Название | Das Buch des Kurfürsten |
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Автор произведения | Marlene Klaus |
Жанр | Языкознание |
Серия | Kurpfalz-Trilogie |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941408364 |
Er bezwang sich, hörte sich raunen: „Das Buch nur gegen mein Weib und meine Tochter!“
„Komm!“, befahl der Mann lediglich knapp.
Er ließ Philipp vorangehen Richtung Friesenberg. Rechter Hand kleine Häuser, schief, schneebedeckt und dunkel. Zwischen zweien ein freies Grundstück. Der Fremde bedeutete Philipp, die Gasse zu verlassen. Geröllbrocken, eine weiß bestäubte, fast mannshohe Hecke. Philipps Herz schlug schneller. Hatte der Hundsfott Hedwig und Juli hier verborgen? Ein Kopfrucken, er sollte Hecke und Steinhaufen umrunden. Bang war ihm, so bang, dass Hedwig hier läge, und dann jäh das Erkennen, dass sie nicht hier war, als er auf der anderen Seite von Gesträuch und Geröll anlangte. Eine Laterne blinzelte am Boden. Der Mann hatte sie gänzlich mit Schnee umhäuft, sodass ihr Licht nicht zu sehen war. Nicht für jemand, der die Gasse entlang kam und einen Blick herüberwarf. Hinter der Laterne lag etwas nah bei dem Steinhaufen. Ein Bündel? Ein Sack?
„Das Buch!“
„Wo sind mein Weib und meine Tochter?“ Philipp zwang seiner Stimme einen gebieterischen Ton auf. „Ich werde es Euch nicht geben, wenn Ihr mir nicht …“
Sein Gegenüber schlug lediglich den Umhang zurück und deutete auf sein Schwert. Mit der freien Hand forderte er wortlos das Buch. Philipp verstummte, zog es unter dem Umhang hervor und reichte es ihm.
„Du begreifst schnell, Eichhorn“, sagte der Fremde, während er das Buch entgegennahm. „Du machst besser keine Dummheiten, während ich einen Blick hineinwerfe.“ Er hockte sich neben der Laterne in den Schnee. Zog die Lederhandschuhe aus. Schlug das Buch auf und hielt es schräg an das Licht. Eine Urkunde fiel heraus, er hob sie auf, schüttelte sie, betrachtete sie. Legte sie zurück.
Philipp schmeckte kalte Schneeluft auf den Lippen. Wonach suchte der Verhasste? Und warum? Mit einer Seelenruhe, wie es schien, blätterte er in dem Kopialbuch, ging Seite für Seite sorgfältig im blassen Lichtschein durch.
„Setz dich“, forderte er mit einem Mal zischend und ohne aufzusehen.
„Oder was? Metzelt Ihr mich sonst nieder? Habt Ihr das auch mit meinem Weib getan? Wo ist sie? Was habt Ihr ihr angetan?“
„Du bist besser leise und setzt dich.“
Zögernd ließ Philipp sich im Schnee nieder. Sein Herz raste, während er zusah, wie der andere Seite für Seite mit dem Finger entlangfuhr. Schließlich nickte er unmerklich, klappte das Buch zu. Sah unter der Kapuze zu ihm her.
„Du musst nicht noch einmal zurück.“
Anschreien hätte er diesen Sauhund mögen, dass er dies mit Sicherheit auch nicht getan hätte! Aber er musste seine Erregung und seine Verzweiflung hinunterschlucken, zitternd und fast toll vor Wut, denn er wusste, er hätte es getan.
Er neigte den Kopf. Rieb sich die Augen. Hedwig. Juli.
„Ich werde das Buch mitnehmen“, hörte er den anderen raunen. „Aber du hast sicher Verständnis dafür, dass es wieder in die Kanzlei zurückmuss. Und zwar so, wie es herauskam: ohne Aufsehen zu erregen. Das wird dir nicht sonderlich schwerfallen. Dieser Tage ist es umtriebig in der Kanzlei.“
Philipp begriff einmal mehr, dass der jetzige Zeitpunkt absichtlich gewählt worden war. Die Übersiedlung des Hofstaats hielt die Amtleute auf Trab. Er hörte ein Geräusch und sah auf. Der Fremde zog das Bündel zu sich, das hinter ihm gelegen hatte, es war ein Ledersack. Er zurrte ihn an den Schnüren auf und nahm etwas heraus, das in Lappen gehüllt war. Es war ein kleines tönernes Gefäß mit einem Deckel, er stellte es neben sich in den Schnee.
Was hatte er vor? Philipp war auf der Hut. „Wo ist mein Weib?“, fragte er und ließ ihn nicht aus den Augen.
„Dazu kommen wir jetzt.“ Der Mann packte das Buch in den Sack. „Eselsweg. Oberhalb des ‚Blauen Huts’, die Scharte in der Stadtmauer.“ Unter der Kapuze drehte er Philipp den Kopf zu.
Zum Zeichen, dass er verstand, nickte Philipp unmerklich.
„Übermorgen, wenn dieser Scheißungar kommt, drängt sich sämtliches Volk in der Stadt. Tischzeit in der Kanzlei ist von zehn bis eins. Du kommst um zwölf dorthin …“
Philipp sprang auf. „Übermorgen?!“, stieß er hervor.
Ein schwarzer Schatten zischte auf ihn zu, der Faustschlag ins Gesicht ließ Philipp rückwärts taumeln. Er hob die Arme in Abwehr, ein Schlag in den Magen. Er japste nach Luft, krümmte sich, sackte zusammen. Fiel auf die Knie, schlang die Arme um die Leibesmitte. Hörte sich keuchen. Ein Schmerz wie tausend eiserne Nadeln, als sein Schopf gepackt wurde, der Kerl ihn an den Haaren mit sich schleifte, sodass er auf Knien hinter ihm herrutschen musste, mit den Armen rudernd in grotesken Verrenkungen. Mit einem Ruck ließ er ihn los, und Philipp schlug mit dem Gesicht in den Schnee.
Ein gebieterisches Zischen dicht über ihm. „Übermorgen Buchübergabe am Eselsweg. Du bringst es zurück in die Kanzlei. Danach Wiedersehen mit deinem Weib in der Jakober Vorstadt. Ich sag dir noch wo.“
Philipp keuchte. Schnee, kalt wie eine Maske aus Eis, schnitt ihm ins Gesicht. Er drückte sich auf den Unterarmen hoch, hob den Kopf an.
Wieder packte der andere ihn an den Haaren, zog den Kopf daran in die Höhe, dass er vor Schmerz aufstöhnte. Dicht an seinem Ohr die verhasste Stimme. „Keinen Knecht, keine Büttel. Du allein. Oder dein Weib treibt im Neckar.“
Philipps Gesicht brannte vor Kälte und von dem Faustschlag, er roch Leder, feuchtes Wolltuch, Schnee.
„Verstanden?“
Er wurde losgelassen, damit er Zeichen geben konnte. Er nickte schwach, rollte sich auf die Seite, stützte sich auf den Ellbogen. Hustete. Fühlte sich hilflos wie ein Wurm und hasste diesen Sauhund dafür. Den Hals durchstechen wollte er dem, seine Überlegenheit aus ihm herauswürgen mit eigenen Händen. Der schwarze Schatten hatte sich von ihm abgewandt und machte sich an dem Tongefäß zu schaffen. Philipp versuchte sich aufzusetzen. Er ächzte, alles tat ihm weh. Und dann war die dunkle Gestalt wieder heran, Philipp wollte die Arme hochreißen, als der Arm des anderen sich von hinten um seine Kehle schlang. Er hörte das gurgelnde Geräusch, das er machte, als der ihm die Luft abpresste, seine Hände krallten sich in den Unterarm des Mannes, wollten ihn fortziehen. Etwas Feuchtes wurde ihm auf den Mund gepresst, er hörte den anderen „Atme!“ zischen. Hart und erbarmungslos hielt er ihn, und Philipp rang verzweifelt nach Luft, sog den fremden Geruch ein, merkte, wie er erschlaffte und ihm die Sinne schwanden.
Sechs
Die Schenke war zum Bersten voll.
Die Herberge hieß „Zum Schwert“. Mit Mühe hatte er ein Zimmer im Obergeschoss erhandelt, das er mit drei anderen Reisenden teilte, zwei Mann je Bett. Er hatte erst dann daran gedacht, in den Pilgerquartieren vor der östlichen Stadtmauer eine preisgünstigere Unterkunft zu suchen, als die Stadttore längst geschlossen waren. Dumm. Er wäre zwar noch hinausgekommen, aber hinein, falls sein Bemühen vergeblich gewesen wäre, nur noch nach Zahlung eines gehörigen Batzens Sperrgeld, wie sie es hier nannten. Das hatte er nicht wollen. Also war er in die Stadt zurückgekehrt und hatte in dieser Herberge eine Bleibe gefunden. Seit vier Tagen hielt er sich in Heidelberg auf, doch konnte er es sich auf Dauer nicht leisten, ausschließlich in Wirtshäusern abzusteigen. Nicht, dass er kein Geld hatte. Aber der Winter begann eben erst. Ohne eine angemessene Unterkunft konnte es schnell teuer werden.
An zweien von vier Tagen hatte er in dieser geizigen Residenzstadt nicht das eingenommen, was er ausgab. Selbst in dem steinernen Bürgerhaus mit den stattlichen vier Stockwerken über dem Erdgeschoss, den vielen Fenstern, den zahllosen Bildwerken dazwischen, den Medaillons, Wappenzeichen und goldverzierten Inschriften bis hinauf in das oberste Giebelgeschoss, von denen er im Dämmerlicht lediglich hatte „amicitia“ ausmachen können – selbst in diesem offenbar beträchtlich wohlhabenden Haus war er weder eine Kräutermischung noch ein Sälbchen losgeworden. Er hatte danach in jenem Viertel, das sie Oberes Kaltes Tal nannten, noch an zwei, drei Häusern geklopft. Doch weil es längst