SKIN MEDICINE - Die letzte Grenze. Tim Curran

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Название SKIN MEDICINE - Die letzte Grenze
Автор произведения Tim Curran
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958350298



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Aus unbekannten Gründen hatte Hiram erst sein linkes Handgelenk aufgeschlitzt, dann sein rechtes. Dann war er in den Sarg gestiegen. Seine Faust umklammerte noch das Skalpell. Im Sarg war die Leiche von James Lee Cobb gewesen. Aber niemand hatte eine Ahnung, wohin diese Leiche verschwunden war.

      Dann also Selbstmord.

      Das Einzige, was dem Gerichtsmediziner auffiel, waren die blauen Flecken an der Kehle und die zerquetschte Luftröhre. Aber er war bereit, darüber hinwegzusehen, da er keine brauchbare Erklärung hatte und Caleb kein Interesse zeigte, der Sache nachzugehen.

      Die Toten sollen ruhen, hatte Caleb gesagt.

      In Ewigkeit. Amen.

Zweiter Teil

      2-1

       Sieben Monate später …

      Der schwarze Himmel entblätterte sich wie aus einem Korsett und schüttete eiskalten Regen wie aus Eimern herab. Der Regen fand den Wind und verband sich mit ihm zu einem tobenden, zornigen Etwas, das auf die Landschaft einprügelte, peitschte, um sich schlug und alles mit Blut in den Adern zwang, Schutz zu suchen. Staubiger, von der Sonne rissiger Boden wurde zu Schlamm. Schlamm wurde zu Sumpf. Sumpf wurde zu Flüssen und Bächen, die über ihre Ufer traten und die Welt versinken ließen.

      Zwei Stunden nach Sonnenuntergang begann das Wasser zu gefrieren, der Regen wurde zu Schnee, und Eis überzog die San Francisco Mountains. Durch den Malstrom kam ein einsamer Reiter, der durch Schlamm, Schnee und eiskalten Regen trabte.

      Sein Name war Tyler Cabe, und er war Kopfgeldjäger.

      Gehüllt in einen gelben Regenmantel, der ihn wie eine nasse, flatternde Haut umgab, ritt Cabe in Whisper Lake ein. Viel von der Stadt konnte er durch den dichten Schneefall nicht ausmachen, der zu prasselndem Regen und dann wieder zu dichtem Schneetreiben wurde. Aber er war einfach froh, irgendwo anzukommen. Irgendwo, wo er Wärme und etwas Heißes zu essen finden konnte.

      Er setzte seinen Rotschimmel in Galopp und brachte ihn im ersten Reitstall unter, den er finden konnte, und verstaute seine Satteltaschen und Gewehre. Dann lief er durch die schlammigen, die Stiefel ansaugenden Straßen und fiel durch die Tür eines mit Zeltplane überspannten Saloons namens Oase. Der Boden war mit Sägespänen bedeckt. Es gab eine Bar und Tische, an die Bänke aus Pinienholz gestellt waren. Ein Holzofen in der Ecke spie schmierige Rußwolken aus, die sich mit Tabakrauch, billigem Parfüm und Körpergerüchen mengten. Ein Dutzend abgerissen und geschlagen aussehender Männer waren über Bier und Whiskey gebeugt. Ein einsamer Glücksritter spielte in der Ecke Solitär.

      Whisper Lake war eine Stadt, die praktisch den Minengesellschaften gehörte, soviel Cabe wusste. Diese Männer und alles um sie herum waren entweder Eigentum einer Minengesellschaft oder existierten mit ihrer Erlaubnis.

      Cabe schüttelte den Regen von seinem Stetson mit dem Hutband aus Klapperschlangenleder, zog seinen Regenmantel aus und hängte beides an einen Haken in der Nähe des Holzofens. Gekleidet in gestreifte Hosen, hohe Stiefel und einen schwarzen Gehrock, setzte er sich auf einen Hocker an der Bar und studierte das darüber hängende Ölgemälde, auf dem ein fleischiges Flittchen seinen Charme spielen ließ. Er betrachtete sich im Spiegel – die Narben, die sich quer über sein knochiges Gesicht zogen, die scharf blickenden grünen Augen, die aus schmalen Schlitzen spähten.

      »Durstig, Freund?«

      Cabe blickte hinüber zum Bartender, einem schwergewichtigen Mann mit einem Hals, der so dick war wie der Stumpf einer Schwarzpappel. Seine Nase war platt und die Augen schauten aus verquollenen Fleischpolstern. Er machte den Eindruck eines Faustkämpfers.

      »Yeah«, sagte Cabe. »Will verdammt sein, wenn nicht.«

      »Bier? Whiskey? Hab Roggenwhiskey da, wenn das deinen Geschmack trifft.«

      Cabe schüttelte den Kopf. »Nein, nichts in der Richtung. Ich brauche etwas, das mich aufwärmt. Bin mir nicht sicher, ob das da zwischen meinen Beinen ein Schwanz ist oder ein Eiszapfen.«

      Der Barmann lachte. »Frank Carny«, stellte er sich vor.

      Cabe nannte seinen Namen. »Kämpfst du?«, fragte er.

      »Früher mal«, sagte Carny. »Vor vielen Jahren.«

      »Hat’s was gebracht?«

      »Ich konnte ganz gut mithalten. Mit meinem linken Auge kann ich nichts mehr sehen, zu viele Treffer. Ein kluger Mann macht was anderes mit seinem Kopf und nimmt ihn nicht als Sandsack.«

      Cabe nickte, das ergab durchaus Sinn.

      Einer der Minenarbeiter an der Bar lachte. »Wo kommst du her?«

      »Bin den ganzen Tag geritten«, sagte Cabe. »Aus Nevada. Hab schon gedacht, ich würde es nicht mehr schaffen.«

      »Ein beschissener Tag für so eine Tour«, sagte der Minenarbeiter. Er drehte sich zum Barmann um. »Mach ihm was Besonderes, Frank.«

      Carny grinste. »Jemals einen Brigham Young getrunken?«

      Cabe blickte ihn nur an. »Einen was?«

      »Brigham Young«, sagte der Minenarbeiter. »Einer davon, und du wirst ein eingeschworener Freund der Vielweiberei.«

      Cabe grinste.

      »Oder vielleicht einen Wild Bill Hickok? Zwei Schluck und du wirst ein reizbarer Revolverheld. Du ziehst gegen jeden sofort deine Knarren.«

      Cabe gestattete sich ein Lachen.

      Der Bartender schüttelte mit dem Kopf. »Nope, ich denke, unser Freund hier braucht einen Crazy Horse. Du kippst einen hinter und nimmst es dann mit der Siebenten US-Kavallerie auf.«

      Carny begann zu schütten und zu mixen und der Geruch von Alkohol war so stark, dass sich Cabes Nackenhaare kräuselten. Ein Glas wurde vor ihn hingestellt. Er fragte nicht einmal, was drin war. Als er es zu seinen Lippen führte, spürte er, wie sich die Dämpfe nach oben durch seine Nase brannten, geradewegs ins Gehirn. Er setzte das Glas an und stürzte es mit einem Schluck herunter.

      Ach du lieber Gott.

      Das Getränk landete in seinem Magen wie flüssiges Metall, ließ Eis schmelzen und trockenen Zunder auflodern zur Mutter aller Feuerstürme. Cabe begann zu husten und zu würgen und zu spucken, und für einen göttlichen Moment sah er das Gesicht des Herrn … und dann streckten sich Finger voller Wärme in ihm aus, entzündeten ihn an Orten, von denen er nicht wusste, dass sie brennen konnten.

      »Verdammt«, sagte er. »Gottverdammt.«

      Ein paar der Minenarbeiter lachten. Carny schmunzelte.

      Cabe fand seinen Sitzplatz wieder, bestellte noch einen. Er drehte sich eine Zigarette und steckte sie an. Alles in ihm loderte nun sehr angenehm, und ganz ehrlich, nichts auf der Welt kümmerte ihn. Seit nun schon sechs Wochen folgte er einem Mann, einem Killer, aber in diesem Moment hätte er zusammen mit ihm Whiskey trinken können. Der Crazy Horse war ein verdammt feiner Drink.

      Vorsichtig schlürfte er den zweiten. »Ich glaube, seit dem Krieg hat man mir den Arsch nicht mehr so gründlich versohlt, Gentlemen.«

      Carny nickte, wischte ein paar Gläser aus. »Auf welcher Seite hast du gekämpft?«

      »Für die Konföderierten«, sagte Cabe lediglich. Jeden Tag dachte er an den Krieg, aber er sprach nicht davon. Manche Dinge blieben besser in der Vergangenheit. »Und du?«

      Carny schüttelte den Kopf. »Ich war nicht dabei. Mein Bruder ist in der Schlacht bei Shiloh gefallen, für die Union, Achte Illinois-Infanterie.«

      »Tut mir leid«, sagte Cabe und meinte es ernst. »Tut mir wirklich leid. Eine Menge guter Jungs sind auf beiden Seiten gestorben, und je älter ich werde, desto mehr frage ich mich, worum zur Hölle es eigentlich ging.«

      »Amen«, sagte der Minenarbeiter.

      Jemand hustete, würgte daraufhin und murmelte etwas. Am anderen Ende der Bar