Suzanne. Levi Krongold

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Название Suzanne
Автор произведения Levi Krongold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748592495



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sei ein Kavalier und hilf mir auf, Cheri!«, forderte sie, da er sich schon erhoben hatte. Willig ergriff er ihre Hand und zog sie vorsichtig auf die Füße. Nachdem er sein Jackett notdürftig vom Sand befreit hatte, bot er an: »Na, bis zum Weg trage ich dich!« »Okay!«, lächelte sie.Tatsächlich schaffte er es, sie durch den Sand zu tragen, während sie sich an seinem Hals angeklammert hielt. Auf dem Rückweg zum Dorf gingen sie Hand in Hand, während sie munterbegann, Anekdoten über ihre Tante zu erzählen. Diese musste eine sehr gestrenge Frau sein. Auch wenn die Männer traditionell außer Haus das Sagen hatten, kamen sie doch um die Anweisungen der Frau nicht drumherum.Ja, es war eigentlich so, dass die Frau die zentrale Rolle im Haus spielte, was sich allerdings auch darin niederschlug, dass sie die ganze häusliche Arbeit erledigte. Dennoch, im Grunde herrschte die Frau und insbesondere ihre Tante. Er stellte sich diese als wahren Hausdrachen vor. Suzannes Schilderung war auch nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Sogar ihr Onkel, der immerhin das Amt des Bürgermeisters in Corbara innehatte, ließ sich von ihr herumkommandieren. Unversehens standen sie so, lachend und fröhlich ins Gespräch vertieft, wieder vor dem merkwürdigen Haus mit der Nummer 11 und wiederum hätte er nicht sagen können, wie sie dorthin gelangt waren. Er beschloss, auf dem Rückweg genau Acht zu geben. Diesmal jedoch legte er Wert darauf, ihr seine Telefonnummer zu geben, damit sie sich für den nächsten Tag verabreden konnten. »Ich weiß noch nicht, wann ich kann!«, ließ sie eine konkrete Uhrzeit offen. »Ich ruf dich an!« »Ich freu mich drauf. Aber vergiss mich bitte nicht!«, ermahnte er sie.Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund, strich ihm mit einer zarten Geste ihrer Hand über die Wange und flüsterte. »Schlaf gut, und danke. Danke für alles!«Dann wandte sie sich schnell ab, eilte die Treppe nach oben und verschwand durch die Tür im ersten Stock, ohne sich noch einmal umzudrehen. Eine Weile blieb er noch unentschlossen vor dem Haus stehen. Er sah weder durch die Fensterläden, noch sonst irgendwo ein Licht aufleuchten. Sie musste ein Zimmer im hinteren Teil des Hauses bewohnen. Kopfschüttelnd wandte er sich ab. Erst als er wieder auf der Hauptstraße war, wurde ihm bewusst, dass er wiederum vergessen hatte, sich den Rückweg einzuprägen.Er würde morgen versuchen, das Haus zu finden. Morgen.

      5

      Er hatte die halbe Nacht durchgeschrieben, nachdem er ein wenig angetrunken aus der Campingplatzgaststätte zurückgekehrt war. Das Ferienhaus lag schon im Dunklen und vorsichtig tastete er sich durch den Schlafraum, um seinen PC vom Fensterbrett zu nehmen. Er hörte den gleichmäßigen Atem seiner Frau, der anzeigte, dass sie bereits schlief. Vorsichtig hatte er die Tür zum Kinderzimmer geschlossen, damit diese nicht durch das Tastengeklapper aufwachten. Jetzt, nachdem der letzte Satz geschrieben war, gähnte er ermüdet und schleppte sich ins Bett. Dort, noch immer die letzten Sätze seines Romans im Kopf, fühlte er den warmen Körper seiner Frau, die wie immer nackt schlief. Sie lag quer im Bett, so dass ihm wenig Platz blieb, sich entspannt hinzulegen. Vorsichtig zog er seine Decke zurecht und versuchte, eine einigermaßen bequeme Position zu finden. Er spürte das Verlangen, sie anzufassen, ihr wieder nahe zu kommen und legte eine Hand auf ihre bloße Schulter. Sie schnaufte unwillig im Schlaf, reagierte jedoch nicht. Ärgerlich und enttäuscht nahm er die Hand zurück, machte sich etwas energischer Platz, indem er sie grob anschubste. Sie drehte zwar den Kopf in seine Richtung, rückte wohl auch ein Stück zur Seite, schlief jedoch weiter. Er starrte den Lichtfleck an der Decke an, den eine Laterne in der Nähe des Ferienhauses erzeugte. Suzanne. Wie würde es mit ihnen weitergehen? Wie würde es mit seiner Frau und ihm weitergehen? Hatte Iris, die recht selbstbewusst war, nur einmal in ihrer gesamten Ehe versucht, die Missstimmungen, die regelmäßig aufgekommen waren, von sich aus zu glätten? War sie auch nur einmal auf ihn zugekommen mit einer Geste oder den Worten, »Wollen wir es noch einmal im Guten versuchen?«. Er konnte sich nicht erinnern. Stets war er es, der den Anfang machte nach tagelangem, beleidigtem Schweigen ihrerseits. Weil er diese Atmosphäre der Ablehnung und Zurückweisung nicht mehr ertragen konnte. Weil er sich sagte, irgendwie waren die Anlässe für ihre Zwistigkeiten eigentlich zu banal, um in ein dauerhaftes Zerwürfnis führen zu müssen. Und eigentlich liebten sie beide ihre Kinder heiß und innig, ja, er konnte sich ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen. Und eigentlich sollten sie als Erwachsene langsam ein wenig über den Dingen stehen. Vielleicht war das der Grund, warum er nachgiebiger war als sie. Seine Lebenszeit war um fast zwanzig Jahre mehr verstrichen als die ihre. Er fühlte den langsamen Abbau seines Körpers, das Nachlassen der Intensität seines Erlebens, die Hoffnungslosigkeit, noch etwas Bedeutendes zu schaffen. Da, wo andere gut situiert die gesellschaftlich notwendigen Items abhaken konnten, ‚ein Haus gebaut, einen Baum gepflanzt und Kinder gezeugt, mein Auto, meine Karriere, meine Familie‘, konnte er nur mit Familie punkten und wenn er es recht betrachtete, nicht einmal das. Suzanne. Er seufzte, drehte sich auf die Seite, doch der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Nach einer gefühlten Stunde des unruhigen Grübelns stand er wieder auf und schlurfte zum Kühlschrank. Er öffnete die Tür und starrte minutenlang hinein, ohne recht zu wissen, was er eigentlich suchte. Beim Schließen des Kühlschranks stieß er gegen einen Küchenstuhl, der lärmend umfiel. Erschrocken hob er ihn wieder auf und schob ihn geräuschlos zurück. Das Wohnzimmer-licht ging an und Iris stand völlig nackt und verschlafen im Raum. »Was machst denn du für einen Krach mitten in der Nacht? Bist du verrückt geworden? Willst du die Kinder aufwecken?« Er unterdrückte die Erkenntnis, dass er sie immer noch begehrenswert fand und brummte in ihre Richtung zurück: »Du mich auch!« »Idiot!«, zischte sie und verschwand auf der Toilette. Den Rückweg erledigte sie schlaftrunken, ohne ihn noch eines weiteren Blickes zu würdigen. Er beschloss, auf dem Sofa zu schlafen, fischte sich seine Decke aus dem gemeinsamen Bett und sortierte sich mühsam auf das seiner Körpergröße nicht recht angemessene Möbelstück. Wenig später musste er eingeschlafen sein. Als er morgens mit steifem Rücken und schmerzendem Nacken erwachte, erinnerte er sich noch daran, von ihr, von Suzanne, geträumt zu haben. Verzweifelt versuchte er, sich die Traumszenen in Erinnerung zu rufen, um sie später zu verwenden, doch je mehr er erwachte, umso undeutlicher wurde die Erinnerung. Nur ein Bild blieb. Suzanne winkte ihm auf einer Bergspitze stehend aus der Ferne zu, bevor der Nebel sie einhüllte. Verstimmt trottete er zum Küchenfenster, um einen Blick nach draußen zu werfen. Es war noch nicht einmal 6 Uhr, wie der Wecker auf dem Küchenregal anzeigte. Der Himmel war verhangen, wenigstens regnete es nicht mehr. Dann wäre heute vielleicht Gelegenheit für einen Ausflug, überlegte er. Andererseits würden die Kinder erfahrungsgemäß nicht vor 9 Uhr aufwachen. Seine Frau nicht vor 10 Uhr aus dem Bett kommen. Was verdammt hatte er nur zuletzt geträumt? Er erinnerte sich nur noch an das Gefühl eines verzweifelten Verlangens, sie festzuhalten, seine Traumfigur, Suzanne. Doch es gab keine Möglichkeit dazu, sie war zu weit entfernt. Mehr kam ihm nicht mehr in Erinnerung. Er beschloss, einen Spaziergang zu machen und die Morgenstimmung zu genießen, während er warten würde, bis alle erwacht wären. Vielleicht würde er auch Brötchen holen gehen im nahe gelegenen Dorf. Möglicherweise hatte der Dorfbäcker schon geöffnet. Also entschied er sich für die Stiefel und den Regenmantel, nahm einen kleinen Rucksack vom Haken und trat vor die Tür. Die feuchte, kühle Luft ließ ihn frösteln, doch vertrieb sie auch den Schlaf. Er streckte sich unentschlossen, wandte sich dann in Richtung See und stapfte durch den morastigen Untergrund. Der See lag als graue, trostlose Fläche vor ihm, umrandet von Schilf und dichter Uferböschung. Nur der alte hölzerne Bootssteg neben dem kleinen Bootshaus gewährte einen Zugang. Er betrat die knarzenden morschen Bretter des Steges, um bis ganz vorne an den Rand zu gehen. Dort ließ er sich nieder. Es erinnerte ihn an seine Kindheit, als derartige Stege immer ein unheimliches Gefühl in ihm hervorgerufen hatten. Das kribbelig, schaurigschöne Gefühl, das entsteht, wenn man nicht weiß, ob die Angst davor ins Wasser zu fallen daher kommt, weil man ausgleiten oder gar freiwillig in den See springen würde. Er ließ die Beine baumeln. Die Stiefelabsätze berührten knapp die Wasseroberfläche und erzeugten kleine Wellen. Im braungrünen Wasser spiegelten sich die regenschweren grauen Wolken. Auch sein eigenes Spiegelbild sah er, gebrochen durch kleine Wellen. Er beugte sich vor, beugte sich vor, immer weiter, bis er drohte, das Gleichgewicht zu verlieren. Doch er konnte seine Augen nicht erkennen! Das Spiegelbild seines Kopfes zeigte nur verschwommene Umrisse seines Gesichtes, doch seine Augen waren nicht zu erkennen! Erschrocken setzte er sich auf. War dies so etwas wie eine Prophezeiung? Er schalt sich einen Dummkopf. Er beugte sich nochmals vorsichtig vor. Da trat durch eine Wolkenlücke ein kleiner Sonnenstrahl hervor