Название | Das Buch des Kurfürsten |
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Автор произведения | Marlene Klaus |
Жанр | Языкознание |
Серия | Kurpfalz-Trilogie |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941408364 |
Nun, ihm war’s gleich. Er kam zurecht, auch mit der Religion, wenn sie nicht gar zu streng gehandhabt wurde. Und Seelentrost? Nun, den schafften am ehesten eine Ecke im Stall, Kuhgeruch und wärmendes Heu. Er verscheuchte die altbekannten wehmütigen Gedanken und ergab sich von Neuem seiner lüsternen Fantasie: Heranhuschender Lichtschein, eine schüchtern-kecke Stimme, die ihm Brot und Bier anbot und fragte, ob er es auch warm genug habe. Ich wüsste, wie mir noch wärmer würde, meine Schöne, würde er raunen, sie an sich ziehen, was sie willig geschehen ließe. Er würde den weißen Busen streicheln, ihr unter die Röcke gehen, stöhnen würde sie, und er würde ihr den Hals küssen und sie schließlich nehmen.
Ryss spürte seinen Schwanz hart werden und wünschte, diese Fantasie, so oder so ähnlich schon geschehen, würde heute Abend Wirklichkeit werden. Also hieb er seinen Wanderstock in den Schnee und stapfte voran auf dem schmal ausgetretenen Pfad, den Wildspuren säumten. Den Rucksack hatte er wie stets unter dem Wollumhang geschultert. Und wie stets scheuerte der hölzerne Kasten darin an seinem Rücken. Die unterschiedlich großen Beutelchen an seinem Gürtel schwangen mit dem Trinkschlauch im Gleichmaß seiner Schritte.
Schnee rieselte von einem Ast. Eine Wildtaube gurrte.
Langsam schwanden die Kopfschmerzen. Duw Mawr, war ja nicht jedes Mittelchen, das er mit sich herumschleppte, wirkungslos. Rosenöl zum Beispiel brauchte er ohnehin für die Weiber. Es half auch gegen Kopfgrimmen. Und den Wirt der Herberge hatte er in aller Herrgottsfrühe genötigt, ihm ein Stück rohes Rindfleisch beizuschaffen, das er sich ins Genick legte. Nicht umsonst stand er in der Nachfolge Rhiwallons und seiner Söhne Cadwgan, Gruffydd und Einion, der Heiler von Myddfai, die diese Vorgehensweise bei einem Brummschädel empfahlen. Der viele Wein und sein unseliger Bettgenosse hatten ihm eine unruhige Nacht beschert. Er schlief ohnehin nicht sonderlich gut, doch diesen Stinkbolzen hätte er keine Minute länger ertragen. Nefoedd Wen! Der furzte im Schlaf und knirschte und schmatzte wie zehne zusammen. Da hatte auch sein altbewährtes Mittel nicht geholfen, die Anisbeutelchen, die er sich unter die Nase band, um erholsamen Schlaf zu fördern. Daher hatte er die Stadt zeitig im trüben Morgenlicht gen Osten verlassen. Ursprünglich hatte er bei den vier Steinacher Burgen den Anfang machen wollen. Aber nachdem er erfahren hatte, dass die Herren der Burgen, die Landschaden von Steinach, seit Generationen brav in Diensten der Heidelberger Fürsten standen, war er davon abgekommen. Die kannten die pfälzische Landesordnung sicher noch besser als jeder Bürger.
Also hatte er den Neckar nach Schlierbach hinter sich gelassen und war gen Süden weitergewandert. Dank der Auskünfte seiner Zechgenossen wusste er in etwa, dass er sich Richtung Südosten halten musste. Kraichgau hieß die Region, in der er sein Glück versuchen wollte. Dort lagen Ritterdörfer und Rittergüter versprenkelt inmitten der pfälzischen Lande. Dort würde er sein Glück machen, dort würde ein Mägdlein seiner harren.
Ryss hob den Kopf, weil das Gehen plötzlich anstrengender wurde und er hörte, wie er keuchte. Er sah die Atemwolken, die er in die grauweiße Luft entließ. Er war einen Hügel hinaufgewandert, umgeben von dichter werdendem Wald. Weiß behangen die kahlen Bäume, hier und da noch ein braunes Blatt, das an einem dürren Ast im Wind schaukelte.
Stille um ihn her. Allein auf Wanderschaft. Wie immer.
So ist mein Los, dachte Ryss. Hab’s mir selber zuzuschreiben. Die Melancholie wollte wiederkommen, und er eilte sich, sie zu verdrängen, indem er sich erneut einen wohligen Abend ausmalte. Er wusste, dass er an Mädchen dachte, um an jene eine nicht denken zu müssen. Und so stapfte er weiter und hoffte, dass er bis Mittag einen Flecken oder Weiler erreichen würde, wo er etwas essen und sich aufwärmen konnte.
„Er ist tot!“
Sofort war Hedwig hellwach.
Trotz des Grauens, trotz der Angst war sie eingeschlafen und nur einmal erwacht, um Juli zu stillen.
Das rasselnde Atmen des Sterbenden, anfangs noch übertönt vom wütenden Zanken der beiden anderen, hatte aufgehört. Sie rührte sich nicht. Sah nicht auf. Kauerte in ihrer Ecke, barg Juli in ihren Armen und verhielt sich ruhig.
„Du jähzorniger Idiot! Und jetzt?!“
„Was willst du hören?“
„Gott, ich hätte mich niemals darauf einlassen sollen.“
Ein Auflachen, es klang wie auf die Gasse gekipptes Schmutzwasser. „Und dann? Immer sich weiter kränken lassen? Auf eine neue Anmaßung harren? Die Zeit ist günstig. All der Trubel in Stadt, Kanzlei und Schloss!“
„Was nützt es uns – nun?“
„Lass mich nachdenken.“
„Dann denke, wie du pisst, Vetter! Zügig!“
„Zunächst müssen wir ihn fortschaffen.“
„Dass wir ihn nicht hier liegen lassen können, weiß ich selbst.“
„Bring ihn nach Wiesenbach. Der Lange wird nicht viel fragen.“
„Du hast den angeschleppt! Du schaffst ihn auch fort!“
„Ich kenn dich doch, Vetter. Hier sitzen und warten ist deine Sache nicht.“
Ein Scheit Holz wurde aufs Feuer geworfen.
„Ich hab zudem die Lösung.“
Schweigen. Knistern des Feuers. Draußen rief ein Waldvogel.
„Der Knecht.“
„Den anschleppen?“
„Ist nicht gut, wenn noch mehr Bescheid wissen. Der wartet ohnehin auf dich. Wird brav mitkommen, da du ihm in Aussicht stellst, seine Holde zu sehen.“
Meinten sie Philipp? Sie wollten Philipp holen?
„Wir hätten es gleich selber tun sollen.“
„Greine nicht. Schaff den Hundsfott weg und den Knecht bei.“
Geraume Zeit sagte keiner etwas.
Dann: „Sagen wir, ich reite. Dass du sie nicht anrührst! Und lass das Kind zufrieden!“
Sofort pochte ihr Herz schneller vor Angst. Ausgeliefert einem Mörder. Was mochte ihm einfallen, wenn er allein mit ihr war?
Der Wald war dichter geworden. Kein Gehöft hinter der nächsten Biegung, der nächsten Baumgruppe. Er hatte Rast gemacht und die Brezeln verspeist, mit denen er sich in Heidelberg wohlweislich eingedeckt hatte. Seit einer halben Stunde etwa wanderte er wieder. Folgte noch immer einem ausgetretenen Pfad, auch wenn er bisher keiner Menschenseele begegnet war und nur seine eigenen Schritte im Schnee knirschen hörte. Ryss fragte sich, ob es nicht doch klüger gewesen wäre, noch in Heidelberg zu bleiben. Die jungen Männer gestern Abend hatten von einem Tataren erzählt, der morgen in die Stadt einziehen würde. Von nah und fern käme Volk, um das zu sehen. Er hätte womöglich doch gute Geschäfte gemacht, wenn er sich fernab aller Gesetzeshüter hielte? Ach was, sagte er sich, wo viel Volk, da auch viele Aufpasser. Es war besser gewesen, weiterzuziehen. Auch wenn seine Stiefel inzwischen durchnässt waren und seine Hände trotz seiner wollenen Pulswärmer rot gefroren. Er hatte vorhin überlegt, ein Feuer anzuzünden, es aber gelassen. Er wollte nicht so lange verweilen. Wollte zügig vorankommen. Brüste lockten. Vielleicht eine heiße Suppe.
Ryss blieb abrupt stehen. Das Knirschen seiner Schritte verstummte,