Название | Urbis oder der Tanz der Tummelfliegen |
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Автор произведения | Kirsten Döbler |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847618799 |
»Und das willst du uns heute Abend wohl beweisen.«
»Warum nicht? Auf jeden Fall hat sich der Kreis potenzieller Kandidaten erweitert. Steffis Bruder zum Beispiel hat sich mächtig herausgemacht, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Sieht gut aus, hat Geld und Geschmack, ist charmant mit einer wunderbar tiefen Stimme, was will ich mehr? Findest du nicht, dass Matthias ein smartes Kerlchen geworden ist?«
»Geschmackssache.« Caro spürte, wie sie regelrecht böse wurde. Ausgerechnet Matthias. Seit sie Julia kannte, ärgerte sie sich über deren unentwegte Jagd auf Männer. Aber in der Regel bediente Julia sich in ihrem beruflichen Umfeld: Über die Arbeit in der Event-Agentur lernte sie ständig neue Kunden oder Mitarbeiter kennen und stürzte sich in diese Bekanntschaften. Doch Caro verstand nicht, wieso ihre Beziehungen so wenig stabil waren. Wie konnte es angehen, dass diese patente und humorvolle Frau, finanziell unabhängig und brillant im Organisieren, so gefangen war in ihrem Zwang zu ständig neuen Liebeleien? Caro wunderte sich immer wieder, wie das Thema Männer Julias Leben beherrschte, ohne dass ihr bisher eine echte Bindung gelungen wäre. Jedenfalls nicht seit die beiden sich kannten, seit ihrer gemeinsamen Zeit an der Hochschule für Gestaltung, die viele Jahre zurücklag.
Noch heute schüttelte Caro den Kopf darüber, dass Julia ihr Studium damals vorzeitig abgebrochen hatte, um endlich Geld zu verdienen und es in Kleidung und teure Düfte investieren zu können. Einfach alles in Julias Leben rankte sich seit Jahren um ein zentrales Thema: ihre Wirkung auf Männer. Und jetzt also Matthias, dieses drei Jahre jüngere Großmaul. Caro hatte partout keine Lust, dabei zuzusehen.
»Ich geh mir was zu trinken holen«, sagte sie und ließ die Freundin im Gedränge stehen. Verstimmt schob sie sich in Steffis Richtung, doch die stand in einer Runde mit ihren Eltern und einigen Kundinnen, und da wollte Caro nicht stören.
Mit einem neuen Glas Prosecco in der Hand plauderte Caro beiläufig mit einer Frau aus Steffis altem Ladenkollektiv, ihre Augen aber schweiften häufig ab in Richtung des Grüppchens, in dem Steffi stand. Sie registrierte, wie ihre Freundin die Schultern nach hinten drückte, während ihr Vater mit durchdringender Stimme dozierte, wie Steffi die Stirn in Falten legte, wenn ihre Mutter unter heftigem Nicken des Kopfes mit einer Kundin sprach. Und Caro bewunderte Steffi dafür, dass sie ihre Eltern dennoch gewähren ließ. Aber es lag noch etwas anderes in ihrer Miene und in der schnellen Drehung des kahlen Kopfes, die sie hin und wieder von ihrer Position aus vollzog. Caro begriff, dass Steffi den Raum in kurzen Abständen immer wieder nach Haerviu absuchte, der bislang nicht erschienen war, und sie fühlte mit ihrer Freundin mit.
Als Caro ihr Gespräch beendet hatte, hielt sie Ausschau nach Ben, aber vergeblich. Erst als sie durch die Schaufensterscheibe auf die Straße hinausblickte, sah sie ihn hinter den Spiegelbildern der flackernden Kerzen mit den Händen in den Hosentaschen auf dem Gehweg stehen. Sie beobachtete, wie sich sein kräftiger Brustkorb mehrmals dehnte und wieder in die Normalstellung zurückfiel, während er in den Abendhimmel sah.
»Ich Glückskind«, dachte Caro, während sie sich durch die Gästemenge Richtung Tür schob. Und mit den Bildern von Steffis suchenden und Julias provozierenden Blicken im Kopf sprang Caro mit einem berauschenden Maß an Erleichterung die Stufen vom Atelier hinunter auf den Fußweg und fiel Ben um den Hals.
Gegen ein Uhr saßen der harte Kern von Steffis Freundeskreis und ihr Bruder auf Klappstühlen um den Getränketisch herum. Steffi hätte froh sein können nach dem gelungenen Verlauf der Eröffnungsfeier. Alle waren sie da gewesen, Freunde, Bekannte, Verwandte, hatten das Atelier für ein paar Stunden in einen Ort heiterer Festlichkeit verwandelt. Aber Caro spürte, dass Steffi schwer mit ihrer Enttäuschung zu kämpfen hatte, da Haerviu nicht erschienen war. Zwar lachte Steffi sich über die Schilderungen des Bassisten von »Achterndeich« kaputt, der von ihrem missglückten Auftritt bei einer Hochzeitsfeier erzählte, zwar führte sie wortgewandt einen sinnlosen Streit mit ihrem Bruder über Details des Mietvertrages für ihr Atelier, doch Caro entging keineswegs, dass ihre Freundin litt, auch wenn sie es gut zu überspielen wusste.
»Jungs und Deerns«, forderte Steffi die verbliebenen zehn Personen auf, während sie sich erhob, »jetzt stoßt bitte mal mit mir an auf ...«, als sie mitten im Satz inne hielt. Caro konnte nicht sehen, was hinter ihrem Rücken geschah und starrte nur fasziniert auf die kolossale Veränderung, die sich in diesem Moment auf Steffis Gesicht abspielte. Ein schnelles Kräuseln der Stirn, bevor sie ihre ohnehin großen Augen immer weiter aufriss und sie durch ein Lächeln, das von ihrer gesamten Kopf- und Halsmuskulatur getragen wurde, zum Leuchten brachte. Gleichzeitig hörte Caro, wie sich die Tür zum Atelier öffnete, und dann blickte sie hinter sich und sah Haerviu mit seiner Fotoausrüstung auf dem Bauch den nur noch vom Kerzenlicht beschienenen Raum betreten.
»... auf einen perfekten Abend«, beendete Steffi ihren Satz, hob ihr Glas, stieß mit allen an und kippte ganz benommen vor Erleichterung ihren Wein wie ein Glas Saft hinunter, bevor sie strahlend auf Haerviu zuging und sich einige Meter entfernt von den anderen mit ihm unterhielt.
Den Rest des Abends verbrachte Caro in Mutmaßungen darüber, warum Haerviu das Atelier gleich wieder verlassen hatte. Seine Gründe mussten Steffi überzeugt haben, da sie in der Runde, die sich bis um drei Uhr morgens hartnäckig am Tisch hielt, vor Schlagfertigkeit nur so brillierte. Ben hatte die Feier schon vor Stunden verlassen, weil er am nächsten Tag Dienst hatte, aber Caro blieb im Atelier, bis die Runde sich schließlich auflöste.
»Dann lass mal hören«, sagte sie zu Steffi, nachdem alle anderen gegangen waren und die beiden angefangen hatten, die leeren Gläser und Flaschen in der Teeküche zusammenzustellen.
»Ganz einfach. Sein Auftrag hat länger gedauert als geplant, und er hatte keine Lust, in seinem nüchternen Zustand auf uns angesäuselte eingeschworene Gemeinschaft zu prallen. Dafür treffen wir uns morgen zum Essen.«
»Klingt weise. Und wie fand er deine Glatze?«
»Die hat er mit keinem Wort erwähnt.«
Caro fühlte sich wieder wacher werden. Während sie Gläser spülten, ließ sie mit Steffi den Abend noch ganz unbeschwert Revue passieren. Doch als die beiden gegen vier Uhr das Atelier schließlich in einen annehmbaren Zustand versetzt hatten und sich für einen letzten Drink auf das frisch bezogene Plüschsofa fallen ließen, wurde Caro plötzlich ganz bange ums Herz, weil sie sich bewusst wurde, dass solche Nächte künftig nicht mehr zu ihrem Alltag gehören würden. Nur der beharrliche Gedanke daran, dass sie stattdessen jeden Morgen neben Ben aufwachen würde, konnte verhindern, dass das Gefühl der Bedrückung in diesen frühen Stunden des Tages die Oberhand gewann.
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