Urbis oder der Tanz der Tummelfliegen. Kirsten Döbler

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Название Urbis oder der Tanz der Tummelfliegen
Автор произведения Kirsten Döbler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847618799



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er nun tatsächlich.

      Caro blieb stehen und drehte sich zu ihm um.

      »Sag mal, hast du Wahrnehmungsstörungen?« Sie verspürte, während sie sich über Matthias empörte und ein wenig wohl auch über Ben, einen wachsenden Drang, sich auch körperlich Luft zu machen.

      »Immerhin ist er extra aus München angereist«, überlegte Ben.

      »Natürlich ist er das, allein schon um Steffi ihre Kollektion madig zu machen und allen seine ewigen Wahrheiten zu verkünden!«, schnaufte Caro und schleuderte ihr Proseccoglas auf den goldenen Dielenboden. Im nächsten Moment hielt sie beide Hände vor den Mund und schämte sich für ihre unbeherrschte Handlung. Nun war es doch wieder passiert, nun hatte die Wut sich doch wieder einen Weg gebahnt.

      Ben nahm sie schnell in den Arm, und Caro war dankbar für seinen Beistand. Sie gingen gleichzeitig in die Knie, kauerten auf dem Dielenboden und sammelten die Glasscherben vorsichtig ein. Immerhin, beruhigte sie sich, die Abstände zwischen den Ausbrüchen waren erheblich länger geworden. Fast zwei Jahre waren vergangen, seit das schöne Chinabone-Service zu Bruch gegangen war, das eigentlich Jacob auf dem Gewissen hatte.

      Caro wollte dem Vorgänger von Ben nicht einmal in Gedanken Zutritt gewähren zu ihrem neuen Lebensabschnitt, versuchte sein Gesicht zu verdrängen. Aber nun war es zu spät. Eigenartigerweise hatte Caro beim Anblick der Scherben vor ihren Füßen plötzlich alles wieder vor Augen: All das Warten auf Jacob. Das Tauziehen mit Jacob. Schließlich das Fluchen auf Jacob. Gleichzeitig war sie stolz darauf, dass es ihr damals gelungen war, ihn rechtzeitig in die Wüste zu schicken. So rechtzeitig, dass sie gar nicht mehr damit beginnen musste, ihren Kopf gegen die Wand zu schlagen, wie sie es früher zu tun pflegte, wenn eine Beziehung aus dem Ruder lief.

      Jacob war ihr auf dem Weg zum »Atlantic« über den Weg gelaufen, wo Julia das Jubiläum der Event-Agentur ausrichten ließ, für die sie noch immer tätig war. Augenzwinkernd hatte sie Caro und Steffi die Einladungen zu diesem Abend übergeben:

      »Damit ihr endlich ein paar betuchte Männer kennenlernt.«

      Caro hatte damals zur Feier des Tages ihre Stiefel gegen ein Paar zierlicher Stiletto-Sandaletten ausgetauscht, ein interessanter Kontrast zu ihrer schwarzen Cargohose. Als sie nach vielen vergeblichen Runden durch St. Georg endlich einen Parkplatz gefunden hatte, stieg sie gereizt aus ihrem Auto, schlug die Wagentür zu und versuchte, die Radioantenne zusammenzuschieben, um sie vor übermütigen Jugendlichen in Sicherheit zu bringen. Die oberen Glieder der Antenne ließen sich noch leidlich einfahren, aber je tiefer sie das Teleskop versenkte, desto schwergängiger wurde es. Während sie vergeblich versuchte, das Rohr zu bewegen und ihre Fingernägel in der Abendsonne leuchteten, fühlte sie, wie eine rote Wut in ihr aufstieg. Als das Metall schließlich weder vor noch zurück zu schieben war, zitterte ihre Hand kurz, und mit einem leisen Schnaufen bog sie die Antenne um, so dass sie wie ein abgeknickter Strohhalm aus dem Wagendach ragte.

      »Ihnen möchte ich aber nicht im Dunkeln begegnen«, hörte Caro damals eine Stimme hinter sich und fuhr herum, blickte in die lachenden Augen eines gar nicht einmal großen, aber sehr stattlich wirkenden Mannes, dessen dunkler Anzug einen leichten Bauchansatz verbarg, gerade noch das sympathische Anzeichen eines genießerischen Alltags.

      »Das würde ich Ihnen auch nicht raten«, fauchte sie ihn an, während sie nebeneinander standen, Caro mit verschränkten Armen neben der abgeknickten Antenne, der fremde Mann mit einem riesigen Lilienstrauß unter Folie in der Hand.

      »Wenn ich könnte, würde ich Ihnen diesen Strauß schenken, um Sie etwas zu besänftigen.« Er lächelte sie weiter an. »Leider muss ich ihn aber bei einem Jubiläum abliefern, sonst kann ich die Promotion für meine Firma in Zukunft vergessen. Aber kann ich vielleicht irgendetwas anderes für Sie tun?« Während der attraktive Mann mit den Lachfalten ein wenig belustigt auf Caro schaute, riss sie ihre Fahrertür auf, griff sich ihren Strauß Rosen sowie ihr Ledertäschchen und schnaubte:

      »Wissen Sie was? Wenn ich eine Blumensorte auf den Tod nicht ausstehen kann, dann sind das Lilien.« Und damit knallte sie ihre Wagentür zu, bog die umgeknickte Antenne weg von der Fahrbahnseite über das Wagendach und stöckelte auf ihren Stilettos Richtung »Atlantic«. Sie bog in den Holzdamm ein und sah bereits den Hoteldiener in Livree vor dem Eingang auf und ab gehen, als sie die wohlklingende Stimme des Mannes mit dem Lilienstrauß hinter sich hörte.

      »Wenn ich nun verspreche, Ihnen niemals Lilien zu schenken und heute Abend dafür zu sorgen, dass Sie immer ein gefülltes Glas Champagner in der Hand halten, würden Sie dann davon absehen, mich im Dunkeln zu verprügeln?« Caro konnte nicht umhin zu grinsen, während sie neben ihm die Stufen zum Eingang des »Atlantic« hinaufschritt.

      So hatte sich Julias Feier als ausgesprochen unterhaltsam erwiesen. Jacob Conradi, der Lilienliebhaber, wich den ganzen Abend nicht von Caros Seite. Und als sie nachts aus dem strahlend weißen Hotel traten und über eine Fortsetzung des Abends verhandelten, spielte er von Anfang an mit offenen Karten, das ließ sich nicht leugnen. Natürlich war er verheiratet, natürlich wohnte er mit Frau und zwei Kindern in einem Walmdachbungalow inmitten eines Gartens voller Rhododendronbüsche. Und natürlich schaffte Caro es trotzdem nicht, ihn an diesem Abend zurück zu seiner Familie in die Elbvororte zu schicken.

      Als sie ihm ein Jahr später, während er sich gerade die Schnürsenkel zuband, vorschlug, nun langsam über eine Trennung von seiner Frau nachzudenken, schüttelte er mit Befremden den Kopf. Gemeinsamer Urlaub: gern. Aber seine Familie aufgeben, das ging dann doch zu weit. Was dann folgte, bezeichnete Caro im Nachhinein als mehrmonatige Gefechtsphase, in der sie sich aller Varianten von Hinterhalt, Frontalangriff, taktischem Rückzug oder Stellungskrieg bediente, die ihr zur Verfügung standen, in deren Verlauf sie sich zu ihrer eigenen moralischen Unterstützung sogar eine SWAT-Uhr kaufte, bis sie endlich bereit war einzusehen, dass Jacobs Familie siegreich aus der Schlacht hervorgegangen war.

      Zwar war Caro diejenige, die schließlich den Schlussstrich zog, aber das änderte nichts daran, dass sie in den Tagen nach dem offiziellen Ende sukzessive alle vierundzwanzig Teile ihres Kaffeegeschirrs an die Wand warf. Aber, dachte sie nicht ohne Stolz, sie hatte die Scherben zusammengekehrt und neu begonnen.

      Aus alter Gewohnheit schaute sie unwillkürlich auf die SWAT-Uhr an ihrem schmalen Handgelenk. SWAT, hatte sie Ben an dem Abend am Fischmarkt, an dem sie sich kennengelernt hatten, erklären müssen, bedeutete »Special Weapons and Tactics«, und Caro fragte sich manchmal, warum sie die Uhr eigentlich immer noch trug, ohne diesen Gedanken jedoch ernsthaft weiter zu verfolgen.

      Steffi, da war Caro sich sicher, hätte ihr die SWAT-Uhr schnell madig gemacht, wenn sie ihr die Gründe für den Kauf erzählt hätte, denn Steffi hielt überhaupt nichts von Taktik. Es war nur so, fand Caro, dass sich die Dinge nicht immer in der Weise entwickelten, wie man es sich vorstellte, und dann, fand sie, durfte man durchaus einmal zu einer kleinen Raffinesse greifen. Es durfte eben kein Dauerzustand werden. Man handelte aus Notwehr. Und außerdem: Steffi war hier kein Maßstab. War das etwa eine Alternative: Seit Jahren zog Steffi als Single durchs Leben. Caro kannte keinen Menschen, der so kompromisslos lebte wie ihre Freundin, so ganz und gar ohne Zugeständnisse. Aber konnte man denn so leben?

      Caro löste die Augen von ihrer SWAT-Uhr, schaute Ben an und flüsterte »Entschuldigung«. Der Prosecco war in den Fugen zwischen den mattgoldenen Bohlen versickert, und sie konnte schon wieder lächeln, während sie dachte, dass Steffis Atelier damit immerhin getauft war. Umgeben von den Unterschenkeln der stehenden Gäste, beugte sie sich hinüber zu Ben, um ihn einige Sekunden lang zu küssen.

      »Gibt’s hier etwa kein Hinterzimmer, in das ihr euch verdrücken könnt?«, hörte sie im selben Moment eine rauchige Stimme über sich lachen und blickte nach oben. Julia prostete ihnen zu und wippte mit den Hüften zu dem jazzigen Rhythmus, der jetzt eingesetzt hatte. Ben nahm Caro ihre Scherben ab, küsste sie noch einmal und flüsterte ihr »Bis später« zu, bevor er Julia zunickte, das zerbrochene Glas davontrug und die Frauen alleine ließ.

      Caro kam aus der Hocke hoch und tauchte ein in eine Wolke aus Hibiskus und Sandelholz mit einem Hauch von Zitrusfrüchten.

      »Neues Parfüm?«, fragte sie und rümpfte die Nase, während