Suzanne. Levi Krongold

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Название Suzanne
Автор произведения Levi Krongold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748592495



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der ausgetrockneten Leiche eines vor längerer Zeit platt gefahrenen Frosches liegen geblieben. Angeekelt kickte er die Münze in den Chauseegraben und wandte sich in die andere Richtung, nach links.

      Die Straße zog sich endlos hin, machte mehrere Biegungen, wand sich durch ein kleines Waldstück, passierte einige weitere Felder, doch von dem nahe gelegenen Dorf war nichts mehr zu sehen. Die Sonne hatte es geschafft, die restlichen Wolkenfelder mehr und mehr zur Seite zu drücken und begann bereits gnadenlose Hitze zu verströmen, die sich mit dem Dampf der regennassen Felder vermischte. Er begann heftig in seiner Regenkleidung zu schwitzen, die er schließlich aufknöpfte, ohne dass sich dadurch eine wesentliche Abkühlung einstellte. Langsam ärgerte er sich, dass er diesen Weg überhaupt auf sich genommen hatte.

      Er war nun gut eine Stunde unterwegs, durstig und zunehmend übelster Laune. Bislang war ihm nicht ein Fahrzeug entgegengekommen, das er hätte vielleicht anhalten können. Ratlos blickte er zurück. Er beschloss, es noch bis zur nächsten Kurve zu versuchen. Ohne weitere Orientierung, wo er war, würde er dann eben doch zurückgehen.

      Am Ende des kleinen Wäldchens führte ein Forstweg in das Waldstück hinein. Dort stand ein grauer Lieferwagen, dessen Motor vor sich hin knatterte. Erleichtert atmete er auf und beschleunigte seinen Schritt auf den Wagen zu. Der Wagen war leer, eine Kofferraumtür nur leicht angelehnt. Der Fahrer konnte also nicht weit sein. Er beschloss zu warten.

      Wenige Sekunden später hörte er aus dem Waldstück das Rascheln herankommender Schritte. Ein mittelgroßer Mann in blauem Handwerkerdrillich kam aus dem Unterholz herangestapft.

       »Guten Tag!«, begrüßte er den unrasiert und leicht ungepflegt wirkenden Mann. Der zuckte zusammen und blieb plötzlich stehen. Er stierte Roy feindselig an, ohne weiter zu gehen. Der Mann war Roy auf Anhieb unheimlich.

       »Entschuldigen Sie, ich habe mich wohl verlaufen«, versuchte er die Situation zu entspannen. Der Mann machte einen kurzen Schritt auf Roy zu, blieb dann jedoch abrupt stehen, drehte den Kopf kurz in Richtung Wald, aus dem er gekommen war, als überlege er etwas, brummte etwas in sich hinein, das wie ein Fluch klang und spuckte auf den Boden, bevor er zum Wagen ging. Vielleicht war er betrunken, überlegte Roy alarmiert. Wer weiß, ob es noch zu einer Schlägerei kommen würde. Roy selbst war zwar nicht gerade schmächtig. Er war etwas größer als der Typ vor ihm. Doch Roy war eher der gemächliche Typ, der gutmütige Bär, der einer Auseinandersetzung gerne aus dem Weg ging. Er straffte sich, versuchte aber nochmals, irgendeine Information aus dem Mann heraus zu bekommen. »Können Sie mir vielleicht sagen, wie weit es bis zum nächsten Dorf ist?«

      Es folgte jedoch keine Antwort. Stattdessen rammte der Fremde, der an Roy vorbeigehen musste, wenn er zu seinem Wagen wollte, ihn grob mit der Schulter an. Roy ging erschrocken einen Schritt zurück und bekam es mit der Angst zu tun. An einer Schlägerei war ihm absolut nicht gelegen. Der Fremde stieg jedoch mit einem »Verpiss dich« in seinen Wagen, setzte rückwärts aus dem Waldweg, wendete und fuhr in die Richtung los, aus der Roy gekommen war.

      Da er jedoch offenbar vergessen hatte die Kofferraumtür des Kombis zu schließen, klappte diese auf, als er Gas gab. Etwas fiel aus dem Wagen und blieb auf der Straße liegen. Der Fahrer schien dies nicht zu bemerken, sondern fuhr mit quietschenden Reifen davon. Wie betäubt stand Roy noch immer dort, wohin er ausgewichen war und atmete erleichtert aus, froh, dass es noch einmal glimpflich ausgegangen war. Er schüttelte verärgert den Kopf. Langsam trottete er zur Straße zurück. Der Wagen war nicht mehr zu sehen, doch der Gegenstand, der hinausgefallen war, lag noch immer dort. Es war ein Schuh! Eine zierliche Sandale mit weißen Lederriemchen und Strassbesatz. Offenbar ein Frauenschuh. Das Fußbett wies Spuren auf, dass er getragen worden war, auch das Leder zeigte einige Falten, die auf vorherigen Gebrauch hinwiesen. Schon wollte er den Schuh einfach ins Gebüsch werfen, doch irgendetwas hielt ihn zurück, und er bremste die Bewegung, da er schon ausgeholt hatte und betrachtete den Schuh nochmals.

      Wie passte der Schuh zu diesem merkwürdigen Fremden, aus dessen Wagen er gefallen war? Er beschloss, ihn mitzunehmen und steckte ihn kurzerhand in seinen Regenmantel, wo er knapp aus der Tasche ragte. Da der Fremde in die Richtung gefahren war, aus der er selbst gekommen war, überlegte Roy, konnte er wohl vorher nicht von dort gekommen sein, denn dann wäre er ihm auf der Straße begegnet. Also musste er aus der anderen Richtung gekommen sein. Deshalb würde dort wohl irgendeine Siedlung liegen. Er setzte also nachdenklich seinen Weg fort und richtig, kaum machte die Straße einen Bogen, sah er auch bereits den Kirchturm, den er in der Ferne vorher erblickt hatte und ein Ortsschild. »Klein Quentin«. Weit ausholend schritt er erleichtert darauf zu.

      Als er über drei Stunden später mit einer großen Tüte voll duftender Brötchen im Ferienhaus wieder ankam, fand er es leer vor. Auf dem unabgeräumten Küchentisch, auf dem die Spuren eines Frühstücks noch überdeutlich zu sehen waren, lag ein Zettel, den seine Frau geschrieben hatte.

       »Da du ja offensichtlich keinerlei Interesse hast, mit deiner Familie einen entspannten Urlaub zu verbringen, sind wir schon ohne dich losgefahren!!!!«

      Seufzend legte er die Brötchentüte ab. Dann fiel es ihm wieder ein. Sie wollten ja bei guten Wetter eine Fahrradtour machen! Er ging nochmals aus dem Haus, um nach den Fahrrädern zu schauen. Tatsächlich stand nur noch seines dort. Warum hatten sie ihn nicht einfach auf dem Handy angerufen.

      Er fasste in die Manteltasche, wo er jedoch lediglich auf den gefundenen Schuh stieß. Er nahm ihn heraus. Was sollte er jetzt nur damit machen? Er konnte ihn kaum in der Wohnung abstellen. Also steckte er ihn vorerst wieder zurück. Sein Handy hatte er offenbar gar nicht mitgenommen. Er entdeckte es neben seinem PC, wo er es abends abgelegt hatte.

      Seufzend ließ er sich am Küchentisch nieder. Es war nun knapp zehn Uhr. Sollte er versuchen, seine Frau telefonisch zu erreichen? Er versprach sich nicht viel davon. Er starrte sein Mobiltelefon an, als könne es ihm die Antwort geben. Das Display zeigte keine neuen Nachrichten.

      8

       Immer wieder schaute er vergeblich auf das Display seines Handys. Es war bereits früher Nachmittag ohne einen Anruf von ihr. Keine neuen Nachrichten auf dem Display. Langsam begann er daran zu zweifeln, dass sie noch anrufen würde. Unentschlossen schaute er aufs Meer, das zunehmend kleine Schaumkronen aufwies, weil urplötzlich ein scharfer Wind begonnen hatte, vom Meer her zu wehen. Obwohl die Luft nicht kalt war, begann er doch zu frösteln. Er beschloss, nicht länger zu warten. Vielleicht würde er morgen einfach einen Ausflug machen. Er sollte sich nicht so abhängig machen von dieser Frau. Er kannte sie ja schließlich gar nicht. Doch der Gedanke, versetzt worden zu sein, erzeugte einen Stich in seinem Herzen. Er war traurig und auch ein bisschen wütend. Wütend auf sie, weil sie ihr Versprechen nicht einzuhalten schien und auf sich selbst, weil es ihm so viel ausmachte. Er seufzte, dann fasste er den Entschluss, nach Calvi zu fahren, um sich dort nach einem Mietwagen umzusehen.Calvi lag nicht weit von hier. Mit der altertümlichen Bahnlinie, auf die die Korsen aus einem unerfindlichen Grund offenbar sehr stolz sind, obwohl eigentlich nur Touristen damit transportiert werden, war es nur eine knappe halbe Stunde. Nachdem er im Hotel die nötigen Unterlagen und eine windfeste Jacke mitgenommen hatte, machte er sich zu dem kleinen Bahnhof in Algajola auf, der ein wenig außerhalb des Zentrums liegt. Ein rosafarbenes Bahnhofshäuschen mit einer kleinen Touristeninformation, die nie besetzt zu sein schien und ein Bouleplatz davor, der offenbar nie bespielt wurde. Die eingleisige Bahn ließ nur einen Zug alle zwei bis drei Stunden in eine Richtung zu. Wenn er Glück hatte, dann brauchte er nicht mehr als eine Stunde zu warten. Auf dem Bahnsteig hatten sich einige Touristen angesammelt, meistens Engländer, die sich fröhlich unterhielten. Ein Blick auf den Fahrplan zeigte ihm an, dass er mehr als Glück hatte. Der nächste Zug nach Calvi sollte in etwa zehn Minuten eintreffen. Dieser wurde auch wenig später durch die Glocke des Bahnübergangs angekündigt. Die mit Diesel betriebene antike Lock stampfte lautstark heran und hielt quietschend am Bahnhof. Wenige Menschen stiegen aus, doch ein Blick in die zwei Waggons zeigte, dass sich die Reisenden im Abteil bereits im Stehen zusammendrängten. Um diese Zeit fuhr alles von den Stränden zurück nach Calvi. Mit Mühe konnte er noch einen Stehplatz ganz vorne am Eingang bekommen, der mehr als unbequem war, abgesehen von der Hitze, die im Abteil herrschte. Einen Schaffner gab es auch, der sich noch zusätzlich durch die Menschenmassen quetschte, um seine vier Euro für die Fahrkarte zu kassieren.