Schatten und Licht. Gerhard Kunit

Читать онлайн.
Название Schatten und Licht
Автор произведения Gerhard Kunit
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738021592



Скачать книгу

die Händlerin sie zurückweisen? Gerade noch war ihr die Bitte einfach erschienen, doch die Worte fühlten sich ungelenk und hohl an.

      Die junge Frau reagierte sachlich, als hätte sie nach dem Preis für ein Fass Wein gefragt, und doch vermeinte Liberna ein abgründiges Schmunzeln zu erkennen. „Ersteres ist definitiv falsch. Zumindest seit letzter Nacht. Also brauchst Du Dir zweitens keine Sorgen zu machen: Mit Deinem Sohn ist alles in Ordnung. Drittens kann ich Dich dahingehend beruhigen, dass ich derzeit keine ernsten Absichten in Bezug auf Tonio hege. Sollte ich meine Meinung dazu ändern, weiß ich, dass ich das mit Dir zu verhandeln habe.“

      Raffaella küsste sie flüchtig auf die Wangen und war zur Türe hinaus, ehe sie die Antworten geschlichtet hatte.

      Was für ein freches Luder, dachte sie, nachdem der blonde Wildfang verschwunden war. Das Mädchen wird mehr Unruhe auslösen, als wir hier gewohnt sind. Ihr Blick wanderte zum Fenster und der vertraute Anblick der sonnendurchfluteten Weinberge erfüllte sie mit Kraft und Ruhe.

       * * *

       Silvio, Wanderer im geheimen Transportwesen der Chantas

      Glitzernde Nachtlibellen tanzten in Schwärmen über die Hügel und der Geruch vermodernder Blüten der UNA-Kelche lag über den feuchten Wiesen. Silvio sah über die Schulter zurück. Die Umrisse der Grauwiesel, die in loser Reihe durch die Nacht marschierten, waren gerade noch erkennbar. Sie kannten den Pfad und durchwanderten das gewundene Tal des Furin mit schlafwandlerischer Sicherheit. Entfernt von größeren Fuhrwegen führte das Flüsschen bis in die Ebene, wo es die Straße nach Bethan querte. Dort, in einem kleinen Wäldchen, sollten sie Marik treffen, ihren Mittelsmann. Die Route war gut gangbar, aber einige Strecken waren für Pferde ungeeignet, und das Fortkommen mit Wagen war gänzlich unmöglich. Deshalb war der Weg für Händler von geringem Interesse und folglich auch für kaiserliche Patrouillen.

      Am Ende der Reihe konnte Silvio Lysandras zarte Gestalt ausmachen. Ihr Rucksack wirkte größer als sie selbst, und wer sie nicht kannte, traute ihr die Anstrengung nicht zu. Seine Augen wanderten zum Himmel, als der Mond durch die Wolkendecke brach. Silvio fluchte leise. Wäre er mit Lysa alleine, wüsste er die stille Schönheit der Nacht zu schätzen, aber für ihr heutiges Unternehmen war es zu hell.

      Hoffentlich taugte Mariks neuer Kontakt etwas. Wenn sie schon fünf Nächte wie Maulesel bepackt durch die Chantas marschierten und ihre Haut riskierten, sollte sich die Tour zumindest auszahlen. Früher brachten die Gänge mehr ein, doch seit einiger Zeit verdarb jemand die Preise. Zumindest war das Mariks Erklärung, als er ihn zur Rede gestellt hatte. Andererseits hielten sich Gerüchte, wonach die Kaiserlichen fleißiger waren oder auch nur erfolgreicher. Angeblich hatten sie eine Gruppe der „Nachtmarder“ aufgegriffen und nach den Berichten eines fahrenden Barden waren sechs Schmuggler am Sirfaner Marktplatz gehenkt worden. Unbehaglich fasste sich Silvio an seinen Hals.

       * * *

      Zwei Nächte später waren sie am Ziel. Lysa setzte ihre Last ab und schlich geschmeidig über einen schmalen Wiesenstreifen. In dieser Nacht hatte ANRADA ein Einsehen, sorgte für eine dichte Wolkendecke und die Rothaarige verschmolz nach wenigen Schritten mit der Nacht.

      Kurz darauf hörte Silvio ihren leisen Pfiff und setzte sich mit den übrigen Wieseln in Bewegung. Der Umriss des Wäldchens schälte sich aus der Dunkelheit. Er zuckte zusammen, als eine Gestalt auftauchte, doch es war nur Lysa.

      „Wirst‘ doch nicht schreckhaft werden“, kicherte sie und übernahm die Führung. Hier, im Unterholz, schätzte er ihre Fähigkeit bei geringstem Licht noch zu sehen.

      Normalerweise lachte er über das Gerede, sie hätte elbisches Blut in den Adern. Ihr Gesicht wies keine der Missbildungen auf, die der Volksmund mit den unheimlichen Waldbewohnern der Legenden verband. Er konnte bei ihr jedenfalls keinerlei Anzeichen einer elbischen Abstammung erkennen, was aber auch daran liegen konnte, dass er noch nie einen Elben gesehen hatte. Genau genommen hatte noch niemand einen Elben zu Gesicht bekommen, doch das tat den Legenden über sie keinen Abbruch. In solchen Nächten, in denen er selbst kaum seine Hand vor Augen sah, während Lysa sicher und lautlos durch das dunkle Gehölz glitt, glaubte er jedenfalls daran.

      Endlich sah er den schwachen Schein einer Blendlaterne. Mariks massige Gestalt trat aus dem Schatten einer Kiefer. „Habt ihr Alles?“, zischte er.

      „Ja“, antwortete Silvio. „Hast Du das Geld?“

      „Besser“, kam die unerwartete Antwort. „Unser neuer Kontaktmann ist hier.“

      Silvio zog seinen Dolch, während er die Ränder der Lichtung absuchte. „Bist Du wahnsinnig jemanden hierher zu bringen?“ Die Leute murrten und im schwachen Schein der Laterne blitzten Klingen auf. Das Wäldchen war seit Jahren ihr Umschlagplatz und Mitwisser waren gefährlich.

      Ungeachtet der gereizten Stimmung glitt eine Gestalt aus den Baumschatten, deren Gesicht unter der Kapuze des dunklen Umhangs verborgen lag.

      Abwarten, wen Marik da angeschleppt hat. Wenn das wieder so ein verwöhntes Balg ist, bring‘ ich ihn gleich um, dachte der Schmuggler. Vor zwei Jahren hatten sie sich mit dem Söhnchen eines Barons eingelassen, das den Nervenkitzel suchte. Seine Ungeschicklichkeit zog zu viel Aufmerksamkeit auf sie, aber es ging damals gerade noch gut aus. Henrik sähe das zwar anders, aber seine Meinung zählte seit jener Nacht nichts mehr. Silvio wusste nicht einmal, wo die Zöllner seine Leiche verscharrt hatten.

      Der Unbekannte hob beschwichtigend die Arme, und zu Silvios Verwunderung beruhigten sich die Schmuggler fast augenblicklich. „Marik, wie viel bekommen die Leute?“ Obwohl der Fremde flüsterte, klang die Stimme melodisch. Eine Frau?

      „Dreißig Silbertaler“, antwortete Marik leise.

      „Dreißig? Für Alle? Kein Wunder, dass sie unzufrieden sind.“

      Die Frau, da war sich Silvio jetzt sicher, sprach ihm aus der Seele. Dreißig lächerliche Silbertaler für zwölf Männer und Frauen. Vier Nächte unterwegs, dazu der Rückweg – jeder Handwerker in Bethan verdiente mehr und war nicht ständig in Gefahr. Dennoch verwunderte ihn die Offenheit, mit der die Fremde das heikle Thema ansprach. Marik pflegte die Preise mit fadenscheinigen Ausflüchten zu drücken, um seinen eigenen Profit zu erhöhen.

      „Wie viele seid Ihr?“, wandte sich die Frau an Silvio.

      „Acht“, antwortete er nach kurzem Zögern. Vorsicht war besser als Nachsicht und die Fremde musste noch nicht alles wissen.

      „Nein, mit den Vieren, die dort hinten im Unterholz stecken.“

      Verdammt, dachte er und biss sich auf die Lippen. Die sieht noch besser, als Lysa. Die Idee, jemand könnte seine Gedanken lesen, war ihm ähnlich fern wie der Verdacht, sein Gegenüber verstünde sich auf Magie. „Zwölf“, korrigierte er widerwillig. „Wir sind zwölf.“

      „Gut“, sagte sie sanft. „Das wären die dreißig Silbertaler und noch einmal fünf für Jeden. Macht zusammen neunzig, aber ich will ich die Ware sehen.“

      Silvio vernahm das Klingen von Silber, als die Fremde zwei Beutel aus ihrem Umhang fischte. Ihre Bewegung trug einen irritierenden Duft an seine Nase, exotisch, geheimnisvoll und doch unaufdringlich.

      „Wenn Ihr so nett wärt, den Dolch wegzustecken, könntet Ihr mir das abnehmen.“ Sie klang belustigt, während sie die Geldbeutel vor seinem Gesicht baumeln ließ. Unter der Kapuze blitzten weiße Zähne und blondes Haar.

      „Tropenholz, Seifen, Rum, ein paar Gewürze – kein Wunder, dass Ihr Eure Leute knapp haltet, mein lieber Marik.“

      „Ich muss nehmen, was bis zur Küste durchkommt“, antwortete er zögerlich. „Ich kann ja nicht zaubern.“

      „Schon gut, ich nehme Euch den Plunder ja ab“, beschwichtigte sie. „Fürs Erste will ich mich in der Stadt sowieso nach Handelspartnern umsehen, aber ich könnte mir vorstellen, dass wir nächstes Mal den Einsatz erhöhen.“

      Silvio spürte ihr Lächeln mehr, als er es sah. Lysandras Ellbogen krachte