Название | Urbis oder der Tanz der Tummelfliegen |
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Автор произведения | Kirsten Döbler |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847618799 |
3
Ein Treffen mit Steffi und Julia verhieß seelischen Beistand, spannende Kontroversen oder einfach nur Spaß. An diesem Ostermorgen jedoch näherte Caro sich mit einer gewissen Anspannung der Kneipe, in der sie zum Frühstück verabredet waren. Sie konnte nicht umhin, sich mögliche Reaktionen der Freundinnen auf ihre Neuigkeiten vorzustellen.
Steffi würde ihre großen Augen vermutlich noch weiter aufreißen und die ganze Kneipe mit ungläubigen Ausrufen beglücken. Oder würde die unerwartete Nachricht ihr ausnahmsweise einmal die Sprache verschlagen? Nein, wahrscheinlicher war eine Salve lautstarker Zweifel an Caros Zurechnungsfähigkeit.
Und Julia, das war klar, würde zwischen ihren überlangen Ponyfransen hindurchgucken und sich halbtot lachen, in einer Hand ein Glas Sekt etwa in Augenhöhe balancieren und mit der anderen ihre glatten blonden Haarsträhnen vom Busen auf den Rücken befördern. Sie würde vor lauter Prusten gar nicht zum Trinken kommen und sich schließlich doch wieder beruhigen, um ihr erstes Glas leeren zu können.
Entsetzen oder Spott – was war leichter zu ertragen? Caro presste die Lippen aufeinander und öffnete die Tür, die in den Gastraum ihrer Stammkneipe führte. Ella, die Studentin hinterm Tresen, nickte ihr freundlich zu, schäumte gleichzeitig die Milch für einen Cappuccino auf und flirtete nebenbei mit einem Gast. Aus den Boxen klang »Nature Boy«, und Caro überlegte, wie lange sie Frank Sinatra ertrug, bevor sie Ella anflehen musste, etwas anderes aufzulegen.
Caro hielt diese Musik nicht aus; immer hatte sie dabei das Gesicht ihres Vaters vor Augen, wie er am Sonntag Morgen in Unterhemd und Trainingshose am Küchentisch saß, sich eine Zigarette drehte, mit dem Fuß penetrant den Takt stampfte und hin und wieder einen Schluck aus der Bierdose nahm. Wie er die Augen verdrehte, die Lippen spitzte und mit einem jaulenden »uuuhuuuhuuuhu« den Chor begleitete, als könne er mit seinem Winseln darüber hinwegtäuschen, dass er kein Wort von dem verstand, was Sinatra als »the greatest thing you’ll ever learn« besang. Missmutig wählte Caro einen Tisch aus, ließ sich auf einen Stuhl fallen und verbannte die Erinnerungen, indem sie mit den Fingern ihre Frisur abtastete, die wie immer ein Kunstwerk war.
Der Sinatra-Song war zu Ende. Aus den Lautsprechern drang ein Flamenco, und Caro atmete auf. Wenigstens das Feilschen um eine andere Musik blieb ihr erspart.
»Hey!«, rief eine Stimme am Eingang, und Caro musste lächeln, als sie Steffi erblickte. Nie konnte man ihr Outfit im Voraus erahnen. Mal erschien sie mondän, mal sportlich, an einem Tag kreischend bunt, am nächsten ganz in schwarz. An diesem Morgen hatte sie ein T-Shirt mit einem rot-gelben Superman-Dreieck angezogen, in dem sie ihre Brust herausstreckte und mit verschmitzten Augen auf die Freundin zukam.
»Es gibt keine Zufälle«, seufzte sie, umarmte Caro und ließ sich auf dem Stuhl gegenüber nieder. »Rate, wen ich eben getroffen habe.«
»Sicher deinen Fotografen mit dem seltsamen Namen, den ich mir nicht merken kann.«
»Haerviu. Richtig. Ich habe mich gerade geschlagene zehn Minuten mit ihm unterhalten. Aber dann musste ich los, bin ja schließlich hier verabredet, nicht?« Dabei kicherte sie, langte über den Tisch und kniff Caro in den Oberarm.
Natürlich hätte Steffi keinerlei Skrupel gehabt, zu spät zum Frühstück zu kommen, wenn Haerviu ihr eine Gelegenheit dazu gegeben hätte. Schließlich kannten Caro und Steffi sich seit ihrem Studium, und es hatte in den vergangenen Jahren genügend Situationen gegeben, in denen sie das Verständnis der anderen dringend gebraucht und zuverlässig bekommen hatten. Caro wäre geradezu begeistert gewesen, wenn Steffi sich verspätet und stattdessen die Bekanntschaft mit Haerviu vertieft hätte. Denn Caro hoffte, dass er sich endlich einmal als Glücksfall erweisen möge: phantasievoll, bindungsfähig und nicht gänzlich abgeneigt, ein Kind zu zeugen.
Steffi hatte jetzt ihre Strategie geändert: Sobald sie jemanden kennenlernte, tat sie alles, um ein mögliches Hindernis auf dem Weg zu ihrem Kinderwunsch so früh wie möglich aufzuspüren, denn sie hatte zu viele Enttäuschungen erlebt, zu viele Gefühle investiert, um dann jedes Mal feststellen zu müssen, dass der Auserkorene partout nicht Vater werden wollte. Caro verstand nicht, warum Steffi sich nicht dazu entschließen konnte, alleine ein Kind großzuziehen, wenn sie so dringend Mutter werden wollte. Doch da war Steffi absolut unbeweglich: Kein Vater – kein Kind. Und so hatten sie im vergangenen Monat ohne einen geeigneten Kandidaten Steffis sechsunddreißigsten Geburtstag gefeiert.
»Das wäre ja noch schöner – mich hier zu versetzen«, sagte Caro und machte ein paar Faxen, um ihre Sorgen um den Nachwuchs der Freundin zu verbergen. Sie hielt den Kopf schief, so dass eine lose Strähne ihr vors Auge fiel, und sie versuchte, sie durch Pusten wieder in ihre ursprüngliche Position zu bringen. »Reicht ja, wenn Julia uns wieder hängen lässt.« Caro griff nach dem Haarstrang und beförderte ihn vorsichtig zurück auf den Kopf.
»Sind wir heute etwas zickig?« Steffi begann, ihre geräumige Ledertasche nach irgendetwas umzugraben. Caro reagierte unwirsch, fragte, ob Steffi es in Ordnung fände, dass Julia grundsätzlich zu spät kam, ereiferte sich, spürte, wie ihr Pulsschlag sich beschleunigte. Mühelos hätte Caro das Thema ausschmücken können, Beispiele anführen, sich in Rage reden, aber da sie nur zu gut wusste, wie ihre Tiraden in der Regel endeten und sie sich vorgenommen hatte, diese Dummheiten künftig zu unterlassen, war sie dankbar, als sie unterbrochen wurde:
»Sag das nicht mir, sag das ihr.« Steffi gähnte und beförderte ein zerknittertes Stück Papier aus den Tiefen ihrer Tasche ans Tageslicht und schob es Caro hinüber. Die faltete den Bogen auseinander und schaute einige Augenblicke lang intensiv auf den Entwurf eines Abendkleides.
»Phantastisch! Steffi, du wirst der Star des Abends sein.«
»Das darf man wohl auch erwarten, wenn man sein eigenes Atelier eröffnet.« Steffi fuhr sich durch die strubbeligen Haare. »Und du brauchst gar nicht so zu grinsen. Ja, Haerviu hab ich auch eingeladen, und er hat zugesagt!«
In diesem Moment schallte aus dem Eingangsbereich der Kneipe ein dumpfer Knall herüber, gefolgt von einem spitzen Schrei. Steffi und Caro starrten in die Richtung, aus der die Störung kam, und guckten sich an, als wollten sie sagen: »Wer auch sonst?«. Aber bevor sie Julia dabei helfen konnten, den Garderobenständer wieder aufzurichten, hatte sie das Malheur bereits behoben und die Mäntel, Jacken und auf Holzhalterungen gezogenen Zeitungen zurück ans Gestell gehängt. Julia strich ihr Kleid bereits wieder glatt und schritt erhobenen Hauptes über den Holzboden an den Tisch der Freundinnen.
»Frohe Ostern, ihr beiden!«, grüßte sie mit heiserer Stimme und umarmte erst Steffi und dann Caro.
»Ostern? Was war das mal noch?«, alberte Caro herum, die seit ihrer Kindheit mit jedem kirchlichen Feiertag eine Demütigung verband. Sicher, auch sie war seinerzeit in der Dorfkirche konfirmiert worden wie alle anderen ihres Jahrgangs auch, aber dieses Ereignis hatte viel von seinem Glanz verloren, als ihre Mutter sie zwang, zur Konfirmation Petras schwarzes Kostüm zu tragen, dessen Innenfutter die Schwester unter den Achseln durchgeschwitzt hatte.
Steffi rollte mit den Augen, warf Caro einen tadelnden Blick zu und sagte »Hey, Julia, frohe Ostern«.
»Gelungener Auftritt«, nickte Caro und wusste im selben Moment, als sie es aussprach, dass ihr die Bemerkung wieder ein Quäntchen zu boshaft geraten war. Denn die Art und Weise, wie Julia sich stets in Szene setzte, ärgerte Caro. Sie missgönnte ihr die provozierte Aufmerksamkeit. Und es ärgerte sie, dass sie diese Missgunst empfand. War sie vielleicht eifersüchtig auf die Leichtigkeit, mit der die Freundin die Blicke aller Männer auf sich zog?
Die Frauen hatten längst ihre Croissants gegessen und Cappuccinos getrunken, als Caro sich endlich entschloss, auf ihre Neuigkeit zu sprechen zu kommen.
»Ben hat heute Dienst«, warf sie unvermittelt als Appetithappen in den Raum.
»Das ist ein Naturgesetz, dass Klinik-Ärzte an Feiertagen Dienst haben«, gab Julia trocken zurück.
»Aber es gibt Neuigkeiten.« Caro nahm sich vor, einfach und emotionslos nach und nach die Tatsachen auf den Tisch zu legen. Kein Grund sich aufzuregen. »Die Schinderei