Schatten und Licht. Gerhard Kunit

Читать онлайн.
Название Schatten und Licht
Автор произведения Gerhard Kunit
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738021592



Скачать книгу

ermöglichte dieses Vorgehen ein Mindestmaß des Austauschs.

      Die Erkundigungen bei Semiras Gegnern ergaben ein anderes Bild von Rijkas Lieblingsschülerin. Sie vernachlässigte ihre Studien und fand es nicht der Mühe wert, an allen Lektionen teilzunehmen. Überdies unterhielt sie ein privates Quartier in der Stadt und blieb dem Unterricht oft tagelang fern. Sie war ein verwöhntes reiches Gör, das sich, neben einem gewissen Maß an Talent, vor allem durch Unwillen und Faulheit auszeichnete. Ihre fehlenden Leistungen überspielte sie offenbar durch persönliche Beziehungen zu Lehrkräften. Vielleicht war auch Bestechung im Spiel, aber das war Magister Retsin einerlei. Ihn hatte nur ihre fachliche Leistung zu interessieren.

      Nach reiflicher Überlegung beschloss er, ein Exempel zu statuieren. Eine einzige negative Prüfung könnte man ihm kaum als Schikane anlasten, doch da Semira polarisierte, brächte ihr Scheitern das Machtgefüge in der Akademie durcheinander. Mittelfristig könnte das Marins Position schwächen. Tioman Haranet ya Chernez hatte sich in den letzten Jahren zu viele Freiheiten herausgenommen, und dem konnte Romero jetzt gegensteuern. Semira war in diesem Spiel nebensächlich, nur eine Schachfigur auf dem Brett der Gildenpolitik.

       * * *

      Er wusste nicht mehr, warum er Semira zu sich beordert hatte. Vielleicht wollte er sich einen persönlichen Eindruck machen. Falls die Gerüchte über ihre oberflächliche Einstellung stimmten, und davon war er überzeugt, wäre es ihm ein Leichtes, ihre Schwachstellen zu entdecken um sie bei der Prüfung bloßzustellen. Mitleid war innerhalb der schwarzen Gilde nicht angebracht und wer die Ausbildung nicht ernst nahm, verdiente auch keines.

      Das Klopfen klang fest und bestimmt. „Komm rein“, rief er und entriegelte die Türe mit einem Wink seiner Hand. Hübsch, dachte er, reizend, außergewöhnlich. Er wies auf den Stuhl neben sich. „Nimm Platz.“

      „Danke.“

      Ihr Augenaufschlag zeugte von Respekt. „Ich möchte mit Dir die Themen der morgigen Prüfung durchgehen“, kam er gleich zur Sache.

      Romero Retsin zögerte, als das Bild des Raums vor seinen Augen verschwamm. Habe ich mich überanstrengt oder werde ich krank? Er fuhr sich über die Stirn und schüttelte die Benommenheit ab. Verstohlen musterte er die Novizin, aber die schien nichts bemerkt zu haben. „Und ich möchte Details über Dein Gesellenstück wissen.“

      Ihre Hand glitt zu ihrem Hals und fasste nach einer filigranen Kette. Mit einer geschmeidigen Bewegung fischte sie den Anhänger hervor. „Hier. Der wirkende Zauber verstärkt die charismatische Ausstrahlung, wodurch Beeinflussung und Beherrschung erleichtert werden. Die Wirkung hält etwa eine Stunde an.“ Sie zögerte, sah zu ihm auf und ergänzte leise: „Leider kann ich es nur einmal am Tag aktivieren.“

      Magister Retsin war beeindruckt, ließ sich das aber nicht anmerken. Der Wirkzauber war unbedeutend, aber selbstladende Artefakte waren schwierig herzustellen, entsprechend selten, und täglich abrufbare Anwendungen stellten selbst für erfahrene Artefaktenmagier die Grenze des Machbaren dar. Vermutlich hatte ihr jemand geholfen. Ein Grund mehr sie hart anzufassen.

      Er hob den Blick von dem Schmuckstück und sah ihr in die Augen. „Nette Spielerei“, meinte er abwertend. „Falls es fehlerfrei funktioniert, wird das genügen.“

      Eine Zehntelstunde reichte, um sich einen Überblick über ihre Kenntnisse zu verschaffen. Sie verstand sich auf die Verzauberung von Gegenständen und die Herstellung einfacher Tränke und Mixturen, aber Beeinflussungen oder gar Beherrschungen fielen ihr schwer. Ihr Können mochte ausreichen, einen Bauern oder eine Marktfrau übers Ohr zu hauen, aber die Bezauberung eines ausgebildeten Verstandes überstieg ihre Fähigkeiten. So gesehen zeugte es von Schläue, ihr Manko durch das Artefakt zu kompensieren.

      „Ich weiß, was ich wissen muss um Dir eine faire Prüfung zu ermöglichen.“ Das sollst du zumindest glauben.

      Semira machte keine Anstalten, sich zu erheben. Ihre Finger glitten verspielt durch ihre Haare und folgten dem Saum des Ausschnitts. Sie lächelte herausfordernd und sprach ihn unverblümt an: „Ich würde sehr viel für ein gutes Prüfungsresultat tun Professor Retsin, wirklich sehr viel.“

      So läuft das also, schoss es ihm durch den Kopf. Die Bestechung beschränkt sich nicht auf Gold. Solche Angebote waren ihm nicht fremd und wenn ihm eine Kandidatin zusagte, sah er keinen Grund sie abzulehnen. Diese hier gefiel ihm außerordentlich gut und sein Körper reagierte entsprechend. Er erhob sich, griff in ihr Haar und zog ihren Kopf an seinen Bauch.

      Wieder legte sich ein Nebel über seine Wahrnehmung, doch ihr Kuss vertrieb das eigenartige Gefühl. Morgen würde sie ihn hassen, aber davon wollte er sich nicht den Abend verderben lassen. „Zeig mal, was Du gelernt hast“, stöhnte er und überließ sich Ihrer überraschend geschickten Führung. Bei der Prüfung wird dir das auch nichts helfen, war sein letzter klarer Gedanke, ehe er sich dem Rausch ihrer Sinnlichkeit hingab.

       * * *

      Noch einmal schüttelte er den irritierenden Schleier ab, fand sich diesmal aber im Festsaal der Akademie von Marin wieder. Tioman Haranet ya Chernez wirkte belustigt, aber die ältliche Magierin links von ihm, Sybilla Ternis oder so ähnlich, starrte ihn an.

      Hier stimmte nichts, gar nichts. Wie komme ich hierher? Wieso stehe ich mit hochgeraffter Robe vor der Prüfungskommission?

      Als nächstes wurde er sich der warmen, klebrigen Flüssigkeit bewusst, die seine Hand benetzte und auf dem Parkett zu seinen Füssen kleine, weißliche Flecken bildete. Rijka von Sirnans Augen blitzten vor Vergnügen. Hastig ließ er die Robe fallen und strich sie mit fahrigen Bewegungen seiner Linken glatt, während er die Rechte konsterniert von sich streckte.

      „Kann mir jemand etwas zum Abwischen bringen“, pfauchte er wütend, während er fieberhaft nachdachte, wie er in diese unmögliche Situation geraten war. Da verlor Magistra von Sirnan ihre mühsam aufrecht erhaltene Beherrschung und prustete los.

      Endlich bekam auch Romero genug mit, um eine tiefe Röte aufzuziehen. Semira, rauschte es durch seinen Kopf. Gerade noch war sie auf seinem Zimmer gewesen. Es sollte Abend sein, und die Novizin sollte nackt in seinen Armen liegen. Stattdessen stand sie voll bekleidet neben ihm und musterte ihn mit züchtig-unschuldigen Blicken, die jedem Waisenmädchen Ehre gemacht hätte.

      Tioman Haranet ya Chernez ergriff das Wort: „Beherrschung: Ausgezeichnet. Beeinflussung: Ebenfalls ausgezeichnet, würde ich meinen.“ Der Akademieleiter legte eine Pause ein und bedachte Romero Retsin mit einem Blick, den man nur als spöttisch interpretieren konnte: „Illusion: Schön ausgeführt, perfekt zur Verstärkung der Gesamtwirkung eingesetzt, aber nicht prüfungsrelevant. Das Artefakt ist von tadelloser Qualität und scheint von praktischem Wert zu sein, wenn wir uns den Verlauf der Prüfung vor Augen führen.“

      Langsam hatte auch er Schwierigkeiten, sein Lachen zu unterdrücken. „Alles in Allem eine gelungene Vorstellung. Ich denke, Ihr werdet meiner Bewertung zustimmen, werter Kollege.“

      Ehe die Examina fortgesetzt wurden, zog ihn Ya Chernez beiseite und legte ihm vertrauensvoll die Hand auf die Schulter. Er entschuldigte sich betont jovial: „Ich hätte Euch diese Peinlichkeit gerne erspart, werter Kollege, aber die Einflussnahme auf den Prüfungsverlauf ist uns ja nur im Notfall gestattet. TANIS sei Dank, ist ja niemand zu Schaden gekommen.“

       * * *

      Magister Romero Retsin änderte seine Pläne und reiste unmittelbar nach den Prüfungen ab. Die Kutsche mit dem Wappen der Souriner Akademie donnerte mit zugezogenen Vorhängen durch die Stadt. Es würden Jahre vergehen, ehe er sich in Marin blicken lassen konnte. Überdies musste er seinem Rektorat das Notwendige berichten, ohne das Peinliche zu berühren. So oft er das Geschehen drehte und wendete, kam er zu demselben Schluss: Die blonde Novizin hatte ihn von Anfang an vorgeführt und ihre Fähigkeiten heruntergespielt, um ihn bloßzustellen. Unklar blieb, welche Mitglieder des Lehrkörpers in das schändliche Spiel eingeweiht waren, aber Semiras Rolle war eindeutig.

      Er gehörte nicht zu jener Sorte von Schwarzmagiern, die in einem Anfall von Jähzorn Tod und