Название | Das Buch des Kurfürsten |
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Автор произведения | Marlene Klaus |
Жанр | Языкознание |
Серия | Kurpfalz-Trilogie |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941408364 |
Bevor die Verzweiflung ihn erneut übermannte, straffte er entschlossen die Schultern. Es half ja nichts. Er musste los. Also trat er zur Waschschüssel, die auf der Truhe stand, wusch sich mit dem kalten Wasser das Gesicht, spülte den Mund aus, um den bitteren Geschmack loszuwerden. Griff mit beiden Händen ins Haar, strich es mit gespreizten Fingern nach hinten. Dann öffnete er die Tür. Vermaledeit! Bestimmt zwei Zoll hoch lag der Schnee auf der Außentreppe.
Hell schimmerte der Hof unter ihm in der Dunkelheit. Wittib Ringelers Ältester war dabei, den Weg zum Abtritt frei zu fegen. Dick eingemummt war er und sah nicht auf, obwohl das Knarren der Tür zu hören war, als Philipp sie schloss. Eine Laterne mit einer brennenden, dicken Kerze hing an einem kahlen Ast des alten Apfelbaumes neben dem Abtritt.
Philipp überlegte, ob er die Stiegen frei fegen sollte, als seine Vermieterin durch die Küchentür am Fuß der Treppe in den schmalen Hof kam. Wittib Ringeler, den Schopf zur Gänze von einem zweifarbig gestreiften, im Nacken geknoteten Tuch eingehüllt, dessen langes Ende ihr im Rücken wie eine Schärpe auf dem wollenen Umhang lag, trug den Nachttopf in der einen, einen Eimer in der anderen Hand. Sie gab acht, dass sie nicht ausrutschte und stapfte mit festen, vorsichtigen Schritten gen Abtritt.
Als spüre sie ihn im Rücken, wandte sie den Kopf und sah zu ihm herauf. „Ach, aber da seid Ihr ja, Herr Eichhorn!“, rief sie. „Wo wart Ihr gestern Abend? Ihr wolltet doch das Mädchen zu mir bringen.“
Jäh kam Philipp dies zu Bewusstsein. Sie hatten Juli bei Wittib Ringeler lassen wollen, während sie mit den Freunden feierten. Was nun?
Ihr Sohn hielt mit Kehren inne, sah herauf und grüßte. Er hatte eine schmale Gasse frei gefegt, keine halbe Rute mehr bis zum Bretterverschlag, hinter dem der Abtritt lag.
Philipp erwiderte den Gruß. Zum Henker, er konnte nicht wie angewurzelt hier oben stehen bleiben. Außerdem musste er dringend pissen. Vorsichtig stapfte er die schneebedeckten Stufen hinab. Was sollte er sagen?
Er war kaum am Fuß der Treppe angelangt, da hob Wittib Ringeler beide Arme leicht an und klagte: „Nicht mal den Unrat kann man ungehindert in die Schissgrube werfen, Herr Eichhorn! All der Schnee! Gott sei Dank ist der Nachttopf nicht eingefroren. Einen Guten Morgen auch!“
Den wünschte er ihr nun ebenso. Philipp hatte nichts gegen seine Vermieterin. Sie war freundlich und hilfsbereit, hatte Hedwig sowohl während der Schwangerschaft als auch nach der Geburt beigestanden, und jeden Montag und Mittwoch kochte sie für ihn und Hedwig mit, da sie keine Küche hatten in ihren beiden Räumen, die einst von der gesamten Familie Ringeler bewohnt worden waren. Aber seit der Mann vor acht Jahren gestorben war, musste die Witwe schauen, wie sie mit ihren sechs Kindern zurechtkam. Gleichwohl hielt sie den Mietzins moderat und schlug für das Essen lediglich zehn Kreuzer drauf.
Deshalb war es Philipp gerade jetzt eine Qual, sie zu treffen. Er war voller Sorgen und hatte Angst, dass man sie ihm anmerkte. Er suchte sich daher so knapp wie möglich zu halten, indem er raunte: „Hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich rasch zuerst …?“ Er nickte gen Abtritt.
„Geht nur, geht!“, rief die Witwe. „Mach Platz, Lutz. Lass Herrn Eichhorn durch!“
Philipp hastete an dem aufgeschossenen Burschen vorbei.
Dann saß er auf dem Balken über der Schissgrube und stöhnte leise. Der Arsch wollte ihm anfrieren, so kalt war das. Er stützte die Ellbogen auf die Knie, barg den Kopf in den Händen. Vermaledeit, vermaledeit, vermaledeit. Musste sie ihm ausgerechnet heute Morgen über den Weg laufen. Wegen des Schnees war sie vermutlich später dran als sonst. Was sollte er ihr sagen, sie würde eine Antwort erwarten. Na, Dummkopf, das Gleiche wie Hedwigs Brotherrn. Ihm grauste davor. Er musste zu Beliers. Er musste einen ganzen vermaledeiten Tag warten, bis er Hedwig wiedersähe. Die Sorge zerfraß ihn. Draußen die Kehrgeräusche, Lutz’ Schnaufen. Er nahm einen der kleinen Lappen, die in einem Holzkästchen neben dem Balken lagen, und wischte sich sauber. Diese Eigenart der Wittib Ringeler schätzte er. So sie nicht selbst welche hatte, kaufte sie von Lumpensammlern alte Lappen, schnitt sie in kleine Stücke und sorgte dafür, dass der Vorrat neben dem Schissbalken nicht ausging. Auch wenn die Lappen nun starr und kalt waren, mochte Philipp das angenehme Gefühl von Sauberkeit. Als er fertig war, nahm er eine Kelle voll Kalk aus dem Eimer und warf ihn in die Grube hinunter. Auch darauf legte die Witwe Wert. Es mindere den Gestank, und wenn alle das täten, hingen die Fäulnis-Ausdünstungen nicht so sehr in den Gassen der Stadt, war die Witwe sich sicher.
Er ging hinaus.
Wittib Ringeler wartete am Apfelbaum. Nachttopf und Eimer hatte sie neben sich abgestellt, aus beiden stank es. Sie schaute ihrem Sohn zu. Der machte noch zwei, drei letzte Schlenker mit dem Besen, richtete sich auf und sagte: „Fertig.“
Philipp wollte ein Danke murmeln und sich vorbeistehlen, da fasste ihn Wittib Ringeler am Arm, neigte den Kopf näher zu ihm und raunte verschwörerisch: „Jägermeister Simmel hat mir eine schöne Lammschulter angeboten … Jaja, geh du schon rein“, richtete sie sich armwedelnd an ihren Sohn, ehe sie sich wieder Philipp zuwandte. „Günstig, wenn Ihr versteht. Da hab ich nicht Nein gesagt.“ Sie lächelte listig. Lutz stapfte davon. „Mit Rüben und Kraut gibt das ein kräftiges Süppchen, was? Freut Euch auf heute Abend!“
Heute Abend?
Mittwoch!
Philipp nahm sich zusammen. Doch noch ehe er „Sicher“ murmeln konnte, zeigte sich die Witwe bestürzt, sie reckte den Kopf näher an sein Gesicht, ihre Hand fuhr zum Mund und sie rief: „Aber was ist denn mit Eurer Wange? Ihr habt Euch doch nicht geprügelt gestern Abend?“
„Nein, nein“, entgegnete er rasch.
Sie hob die kräftigen dunklen Augenbrauen, die über der Nasenwurzel fast zusammenstießen. „Das sollt Ihr auch nicht!“ Sie nahm wieder Abstand, winkte tadelnd mit dem Zeigefinger und ergänzte: „Auch zu viel Wein ist nicht gut.“
„Ich …“, stammelte Philipp, der nicht wusste, was er sagen, wie er dieser Besorgnis auskommen sollte.
„Schon gut. Ich dringe nicht weiter in Euch. Ihr seid jung.“ Sie lächelte. Philipp wollte sich endlich erleichtert mit einem Gruß verabschieden, als die Augenbrauen sich erneut hoben und Wittib Ringeler, indem ihr Blick zur Treppe huschte, fragte: „Hab die Kleine noch nicht gehört. Ist doch alles in Ordnung? Ihr habt sie wohl doch mitgenommen gestern Abend?“
Das war nicht anders zu erwarten gewesen, er hatte es befürchtet. Was nun? Er sah die Dellen und Grübchen im Kinn seiner Vermieterin. Er kniff die Augen zusammen. Wand sich innerlich. Es half ja nichts. Er würde Beliers die gleiche Lüge erzählen müssen. Wie er es verabscheute!
„Hedwig ist gestern Abend nach Reilingen aufgebrochen. Ihre Mutter ist krank.“
„Herr im Himmel, hilf! Es ist doch nichts Schlimmes? Und Ihr habt das arme Ding allein ziehen lassen?“
Grundgütiger, daran hatte er nicht gedacht. Und jetzt? Er sah Wittib Ringelers Blick und erkannte, dass sie eher vermutete, er und Hedwig hätten einen handfesten Krach hinter sich und das Mädchen wäre in die Arme ihrer Familie geeilt. Aber all das war ja nicht so, weder das eine noch das andere stimmte, und am liebsten hätte er ihr dies ins Gesicht geschrien. Er wollte das hier nicht. Er wagte kaum, sie anzusehen. Er hatte Angst, sie könne ihm im Gesicht ablesen, dass er log. Wie er es hasste, dies tun zu müssen! Wie er hasste, dass es letztlich doch so einfach ging: „Nein, ihr Vater sandte einen Boten, mit dem ging sie mit. Ich hab beide zum Speyerer Tor begleitet“, hörte er sich sagen.
„Ach weh, und Euer kleines Mädchen? Sie hätte sie doch bei mir lassen können, nicht dass sie auch noch krank wird! Die Amme ist ja nicht weit. Ach je, der Herr erbarme sich, dass sie die Reise wohlbehalten übersteht! Na, kräftig ist sie ja.“
Philipp nickte unbestimmt.
„Ich dachte mir gleich, Ihr saht so bekümmert drein. Ich sah