Suzanne. Levi Krongold

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Название Suzanne
Автор произведения Levi Krongold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748592495



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und akzeptierte damit stillschweigend auch, diese Art von Aberglauben zu tolerieren. Der Sonnenstrahl glitzerte einen Moment so hell, dass er geradezu geblendet wurde. Als er aufblickte und dem dunklen Nachbild in seinen Augen vor dem Hintergrund des Sees nachspürte, meinte er darin die Formen eines Gesichts erkennen zu können. Suzanne.

       6

       Der Tag begann wie fast alle vorherigen Tage seines Aufenthaltes hier, mit einem freundlichen Gruß der strahlend gelben Sonne vor dem azurblauen Himmel. Er trat vor die Hoteltür in freudiger Erwartung der kommenden Ereignisse. Er hatte ausgesprochen gut geschlafen und von ihr geträumt. Er hatte von ihr geträumt, wie sie sich ihm hingab in wilder erfüllender Ekstase. Das Traumerleben war so intensiv, so gegenwärtig, dass er beim Erwachen noch einen kleinen Moment innehielt, die Augen fest geschlossen, um dieses wohlige Gefühl in die Realität des Wachzustandes mitzunehmen, hinüberzuretten in die materielle Welt. Fröhlich singend war er aufgestanden, hatte sich ausgiebigst geduscht, sorgfältig rasiert und gekämmt, ja, sogar ein wenig Rasierwasser aufgetupft. Er verzichtete darauf, seine Krawatte anzulegen, das wäre wohl doch übertrieben gewesen und er wusste ja noch gar nicht, wann sie sich melden würde. Nachdem er sich versichert hatte, dass sein Mobiltelefon noch keine Nachricht von ihr anzeigte, genug Akkuladung zur Verfügung stand, um eine solche auch nicht zu verpassen, machte er sich in sein gewohntes Straßencafé am kleinen Platz am Ende der Avenue Marina auf, wo er zu frühstücken pflegte. Der Wirt, ein behäbiger Korse mittleren Alters, nickte ihm freundlich zu, als habe er in ihm schon einen Stammkunden wiedererkannt. Leider sprach dieser weder englisch noch deutsch und Levi verstand zwar etwas Französisch, konnte jedoch selbst nur mühsam einige Sätze formulieren, nicht genug, um eine lockere Unterhaltung beginnen zu können. Deshalb beschränkte sich ihre Konversation im Wesentlichen auf die Bestellung eines mediterranen Frühstücks und Milchkaffees sowie einiger radebrechender Bemerkungen über das wundervolle Wetter. Sinnend blickte er in Richtung der Innenstadt, als wenn er erwarten würde, dass sie zufällig daher kommt. Was sollte er nur heute unternehmen? Er wagte nicht, größere Ausflüge zu planen, denn sollte sie plötzlich anrufen, wäre er vielleicht nicht erreichbar oder unterwegs. Andererseits konnte er auch nicht den ganzen Tag warten. So beschloss er, nach einem kleinen Rundgang vielleicht ihr Haus auf eigene Faust zu suchen. Es musste sich irgendwo dort drinnen in der Altstadt befinden. Dann würde er weitersehen. Das Lokal füllte sich nach und nach mit weiteren Gästen. Üblicherweise saßen in Nähe der Theke im Eingangsbereich eher die Einheimischen, Handwerker oder Zulieferer, die ihren Espresso tranken, fröhlich miteinander schwatzten, um dann wieder ihren Aufgaben nachzugehen. Er blickte sich um. Eine Gruppe junger Männer betrat von der anderen Straßenseite kommend den Platz. Sie hatten das selbstbewusste, etwas unangenehm machohafte Auftreten, welches stolze junge Korsen auszeichnet, die sich im Vollbesitz ihrer Kraft und voller Selbstbewusstsein fühlen. Lachend strebten sie auf das Café zu, bahnten sich ihren Weg zwischen Tischen und Stühlen hindurch und riefen dem Wirt lautstark etwas zu. Einer der jungen Männer, ein unrasiert, grobschlächtig wirkender Flegel, stieß im Vorbeigehen heftig an Levis Stuhllehne, ging jedoch weiter, ohne sich auch nur mit einer Geste zu entschuldigen. Verärgert schaute Levi ihnen nach. Der Wirt, der den Vorfall offenbar beobachtet hatte, hob entschuldigend die Augenbrauen und zog die Schultern hoch, rief den Jungen etwas zu, was diese jedoch nicht besonders beeindruckte. Sie warfen sich auf die Stühle vor dem Eingangsbereich und setzten ihre lärmende Unterhaltung ungestört fort.Levi fühlte sich plötzlich unwohl in seiner Haut. Er beschloss, das Café nun lieber zu verlassen, um sich auf die Suche nach Suzannes Haus zu machen. Wie gewohnt, legte er das abgezählte Geld auf den kleinen Teller mit der Rechnung, winkte dem Wirt zum Abschied zu und machte sich auf in Richtung Innenstadt.Die Altstadt von Algajola ist eigentlich nicht besonders groß. Sie besteht im Wesentlichen aus dem Kastell und einigen davor gruppierten Häuschen in kleinen, verwinkelten Gassen. Teilweise gab es kleine, enge Zugänge, denen man nicht ansehen konnte, ob sie etwa in einen privaten Innenhof führten oder einen Zugang zu einer anderen Gasse darstellten. Es dauerte nicht lange und er wusste nicht mehr, wo er war. Immer wieder fand er sich auf einer größeren Gasse wieder, die er gerade erst verlassen hatte, oder bemerkte, dass er dieselbe Gasse nun zum zweiten Mal, nur aus anderer Richtung passiert hatte. Es war als spucke ihn die Innenstadt immer wieder auf die Hauptverkehrswege aus. Das Haus konnte er jedoch nirgends finden. Er kratzte sich am Kopf. Es musste doch möglich sein, die Zugangsgasse wiederzufinden. Er versuchte es vom Strand herkommend, wie gestern. Doch obwohl er in jede kleinere Gasse abbog, die von der Straße abzweigte, fand er sich doch wieder nur auf der Uferpromenade oder der A. Marina oder gar der Hauptstraße wieder. Es ging ihm nicht in den Kopf, dass er die Gasse nicht finden konnte. Frustriert wanderte er zum Kastell zurück, blickte zwischendurch auf das Display seines Handys, wo immer noch keine Nachricht von ihr eingetroffen war. Es war nun bereits fast an die Mittagszeit, und setzte sich auf eine Bank mit Blick auf das Meer. Etwas weiter weg, entdeckte er einen jungen Mann, der auf der Mauer saß, die das Kastell umgibt und ihn anstarrte. Ein Schreck fuhr Levi durch die Glieder, als er den rüpelhaften jungen Mann wiederzuerkennen glaubte, der ihn unsanft angerempelt hatte. Erfreulicherweise sprang dieser mit einem leichten Satz von der Mauer und entfernte sich in Richtung Innenstadt.

      7

      Langsam erhob er sich vom Steg, löste sich aus seinem Traumbild und begann in Richtung des Dorfes zu schlendern, wo er den Bäcker vermutete. Nachdem er den mit Panzerplatten betonierten Zufahrtsweg zum Campingplatz hinter sich gelassen hatte und der Wald sich lichtete, um einem großen Rübenacker Platz zu machen, konnte er aus der Ferne bereits einen Kirchturm entdecken. Er schätzte, dass dieser ungefähr zwei bis drei Kilometer entfernt sein müsste. Die Wolkendecke zeigte nun bereits einige hellere Stellen, durch die es vereinzelte Sonnenstrahlen herunter schafften, wie Vorboten auf besseres Wetter. Erleichtert beschleunigte er seine Schritte, da er sich ausrechnete, wohl gut eine halbe bis Dreiviertelstunde zum Dorf unterwegs zu sein und dieselbe Zeit nochmals zurück. Er würde ziemlich genau dann am Campingplatz wieder angekommen sein, wenn die Familie sich verschlafen aus den Betten erhob.

      So schritt er pfeifend aus, immer der Straße entlang, während links und rechts eintöniges Ackerland das Landschaftsbild ausmachte, nur in der Ferne durch vereinzelte kleine Waldgruppen aufgelockert. Nach wenigen Minuten kreuzte eine Bahnlinie die Straße, an der ein kleines graues fensterloses Wartehäuschen die wenigen Fahrgäste, die zu erwarten gewesen wären, vor der Unbill des Wetters schützen konnte. Doch es war jetzt leer, nicht einmal ein Fahrplan wies auf die Verkehrszeiten eines Zuges hin, noch war ein Stationsschild zu erkennen. Ein Mast, an dem wohl eines gehangen haben musste, wies wenigstens noch die verrostete Halterung des Schildes auf. Auf dem Boden lagen Glasscherben zerschlagener Bierflaschen, einige leere Papiertüten und zerbeulte Getränkedosen. Gras wucherte zwischen den Schienen, so dass er sich fragte, ob in der letzten Zeit hier überhaupt ein Zug verkehrt haben mochte. Er stellte sich mit dem Rücken an das Wartehäuschen, um den morbiden Geist der Station in sich aufzunehmen.

      Die Station passte irgendwie zu der öden Gegend und auch zu seiner Grundstimmung der letzten Tage. Er stellte sich vor, er stünde hier in dem Wartehäuschen, einen Zug erwartend, der niemals kommen würde. Wind und Regen wären ihm die einzige Begleitung und schließlich würde er über die Gleise davongehen. Endlose Gleise ins nirgendwo.

      Nachdem er sich ausreichend umgesehen hatte, setzte er seinen Weg fort, nur um wenige hundert Meter später an die Hauptstraße zu kommen. Allerdings verlief diese weder in der einen noch der anderen Richtung auf das Dorf zu. Da die Straßenkreuzung in einer Talmulde lag und sich ihm der Kirchturm nun dem Blick entzog, konnte er sich nicht recht entscheiden, wohin er sich wenden sollte. Unschlüssig schaute er mal in die eine, dann die andere Richtung. Sollte er lieber wieder zurückgehen? Das wäre ihm wie eine Niederlage vorgekommen. Niederlagen hatte er in letzter Zeit genug erlitten. Er dachte an die Gleise. Er würde sich dem Nichts überlassen. Er würde jetzt eine Münze werfen und dem Zufall die Wahl der Richtung überlassen. Zahl für links, Kopf für rechts.

      Die Münze sprang genau in dem Moment aus seiner Hand, als die Wolkendecke aufriss und einen kräftigen Sonnenstrahl hindurch ließ, der das gelbe Metall hell aufblitzen ließ. Dann kullerte sie auf die Straße, drehte sich mehrmals im Kreis, als könne sie sich nicht entscheiden, in welche Richtung sie fallen wolle und kippte dann schlingernd