Schatten und Licht. Gerhard Kunit

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Название Schatten und Licht
Автор произведения Gerhard Kunit
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738021592



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foppen, damit Sharana unbemerkt aus dem Haus kam, war leicht gewesen und der Herr Baron hatte seine Gemahlin besucht und das Ritual vollendet.

      Sara fühlte sich leicht, beschwingt und zugleich müde. Der Nachtwind liebkoste ihre Haut und schmeichelte ihrem erhitzten Leib. Es war, als spürte sie die zärtlichen Hände der Hohepriesterin. „Priesterin der ERU“, hallten Sharanas Worte nach. Der Gedanke an den Namen der schönen Göttin genügte ihr, um sich noch einmal in einem erregenden Schauer zu verlieren. Die Hände zwischen ihre Schenkel gepresst schlief Sara ein. In ihren heißen Träumen war ERU bei ihr, und in dieser Nacht trug die Göttin Sharanas Antlitz.

       * * *

      Für die Kaiserin

      Jahr 1, Kaiserin Rhodena, Sommer

       Sylva von Bethan, Kampfmagierin

      Neben Fürsten, Ministern und Armee zählte auch die Weiße Gilde zu den Säulen des Reiches, und deshalb nahmen Magister Reimer und Magistra Feuerstaub mit den Novizen des Abschlussjahres an Prinzessin Rhodenas Krönung teil. Die dicht gedrängten Menschen in den geschmückten Straßen der Hauptstadt und die allgegenwärtige Freude und Fröhlichkeit bei den Darbietungen der Musikanten und Gaukler eröffneten Sylva eine neue Welt, doch die Krönungsfeier war der unumstrittene Höhepunkt in ihrem jungen Leben. Mit Stolz und Freude leistete sie Rhodena den Eid: Dafür hatte sie die langen Jahre der strengen Ausbildung auf sich genommen.

      Zunächst herrschte am Hof Verwunderung, weil die Fürsten von Lausan und Windon, die Grafen von Sirnan und Rotfurt und die Vertreter der Lausaner Akademie nicht rechtzeitig eintrafen, doch niemand zog dafür einen anderen Grund in Erwägung, als die Hochwässer des Frühlings.

      Dann tauchte das Gerücht auf, Ungalf Schwarzhand, Fürst von Windon und Schwager des verstorbenen Kaisers würde Rhodena die Gefolgschaft versagen, und bald darauf wurde es zur Gewissheit: Ungalf stellte Rhodenas Anspruch in Frage und rief sich selbst zum Kaiser aus. Magister Reimer unterstellte die Kampfmagier dem Befehl der Generalin Adama von Hohenau, aber er selbst führte die Novizen zu Sylvas Enttäuschung nach Bethan zurück.

      Noch auf der Heimreise erreichten sie beunruhigende Nachrichten. Sirnan, Lausan und Rotfurt waren der bösartigen Verleumdung gefolgt, nach der Rhodena nicht Polanas’ leibliche Tochter wäre, und hatten sich dem Aufstand angeschlossen. Sylva wollte auf der Stelle umkehren und sich den kaiserlichen Streitkräften anschließen und stritt darüber mit Reimer.

      „Die Aufständischen haben ohne Unterstützung durch die Weißen Magier keine Aussicht auf Erfolg“, versicherte er ihr. „Ich schick Dich sicher nicht ohne Abschluss in den Krieg.“

      Bei ihrem Eintreffen erinnerte die Schule an einen aufgescheuchten Bienenstock, und noch am selben Abend beorderte sie der Rektor in den Festsaal. Seine Mitteilungen waren erschreckend und von weitreichender Auswirkung für die angehenden Zauberer. In Unkenntnis der Größe des Aufstandes und der Stärke der feindlichen Kräfte war das kaiserliche Heer geschlagen und zurückgeworfen worden. Zudem genoss der Feind viel stärkere magische Unterstützung als erwartet. Nicht nur die Akademie von Lausan, sondern auch Anhänger der Schwarzen Lehre und andere, nicht näher benannte Zauberkundige unterstützten die Rebellion, was das Ausmaß der Niederlage noch verstärkt hatte.

      Die Lehrkräfte entschieden sich für eine abgekürzte Abschlussprüfung, die sich auf die Fähigkeiten des Kampfes, seien es aktive Angriffsschläge oder die Abwehr feindlicher Magie, konzentrierte. Oft hatten einige Lehrer, allen voran Vilana Südfahrer, Sylvas theoretische Leistungen kritisiert, ihr Versagen in der Alchimie und ihre rudimentäre Kenntnis der alten Sprachen bemängelt, doch plötzlich schien dies nicht mehr von Bedeutung zu sein.

      Mit ihr traten die braunhaarige Nikki und ein hoch gewachsener Novize namens Lothran an. Beide waren in vielen Dingen besser, aber Sylva war die Einzige, die den gefährlichen Großen Feuerball zumindest in seinen Grundzügen meisterte. Gut ausgeführt konnte man damit eine halbe Kompanie verbrennen und einen Kampf entscheiden, ehe er überhaupt begann.

      Allerdings hatte die Ausführung auf einem Übungsplatz mit der Anwendung im Gefecht nicht viel gemein. Jeder Absolvent des kämpfenden Zweiges wusste um den Rückschlag auf den Zauberer. Deshalb übten die Novizen die Kampfzauber an Ratten, um die nadelartigen Stiche kennenzulernen, aber nur Sylva kannte den Schmerz, der mit dem Tod eines Menschen einherging. In der Nacht vor der Krönung hatte sie sich gegen Einbrecher zur Wehr gesetzt und zwei von ihnen getötet. Damals war ihr übel geworden, und sie war noch nicht darüber hinweg.

      Während der Prüfung ließ Magister Reimer bei der Demonstration der Schock-, Frost- und Feuerzauber nicht locker, ehe ihre magischen Energien aufgebraucht waren. Erschöpft und von geistiger Leere erfüllt, zwang er sie, die letzten Zauber mit der Kraft ihres Lebens zu speisen. Magistra Südfahrer protestierte, da dies den Prüfungsregeln widersprach, aber das Kollegium ließ den erfahrenen Kampfmagier gewähren bis Nikki zusammenbrach.

      Noch während Sylva und Lothran nach Atem rangen, griff Reimer an. Trotz ihrer Überzahl konnten sie sich seiner Schläge kaum erwehren. Sein Kampfstab sauste in rasender Folge auf die Novizen nieder, und bald spürte Sylva die nagende Erschöpfung. Ihre zunehmend tauben Arme würden seinen Angriffen nicht mehr lange standhalten. Als der Lehrmeister Lothran mit einer schnellen Kombination entwaffnete, gab sie auf.

      Reimer ignorierte ihre Kapitulation und sie wehrte sich mit wachsender Verzweiflung. Plötzlich griff er den unbewaffneten Lothran an und holte zu einem heftigen Schlag aus. „LICHTBLITZ“, schrie Sylva erschrocken und stieß ihre Linke vor, während die Magie wieder einen Funken Leben aus ihrem geschundenen Körper riss. Reimer brach den Angriff ab und hob die Arme schützend vors Gesicht. Mit einem wütenden Aufschrei hieb Sylva nach seinem Kopf, traf seine Stirn und er fiel um wie ein Brett.

      Erschrocken ließ sie ihren Stab fallen und stürzte zu ihm. Wie durch einen Schleier hörte sie Magistra Südfahrer geifern: „Sie hat eine Lehrkraft mit Magie angegriffen. Ausschluss! Gemäß der Akademieordnung ist sie auszuschließen!“

      Ist alles vorbei? Hat ein Moment mangelnder Selbstbeherrschung alles zerstört? Tränen der Erschöpfung und der Verzweiflung liefen über ihre Wangen. Ihre Lippen formten Worte der Heilung, die sie nicht mehr mit Magie füllen konnte, bis sie jemand beiseite zog und ins Gras bettete. „Verweis von der Akademie! Ausschluss aus der Gilde!“, keifte die Südfahrer durch den Tumult.

      „RUHE!“ Die kräftige Stimme des Schulleiters beendete die Debatte. „Wertes Kollegium, wir haben gesehen, was einen Bethaner Absolventen ausmacht. Disziplinierte Magieanwendung im Sinne der Aufgabe bis zur Erschöpfung der magischen Energien und darüber hinaus.“

      Sylva fühlte eine Flasche an ihrem Mund.

      „Ausdauernder, aufopferungsvoller Kampf gegen einen überlegenen Gegner.“

      Sie schluckte den wärmenden Trank und spürte augenblicklich seine heilende Wirkung. Ihr Kopf wurde klarer.

      „Einhaltung der Regeln des Kampfes, so lange es ihr möglich war. Und die Verletzung dieser Regeln, als es der Schutz eines Unschuldigen erforderte und kein anderes Mittel mehr zu Gebot stand. Wer möchte der frischgebackenen Magistra zu ihrer mit Auszeichnung bestandenen Abschlussprüfung gratulieren?“

      Magistra Südfahrer sog scharf die Luft ein. Dann stand Magister Reimer vor Sylva und zog sie auf ihre noch wackeligen Beine. Fassungslos starrte sie auf die riesige Beule an seiner Stirn. „Ich bin so stolz auf Dich, Mädchen“, strahlte er und zog sie in seine Arme. „Der Blitz war mutig. Du konntest nicht wissen, ob Du meinen Geist bezwingen kannst. Du hast damit nicht nur Lothran gerettet, sondern auch einen aussichtlosen Kampf für Dich entschieden.“

       * * *

      Die Magierin saß aufrecht im Sattel ihres schwarzen Hengstes. Beinahe hätte die junge Frau in der weißen Robe stolz und eindrucksvoll gewirkt, doch der müde Blick von Ross und Reiterin trübte das Bild. Hier, in den Ausläufern des baelischen Kammes, war die Landschaft lieblich und freundlich. Unter ihnen lag ein herrlich schönes Tal und an den