Название | SKIN MEDICINE - Die letzte Grenze |
---|---|
Автор произведения | Tim Curran |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783958350298 |
»Ich dachte, du magst keine Indianer?«
»Mit dem war es was anderes.«
Hyden nickte ein paar Mal mit dem Kopf. »Ich glaube, die Geschichte haut hin. Mein Grandpappy Joe hat gesagt, Spirit Moon wäre halb Dämon, halb Mensch, und könnte alles tun, was er wollte. Grandpappy hat mal erzählt, wie ein Arbeiter in einer Kupfermine seine Hand bei einem Einsturz verloren hatte, und Spirit Moon hat was draufgeschmiert, irgendwelche Mächte angerufen und einen Monat später war die Hand wieder nachgewachsen. Alles wahr, hat Grandpappy Joe gesagt. Spirit Moon hätte Augen wie Kohlen gehabt, hat er gesagt. Wenn diese Augen dich anblickten, warst du nie wieder derselbe.«
»Das Land ist voller Bullshit, Sohn.«
»Manches davon ist wahr.«
»Möglich.«
»Es gab mal einen Paiute von den Cedar-Indianern, der hatte zwei Köpfe«, sagte Hyden. »Einmal habe ich ihn gesehen. Wirklich wahr.«
Goode lachte. »Als Nächstes erzählst du mir, dass du mit deinem Schwanz einen Bronco einfangen kannst und dann immer noch genug Kraft hast, um ein Tanzhallenmädchen im Dunkeln zu vernaschen.«
Hyden spürte seine Ohren glühen, als ob sie jemand gebrandmarkt hätte. »Wenn du das nicht glaubst, warum erzählst du dann von Walking Mist?«
»Zum Zeitvertreib, Junge, nur zum Zeitvertreib. Und um zu sehen, wie leichtgläubig du bist. Und verdammt noch mal, du bist leichtgläubig. Dieser Ute-Indianer hat geglaubt, was er mir erzählt hat, aber von dir als Weißem hätte ich mehr erwartet. Hätte ich gewusst, dass du an Gespenster glaubst, hätte ich mir einen anderen Jungen als Begleitschutz gesucht.«
»Mein Grandpappy Joe …«
»Dein Grandpappy Joe war voller mit Scheiße als eine Jauchegrube«, sagte Goode. »Und nimm’s mir nicht übel, Sohn. Aber er hat einfach viel erzählt, wenn der Tag lang war, das ist alles. Jetzt aber Schluss, genug rumgesponnen.«
Und es war genug.
Hyden dachte an Skull Valley. Tags zuvor waren sie in ein kleines Goshute-Lager am Rand eines mit Höhlen durchlöcherten Berges gekommen. Ein junger Bursche im Armeehemd und mit Melone auf dem Kopf hatte auf sie am Wegesrand mit der Pinienkiste gewartet. Ein paar alte Männer, in Wolldecken mit indianischen Mustern gehüllt, hatten lose herumgestanden und sinnloses Zeug gemurmelt. Der Bursche – wie ein Medizinmann sah er nicht aus – hatte Goode wortlos bezahlt, er schien fast erleichtert zu sein. Die Leiche war die eines Weißen, der Verwandte in Whisper Lake hatte. Was die Goshute damit zu tun hatten, erfuhren sie nicht, und sie stellten keine Fragen. Aber wenn er jetzt darüber nachdachte, fragte sich Hyden, was es mit diesen alten Männern auf sich hatte und ob der junge Bursche irgendwie mit Spirit Moon verwandt oder befreundet gewesen war.
Schwer zu sagen.
Hyden hatte keine Ahnung, ob es Goshute oder Snake gewesen waren. Einmal nur hatte er Spirit Moon gesehen. Drüben in dem Laden in Ophir im Toole County. Spirit Moon war mit seinen Söhnen da gewesen. Sie hatten seinen Wagen beladen. Der alte Mann war in eine Kutte aus Büffelfell gewickelt und in seine Haare waren Glasperlen und Federn geflochten. Sein Gesicht war ein Labyrinth feiner Narben, das sich wie windende Maden zu bewegen schien. Hyden hatte sich daraufhin weggedreht, bevor der alte Mann ihn ansehen konnte. Bevor …
In der Kiste bewegte sich etwas, und diesmal hörten es beide.
Sie blickten sich im unheimlichen Licht der flackernden Laterne an, so etwas wie Furcht in ihren Gesichtern. Schnell drehten sie sich weg. Hyden leckte seine Lippen, aber er hatte keinen Speichel mehr.
Irgendetwas ging hier vor sich.
Er könnte jetzt so tun, als wäre nichts, aber um sie herum braute sich etwas zusammen wie ein Hitzegewitter, und beide konnten es spüren. Doch sie waren Männer. Erwachsene Männer, die einen Job zu erledigen hatten.
Aus der Kiste kam ein Stoß, dann ein Knirschen.
»Junge«, sagte Goode, der sich Mühe geben musste zu atmen, »wirf mal einen Blick nach hinten, um Himmels willen … was zur Hölle höre ich da?«
Hyden fühlte weiß-heißes Grauen im Bauch, fühlte, wie es nach oben in seine Brust kroch. Er beugte sich über den Sitz nach hinten, Schrotflinte in der einen, Laterne in der anderen Hand. Über seine Haut jagten kribbelnde Wellen. Er fror bis auf die Knochen … und das lag nicht an der klammen Aprilnacht. Er schaute auf die Kiste, über deren Deckel das Licht der Laterne züngelte. Die Messingbänder waren alle noch an ihrem Platz. Alle Nägel – Himmel, das mussten an die hundert sein – waren nach wie vor in den Deckel geschlagen. Aber … aber sah es nicht fast so aus, als würden fünf oder sechs jetzt ein wenig überstehen? Vielleicht so, als ob etwas sie von innen herausdrücken würde? Hyden spürte, wie sich ein grausiges Gewicht auf ihn legte, ihn zermalmte wie eine Grabplatte aus Granit. Er fühlte sich schwach, geradezu paralysiert. Die Atmosphäre um ihn herum war gebleicht, gesäuert, gefüllt mit etwas, das ihm geradewegs das Herz aus der Brust riss.
Er beobachtete, wie zwei Nägel mit einem Knarzen aus dem Deckel glitten. Sie sprangen heraus und klackerten in die Ladeluke.
»Was war das, beim Allmächtigen?«, fragte Goode. Seine Stimme klang abgewürgt und trocken. Der Mond kam wieder hervor und seine Oberfläche sah verfärbt und kränklich aus. »Antworte, Junge! Was war das?«
»Nägel …«, versuchte Hyden zu sagen, aber in seiner Lunge war keine Luft mehr. Nur etwas Pfeifendes und Verwehtes, wie Sand in der Wüste. »Die Nägel … sie fangen an, herauszuspringen …«
»Die Scheiße bildest du dir ein!«, rief Goode. »Oder … oder die Leiche bläht sich auf. Habe schon erlebt, wie sie eine Kiste glatt aufsprengen … passiert manchmal.«
Aber Hyden schüttelte den Kopf. So etwas geschah nicht, wenn es kalt war.
Dann hörten sie es beide. Laute Geräusche aus dem Inneren der Kiste – ein Schaben und Kratzen von Fingernägeln auf Holz. Entsetzen spiegelte sich in den Augen beider Männer. Ein ungeheures, unbarmherziges Entsetzen, das sich wie Tränen ergoss und in die Nacht herausströmte, sie umgab, sie einschloss, sie eng in ein Leichentuch wickelte. Die Dunkelheit glitt heran und flüsterte. Dann: bamm, bamm, bamm. Hämmernde Fäuste.
Goode zog scharf die Luft ein: »Los geht's, los geht's!«, schrie er die Pferde an. Seine Peitsche krachte wie Donner. »Los geht's, ihr Hurenböcke, los geht's!«
Hyden beobachtete weiter die Kiste und fragte sich, ob vielleicht seine Schrotflinte etwas ausrichten würde gegen das, was da herauszuklettern versuchte. Was auch immer da drin vor sich ging: Es war nichts Gutes. War nicht von dieser Welt. Obskure Mysterien gärten dort, ein Gebräu dunkler Alchemien, spektrale Wahrheiten, die mit den Zähnen fletschten. In der schwarzen, übel riechenden Dunkelheit atmete etwas, war wach. Und dieses Etwas war furchtbarer als alles, was Hyden sich vorzustellen vermochte.
Jetzt kam der Wagen richtig ins Rollen, raste eine lang gezogene Kurve entlang, die die Berge durchschnitt. Sie führte über eine knackende hölzerne Brücke, die einen reißenden, eisigen Fluss überspannte.
»Nur noch ein paar Meilen!«, schrie Goode, während der Wagen seinem Ziel entgegen donnerte, die Pferde vorwärts stürmend, als sei der Teufel persönlich hinter ihnen her … und möglicherweise war er das. Goode blickte besorgt zu Hyden hinüber, dann zurück zu der Kiste. »Halt durch! Ich kann schon … yeah, da unten kann ich die Lichter sehen!«
Hyden nahm ihn beim Wort.
Er drehte sich nicht um, sah nicht nach.
Er konnte sich nicht umdrehen und nachsehen.
Seine weit aufgerissenen Augen blickten starr, der eisige Wind versetzte ihm unbarmherzige Stöße. Aber er spürte es nicht. Spürte nicht seine tauben Finger um den hölzernen Gewehrschaft. Spürte nicht die eisige Leichenhauskälte, die in seine Knochen kroch und sie wie tiefgefroren eisenhart erstarren ließ. Die Kiste war das Einzige, was er wahrnahm. Sie war der Mittelpunkt