Suzanne. Levi Krongold

Читать онлайн.
Название Suzanne
Автор произведения Levi Krongold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748592495



Скачать книгу

in seinem Hotelzimmer stand und erleichtert feststellte, dass weder die Tür aufgebrochen noch er ausgeraubt worden war, kam er wieder in der Gegenwart an. Er stellte sich vor den Badezimmerspiegel und blickte seinem Spiegelbild sinnend in die Augen…

      9

      Roy stand wohl nun schon eine halbe Stunde vor dem Badezimmerspiegel, die Hand am Rasierapparat, mit dem er gerade einmal die Hälfte der linken Wange bearbeitet hatte, und blickte sich selbst in die Augen wie ein Fremder. Die letzten Sätze, die er eben geschrieben hatte, waren in der Tiefe seiner fremdartig wirkenden Pupillen abgetaucht. Wenn er nochmals so lieben könnte wie dieser Levi! Plötzlich hörte er vertraute Stimmen. Die laut streitenden Kinder waren zurückgekommen, übertönt noch von den Schimpfkanonaden ihrer Mutter. Er lächelte. Gut, dass er sich das hatte ersparen können. Die Stimmen seiner Kinder ließen ihn aus seiner Agonie erwachen. Er schaltete den Rasierapparat wieder ein und wollte seine Rasur vollenden, als die Badezimmertür von seiner älteren Tochter aufgerissen wurde.

       »Hast du bist jetzt geschlafen?«, wunderte sie sich.

       »Nein, natürlich...«

       »Mami, Papi hat bis jetzt geschlafen!«, rief sie in den Wohnraum, ohne dass er seinen Satz vollenden konnte. Die Jüngere drängelte sich zur Tür herein, um das Wunder zu bestaunen. Mit großen Augen sah sie Roy an, als habe sie ihn jetzt erst zu ersten Mal gesehen! »Papi rasiert sich gerade!«, rief sie ins Wohnzimmer. »Mach mal hinne, ich muss mal!«, kommandierte sie dann.

       »Ich zuerst«, kam ihr die Größere zuvor und schon hatten sie sich wieder lautstark in den Haaren. Er zog die Augenbrauen hoch und überließ das Bad den beiden Streithennen. Seine Frau, damit beschäftigt, die Jacken und Taschen, die die beiden Geschwister achtlos fallengelassen hatten, aufzuheben, würdigte ihn keines Blickes. Sie schaute so demonstrativ an ihm vorbei, dass es schwer fiel, dies nicht zu bemerken.

       »Ich..«, begann er nach einer Weile unschlüssigen Herumstehens.

       »Spar dir deine Worte!«, fauchte sie ihn an.

       »Hör zu...«, versuchte er es aufs Neue. Sie wandte sich demonstrativ von ihm ab.

       »Warum kannst du nicht einmal vernünftig mit mir reden?«, rief er.

       »Schrei mich nicht an!«, schrie sie zurück.

       »Ich schrei doch gar nicht, du schreist!«, gab er verärgert zurück.

       »Das nennst du nicht schreien? Du kannst gar nicht anders als schreien!«, schrie sie noch lauter und knallte eine Tasche auf das Bett.

       »Du hast angefangen zu schreien!«, verteidigte er sich. »Ich wollte...«

       »Du wolltest, du wolltest... Wenn du gewollt hättest, dann wärst du wohl mitgefahren. Wir interessieren dich überhaupt nicht!«

       »Stimmt doch gar nicht. Ich...«

       »Das einzige, was dich interessiert, ist dein scheiß Buch!« »Nun hör aber auf«, gab er empört zurück.

       »Du schreist schon wieder!«, zeterte sie weiter.

       »Weil ich sonst überhaupt nicht zu Wort komme.« »Vor allem kommst du nicht zu Wort! Du hast schon viel zu viel Mist geredet! Ich hatte mich auf einen entspannten Urlaub gefreut, aber du legst offenbar keinen Wert darauf! Aber mach nur so weiter. Du wirst schon sehen, wohin das führt!« Ihm lag eine Erwiderung auf der Zunge, doch er schluckte sie herunter, da er wusste, dass mit ihr kein vernünftiges Wort zu reden wäre. Sie konnte niemals, niemals auf das letzte Wort verzichten, gleich wie stichhaltig seine Argumente auch waren. Das hätte ein Eingeständnis ihres Irrtums bedeutet und ein Wort, dass er nach einem unnötigen Streit noch nie von ihr gehört hatte, war das kleine Wort »Entschuldigung.« Es kam nicht über ihre Lippen.

       »Brötchen liegen auf dem Tisch«, sagte er nur und ging aus dem Haus, um sich in den kleinen Vorgarten zu setzen.

      Sonja kam heraus, ihr Touchpad in der Hand. »Seid ihr endlich fertig mit Streiten?«

       »Ich schon«, murmelte er. »Wie wars denn?«

       »Cool, aber auch ein bisschen langweilig. Wir haben uns total verfahren, einmal.« Das freute ihn irgendwie.

       »Schlimm?«

       »Nö, ging so. Mama hat geweint. Sie hatte das Navi vergessen. Aber jemand hat uns geholfen.«

       »Jemand?«

       »Ja, so'n Typ.«

       »Was für 'nen Typ?«

      Sie zuckte nur mit den Schultern und war schon so mit Scrollen und Antippen beschäftigt, dass sie es für unnötig hielt, nähere Ausführungen darüber zu machen.

      Er seufzte. Wieso eigentlich glaubte er immer noch, Familienurlaube müssten erbaulich sein?

      Marie kam an einem Brötchen kauend aus dem Haus.

       »Warum bist du nicht mitgekommen?« »Wollte ich ja. Ich bin zum Bäcker gegangen und hab mich etwas verschätzt mit dem Weg.« »Brötchen sind echt lecker!«, mampfte Marie.

       »Hier werden noch richtige Brötchen gebacken«, bestätigte er, obwohl er selber noch nichts gegessen hatte.

       »Kriegen wir bald was zu essen?«, fragte Marie, die immer Hunger hatte. »Mama will was grillen heute!«

       »Haben wir denn was im Haus zum Grillen?« Marie zuckte mit den Schultern und kickte gegen den Ball, den sie ins Gras geworfen hatte. Der bummerte gegen die Hauswand. Bum, bum, bum.

       »Marie, hör sofort mit dem Krach auf«, kam Iris Stimme von drinnen.

      Er beschloss die Taktik, »Es ist nichts gewesen«, anzuwenden. Sie bestand darin, dass man nach einem Streit wie diesem einfach zur Tagesordnung überging.

       »Willst du heute grillen?«, rief er ins Haus.

      Keine Antwort.

      Er erhob sich, ging ins Haus und schaute in den Kühlschrank. Dort stapelte sich zwar allerlei Essbares, allerdings konnte er zum Grillen nichts Geeignetes finden.

       »Haben wir denn was da zum Grillen?«, rief er einer unsichtbaren Iris zu.

       »Siehst du etwa etwas?«, kam es schrill zurück.

      Genau, das war eigentlich eines der Dinge, die ihn an seiner Frau noch mehr störten als die Tatsache, dass sie nicht konstruktiv miteinander streiten konnten, ihre schrille Stimme. Es fehlten ihrer Stimme die tieferen Untertöne. Nicht einmal in normaler Lautstärke konnte ihre Stimme sanft klingen. War sie angespannt, dann wurde ihre Stimme noch unangenehmer. Er hatte einmal eine Bluessängerin mit einer so angenehm vollen dunklen Stimme gehört, dass er ihr ewig hätte lauschen können. Damals fiel ihm erstmals auf, dass er die Stimme seiner Frau nicht mehr mochte. Er stellte sich Suzannes vor. Ihre Stimme wäre angenehm voll und weich. Suzanne. Er seufzte, während ihm das Bild seiner Romanfigur vor Augen trat. »Ich geh was kaufen. Ich hab ihm nächsten Dorf einen Supermarkt gesehen, heute Morgen.« Schweigen. Er erwartete nun die Frage, was er im nächsten Dorf gemacht habe, doch die vibrierte nur klanglos im Raum wie ein Negativbild der tonalen Stimmung, die sie verursacht hatte. Er hörte nur, dass Iris kurz mit ihrer Tätigkeit aufhörte, genauso lange, wie es dauert, diese Frage zu denken, jedoch nicht auszusprechen, um dann um so lauter mit ihrem Ordnen weiter zu machen. »Was wollt ihr denn?«, rief er in den Raum. »Keinen fettigen Schweinebauch!«, ließ sie sich nun etwas sachlicher vernehmen. Er nickte grinsend mit dem Kopf. Ging also noch, dachte er. Diese Frau ist wie ein Automat. Drück den richtigen Knopf und sie funktioniert vorhersehbar. Im Rausgehen fragte er die Kinder, ob sie mit zum Einkaufen kommen wollten. Marie war sofort einverstanden, da sie wegen des Fußballverbots schmollte und sich langweilte. Sonja hörte ihn nicht aufgrund ihrer Kopfhörer, die sie übergezogen hatte. Auf dem Weg zum Wagen, der auf dem Parkplatz am Eingang des Ferienparks stand, fragte ihn Marie aus. »Warum bist du denn nicht mitgekommen zum Fahrrad fahren?« »Na, sagte ich doch schon. Ich war zu Fuß Brötchen holen und hab mich ein wenig verlaufen.« »Du auch? Wir haben uns auch total verfahren.« »Sagte Sonja schon.« »Dann hat Mama einen Mann gefragt, der dort mit dem Auto vorbeikam. Das war vielleicht ein fieser Typ. Der hat Mama immer so angeglotzt.