Das Buch des Kurfürsten. Marlene Klaus

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Название Das Buch des Kurfürsten
Автор произведения Marlene Klaus
Жанр Языкознание
Серия Kurpfalz-Trilogie
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941408364



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weder in Städten, Flecken noch Dörfern gestattet noch zugelassen, sondern bei Verlust ihrer Waren verboten sei. Er hatte ihm außerdem, die Faust nach ihm schüttelnd, hinterhergebrüllt, dass Landfahrer, Würzverfälscher und andere fremde und unbekannte Hausierer keineswegs geduldet, sondern außer dem Gebiet gewiesen werden sollen. Er hatte zugesehen, dass er Land gewann. Myn diawl! Die hier mit ihrer vermaledeiten Landesordnung! Der hatte sie ja fast auswendig dahergeschrien. Andererseits musste er zugeben, dass sie milder war als die Bestimmungen in seiner Heimat. Dort galt das englische Gesetz. Und nach dem sollten Landstreicher schwer gepeitscht werden und den Knorpel des rechten Ohrs mit glühendem Eisen durchbohrt bekommen. Hierzulande wurde er nur hinausgeworfen. Und immerhin wäre es ihm erlaubt, zu ordentlichen Wochen- und Jahrmärkten – gegen Erlegung gewöhnlichen Stand-Gelds – seine aufrichtigen, unverfälschten, guten Waren feilzuhaben und um gebührlichen Wert zu verkaufen. Unverfälscht? Wer wollte schon das Wort auf die Goldwaage legen. Geheimnisvolle Zusätze waren das Salz seiner Medizinsüppchen. Ein Quäntchen Magie würzte seine Wunderpillen. Und damit war er bislang gut durchgekommen. Landesordnung hin oder her – er war doch kein Marktschreier!

      Ryss sah sich verhalten um, während er die kräftige Ochsenschwanzsuppe aus einer Holzschale löffelte. Um ihn her herrschten Ausgelassenheit und Sinnenfreude. Er saß mit fünf Männern, etwa in seinem Alter, an einem Tisch. Einer, jünger als er, mit freundlichen braunen Augen und kinnlangem, welligem braunem Haar saß ihm gegenüber und reichte ihm einen Kanten Roggenbrot.

      Ryss nickte dankend und widmete sich seiner Suppe.

      Besser nicht so viel reden, lieber nachdenken, was er nun tun sollte.

      In Frankenthal, später in Speyer, hatte er erfahren, dass Heidelberg dieser Tage besonders umtriebig und bevölkert wäre. Der hiesige Fürst unternahm in Kürze eine große Reise. Adelige, Boten, Amtleute, Huren und Musikanten würden sich in der Stadt tummeln. Eine solche Auswahl an zahlungskräftiger, vor allem aber an leichtgläubiger Kundschaft würde er nicht alle Tage auf einem Haufen haben. Also war er hergekommen. Aber das große Stück vom Kuchen hatte er bisher nicht abbekommen. Die Schaulustigen waren längst nicht so zahlreich, wie er gehofft hatte. Oder sie verkrochen sich in warme Löcher. Und die Bürger hielten ihm ihre vermaledeite Landesordnung vor und kauften nichts. Es war wohl doch besser, er machte sich in den Odenwald auf. In einer der zahlreichen Burgen würde er sicher die ein oder andere leichtgläubige Hausherrin mit locker sitzendem Geldbeutel finden. Und in Dörfern war man, wie überall, wo man stadtfern lebte, sicher froh um Abwechslung.

      Außerdem – zufrieden tunkte er mit dem Brot die restliche Suppe aus dem Teller – außerdem waren die Mägde auf dem Land … nun, auf ihre eigene Art und Weise gastfreundlicher. In einem Stadthaus boten sich wenig Möglichkeiten, einem wie ihm eine Bleibe für einige Nächte zu gewähren. Auf dem Land hingegen gab es mindestens ein Plätzchen im Stall. Dort fand man ihn oftmals viel zu unterhaltsam, um ihm nicht später, wenn man einen Krug Bier herausbrachte samt Brot und Käse, die mit dunkler, fremdländisch klingender Stimme geraunten Schmeicheleien zu glauben und die Schenkel zu öffnen.

      Besser also, er zog weiter. In irgendein Ritternest, das nicht zur Pfalz gehörte, und das, wie er gehört hatte, demnach nicht deren Gesetzen unterlag. Und zwar morgen in aller Frühe.

       Sieben

      „Warum diese Umstände? Und dazu noch ein Balg!“

      Bisher hatte sie nur ein Auf und Ab von Lauten wahrgenommen, unverständlich, gedämpft. Doch auf einmal hörte Hedwig das Gesagte deutlich. Ein Mann sprach. Es hörte sich an, als hätte er Öl in der Kehle.

      Wabbelige Grütze in ihrem Kopf, der schmerzte. Unklar die Gedanken. Doch jetzt diese Wörter, die sie verstand. Sie musste sich nur mühen, ihren Sinn zu begreifen. Wo war sie? Alles dunkel. Sie merkte, dass sie fror. Kälte von unten. Lag sie auf kaltem Boden? Aber sie hörte doch Feuer knistern. Irgendwo links von ihr. Sie drehte den Kopf ein wenig, die kleine Halskrause schabte am Kinn, die wollene Haube verrutschte. Sie versuchte die Augen zu öffnen. Die Lider schienen schwer wie Blei.

      „Das Balg ist lästig. Wo wir sie …“

      „Wir brauchen sie!“

      Ein zweiter Mann, blechern schepperte seine Antwort.

      Sie rührte sich. Spürte ihre harten Brüste, sie taten weh. Ihr Mantel war irgendwie hinderlich, sie wollte ihn zurechtziehen, merkte, dass sie die Arme nicht bewegen konnte – und begriff jäh, dass Fesseln ihr in die Handgelenke schnitten, dass der Druck auf Augen und Schläfen von einer Binde herrührte. Da erinnerte sie sich: die Untere Gasse, der Schatten, ein Mann – ein Magenstich: Juli!

      „Von einem Balg war nicht die Rede. Ist hinderlich. Erhöht die Gefahr.“

      „Halt’s Maul!“

      Sie versuchte sich aufzurichten, stützte sich mit den gefesselten Händen ab.

      „Man hätte es gleich in den Neckar werfen sollen!“

      „Dass dich der Teufel schände! Halt endlich’s Maul!“

      Hedwig keuchte, sie hörte eine Bewegung, ein leises Rasseln, dort, wo das Feuer knisterte und knackte.

      „Sie kommt zu sich.“

      Ein Luftzug, Geruch nach Schweiß und Leder. Jemand kam an sie heran. Knie knackten, als er neben ihr in die Hocke ging. Sie hörte Atmen. Sie öffnete den Mund. Der war wie ausgedörrt, sie musste sich räuspern.

      „Bist also bei dir?“

      Eine Stimme, dünn wie flach gehämmertes Blech.

      Herzklopfen. Wo war ihre Tochter? Sie wollte sprechen. Ihr Mund war pelzig und trocken.

      „Mein Kind!“, hauchte sie.

      „Dein Balg ist hier.“

      Sie streckte die zusammengebundenen Hände aus, tastete blind umher. Ein winziger Ton, ein Säuglingskeckern. Sie ertastete das Bündel, vielleicht hatte er es ihr auch herangeschoben. Sie fühlte das Schaffell, in das Juli gewickelt war. Zog ihre Tochter zu sich heran, befühlte das Gesichtchen. Warm, lebendig. Sie begann zu zittern. Tränen stiegen auf. Wer waren die beiden Männer?

      „Wasser …“, bat sie.

      „Wirf den Trinkschlauch rüber!“

      Ein wabbeliges Geräusch.

      Hart packte er sie am geflochtenen Haarkringel und riss ihr den Kopf nach hinten. Das Horn am Trinkschlauch war kalt und roch schlecht. Wasser floss ihr in die Kehle, sie verschluckte und benässte sich.

      „Teufel auch!“, fluchte die Blechstimme neben ihr.

      „Bind ihr die Arme frei. Soll sie selber saufen.“

      „Geh mir nicht auf den Sack!“

      „Dann spiele weiter milde Schwester.“

      „Maul.“

      Grob riss er ihre Arme hoch und zerrte an ihren Fesseln. Er musste wissen, dass er ihr wehtat. Sie hörte ihn durch den Mund atmen, ächzen fast. Scharf sog sie Luft durch die Zähne, als er den Strick mit einem letzten festen Ruck löste. Dem Lachen, das er dabei ausstieß, hörte sie die Lust am Quälen an. Der Schlauch wurde ihr in die Hände gedrückt. Sie ließ ihn fast fallen, so sehr schmerzten die Handgelenke. Wieder knackten die Knie, als der Mann sich erhob. Der, der weiter weg war, lachte. Hässlich, boshaft, pappig. Dann schien er näherzukommen. Sie hörte Schritte, gedämpft, ein Lehmboden also. Eine Hand umklammerte den Trinkschlauch, die andere fasste nach Juli, sie wagte nicht zu trinken, wollte aus diesem stinkenden Schlauch ohnehin nichts mehr trinken. Die Schritte erstarben, nah bei ihr ein Raunen, seimig, ölig: „Mutter und Kind. Du hast mich doch nicht absichtlich hinters Licht geführt? Lediglich von einem Weib war die Rede.“

      Hedwig krallte die Finger in Julis Schaffell und kämpfte gegen die Angst.

      Kleidung raschelte, etwas rasselte, klirrte leise. Ein Schwertgehänge?

      „Heiheihei, mein Freund. Finger