist. Gleichsam von selbst geschah es dann, daß die preußische Monarchie sich zum Deutschen Reich erweiterte; alle die, welche den Sieg hatten erfechten helfen, nahmen Teil an der neuen Gestaltung.
Drei kriegerische Handlungen, deren wahre Ursache in der Entwicklung der inneren Kraft lag, deren Beginn und Gang jedoch nicht ohne den die auswärtigen Geschäfte leitenden Minister vollzogen werden konnte, welcher die Einheit der Idee in sich selbst trug und in jedem Moment der Differenzen gegenwärtig erhielt. Die größte intellektuelle Fähigkeit hatte sich mit dem universalen Interesse identifiziert. Notwendig fiel es ihr zu, dann auch den Frieden zu leiten, die allgemeine Teilnahme an der Besorgung der öffentlichen Angelegenheiten verfassungsmäßig zu sichern. Noch weniger als bisher könnte ich hier auf eine Einzelheit eingehen, ich will nur beim Allgemeinsten stehen bleiben, ohne die Irrungen zu berühren, die dann eintreten mußten und eingetreten sind. Das vornehmste Objekt von allen ist die Organisation der nationalen Institute, welche dem entsprechen mußte, was in den europäischen Staaten überhaupt die maßgebende konstitutionelle Idee geworden ist, zugleich aber das Verdienst hatte, das Volk selbst in seiner Tiefe zu ergreifen und heranzuziehen. Das gehörte nun einmal zu dem Ganzen der Umwandlung, die sich vollzog. Wir sind inmitten derselben begriffen. So widerwärtig und verabscheuungswürdig die Ausschreitungen sind, die dabei dann und wann vorkommen, so läßt sich doch erwarten, daß die Belleitäten des Umsturzes durch den Gedanken der allgemeinen Umfassung und Entwicklung aller Kräfte zurückgedrängt werden.
Aber noch etwas andres möchte ich von meiner Seite in Erinnerung bringen. Die wissenschaftlichen Studien, die nie in größrer Ausdehnung in Deutschland geblüht haben als heutzutage, bedürfen des Friedens, denn nur aus langjähriger