Schatten und Licht. Gerhard Kunit

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Название Schatten und Licht
Автор произведения Gerhard Kunit
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738021592



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dass sie Recht hatte. Eifersüchtige Zicke. Gleichzeitig ertappte er sich dabei, auf ein weiteres Aufblitzen des Gesichts unter der Kapuze zu hoffen.

       * * *

       Lysandra, Wanderin im geheimen Transportwesen der Chantas

      Die Rothaarige fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Sie zog den Schal fester und sah den Wolken ihres Atems nach. Hier, in den tieferen Lagen, fiel nur selten Schnee, aber der plötzliche Kälteeinbruch erinnerte sie daran, dass die Herrschaft des Winters noch nicht gebrochen war. Dabei lag es weder an der Kälte noch an dem aufgeweichten Boden, dass Lysandra mit sich und dem Rest der Welt haderte. Seit vor einem halben Jahr diese Städterin aufgetaucht war, hatte sich vieles geändert, zum Besseren, wie sie widerwillig zugab. Die Lasten waren leichter, brachten mehr ein und die Fremde zahlte pünktlich.

      Giftig sah sie zu Silvio hinüber. So sehr er sich um sie bemühte, konnte er sein Interesse für die Händlerin doch nicht verleugnen. Lysandra wäre keine Frau, spürte sie seinen Zwiespalt nicht. So konnte sie auf seine Avancen auch verzichten. Sollte er doch sehen, ob ihm das blonde Luder auch die Stiefel auszöge oder das Essen zubereitete. Jedenfalls sah sie nicht danach aus. Männer! Wütend trat sie einen Stein beiseite. Von einer spritzenden Schlammfontäne begleitet, flog er in hohem Bogen über die Böschung.

      „Au! Passt doch auf!“, tönte es von der unteren Wegschleife. Die Stimme könnte Keres gehören oder auch Gregan. Sie widerstand dem Reflex nachzusehen. Sie sah keine Veranlassung, den vorne marschierenden Wieseln zu offenbaren, wer den Stein losgetreten hatte.

       * * *

      Während einer Rast hockte sich Silvio zu ihr und wollte ein Gespräch beginnen. „Ist Dir Marik bei unserem letzten Treffen auch seltsam vorgekommen?“

      Lysandra überlegte. Auch sie fand Mariks Benehmen befremdend und wollte das auch mit Silvio besprechen, ging ihm aber trotzdem aus dem Weg. Na gut, dachte sie. Reden wir halt, doch sein Blick lag schon wieder in der Ferne. Klar. Wir überlegen uns, wie wir die Blonde ins Bett bekommen. Und ich dumme Kuh wollte mich gerade auf ein Gespräch einlassen.

      „Wahrscheinlich war Marik damit beschäftigt nachzudenken, wie er sie vor Dir herum kriegt!“, fuhr sie ihn an.

      Sein dümmlicher Gesichtsausdruck stachelte sie noch an und sie setzte nach. „Geh davon aus, dass sie ihn schon ran gelassen hat. Glaubst Du, er hätte sie einfach so am Geschäft beteiligt?“

      Silvio starrte sie entgeistert an. Recht so, dachte sie. Jetzt hast du was zum Nachdenken.

      Der Schmuggler trollte sich zur anderen Seite des Lagerplatzes und nahm seinen Rucksack auf. „Los! Wir müssen weiter.“

      Wusste ich doch, dass Dich das beschäftigt, dachte sie, doch die erhoffte Genugtuung wollte sich nicht einstellen.

       * * *

      Den Rest des Tages hielt sich Sylvio von ihr fern, und auch die übrigen Wiesel begriffen, dass mit ihr nicht gut Kirschen essen war. Selbst die hängenden Wolken passten zu ihrer Stimmung. Während sie mürrisch einen Fuß vor den anderen setzte, grübelte sie über Marik, konnte aber nicht sagen, was sie an ihm störte. Sie sollte das mit Silvio besprechen, doch der würdigte sie keines Blickes.

      Schließlich erreichten sie das Wäldchen einige Stunden zu früh und lagerten in einem kaum zugänglichen Dickicht. Lysandra verspürte noch immer keine Lust auf Gesellschaft und zog sich hinter einen Maulbeerbusch zurück. Trotz des Wetters schaffte sie es, sich halbwegs trocken einzurichten.

      Wo war die Zeit, als sie die Landschaft des Chantas, die Abwechslung der Jahreszeiten oder auch den Marsch selbst einfach nur genießen konnte? Was hatte ihr Verhältnis zu Silvio gestört? In ihren Gedanken erschien ein schönes, geheimnisvolles Gesicht und beantwortete die Frage eindeutiger, als ihr lieb war. Lysandra zog einen Grashalm durch ihre Finger. Sie spürte den Schnitt kaum, den er hinterließ. Wütend stampfte sie auf. Ihre Lippen schlossen sich um den blutenden Finger. Gerne hätte sich gerne eingeredet, die aufsteigenden Tränen wären eine Reaktion auf den Schmerz, doch das wollte ihr nicht gelingen.

      Da fiel ihr Blick auf den Rucksack. Ihre unverletzte Rechte spielte an der Verschnürung und ehe sie es sich versah, war ihre Hand in der Öffnung. Sie ertastete weiche Päckchen und andere, die kantige Fläschchen enthielten. Lysandras Finger umschlossen ein kleines Bündel.

      Sie sah auf, aber keiner beachtete sie. Rasch zog sie das Päckchen heraus, schlug es auseinander – und erstarrte. Das Leder enthielt ein Geschmeide aus purem Gold, in so feiner Machart, wie sie es noch nie gesehen hatte. Kunstvoll gearbeitete Weinranken umschlangen ein sternförmiges Mittelstück, das ihren Blick in den Bann zog. Der Schmuck lag leicht wie eine Feder in ihrer Hand. Hastig schlug sie das Leder um das Geschmeide. Sie widerstand der Versuchung, das Päckchen in die eigene Tasche zu stecken. Die Grauwiesel waren ehrliche Schmuggler, und so sehr die Brosche sie faszinierte, wollte sie diesen Ruf nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

       * * *

       Farin, Novize an der Akademie des Kampfes zu Bethan

      Missmutig beäugte der Novize den Lehm, der in zähen Klumpen an seinen Stiefeln klebte. Längst hatte er aufgehört, die Brocken während der spärlichen Rasten abzukratzen. Es war eine Auszeichnung, dass Magister Reimer ihn als Begleiter für seine Reise nach Sirfan erwählt hatte, aber der Marsch war um diese Jahreszeit anstrengender als erwartet. Drei Schritte vor ihm marschierte Sylva mit federnden Schritten durch den Matsch. Weder der tiefe Grund noch der weite Weg schienen ihrer Laune etwas anzuhaben. Sie wollte sich mit ihrer aufgesetzten Fröhlichkeit bei Reimer einschleimen.

      Er hatte nie verstanden, was der Lehrer an ihr fand. Beim Zaubern hatte sie den einen oder anderen lichten Moment, doch in den theoretischen Fächern war sie schlecht. Eine Zeit lang hatte er sich gefragt, ob sie an ihrer Borniertheit oder an ihrer Faulheit scheiterte, kam dann aber zu dem Schluss, dass er als Jahrgangsbester über solchen Überlegungen stand. Wahrscheinlich schenkte ihr Reimer so viel Aufmerksamkeit, damit sie nicht völlig verzweifelte. Die Schwäche des Magisters für Verlierer war hinlänglich bekannt.

      Der Lehrer hielt an und wartete auf seine Schützlinge. „In einer Stunde erreichen wir das kleine Gasthaus, in dem wir auf dem Hinweg übernachtet haben. Schafft Ihr noch eine Etappe oder lassen wir’s damit gut sein?“

      Farin keuchte: „Ich denke, das schaffe ich noch, Herr Magister.“

      Die hochgewachsene Sylva schmunzelte, als wollte sie sich über ihn lustig machen, lenkte aber ein. „Ich denke, wir sollten es dabei belassen.“

      „Wie gefällt Euch unser Ausflug?“, erkundigte sich der Lehrer, während er wieder in seinen flotten Marschtritt verfiel.

      Sylva wollte antworten, doch Farin kam ihr zuvor: „Sirfan war nett, aber im Vergleich zu Bethan doch armselig. Was kann es dort geben, was wir zu Hause nicht haben?“

      „Bescheidene, höfliche Menschen vielleicht“, entgegnete Reimer. „Du solltest Harinas Buchladen nicht für gering erachten. Ich habe dort schon so manches seltene Werk erstanden.“ Der Novize wollte etwas erwidern, aber der Magister sprach weiter: „Sirfan, Zweimühlen, Birkenweiler und wie sie alle heißen. Das ist das Reich, das wir verteidigen. Dort leben die Untertanen unseres Kaisers. Glaubst Du, nur die Bewohner von Palästen verdienen unsere Achtung und unseren Schutz?“

      Farin zuckte die Achseln. Reimer hing überholten Idealen nach. Farins Vater verdiente mit dem Begleitschutz großer Handelszüge ein Mehrfaches vom Salär eines Lehrers. Einmal hatte der Novize die Verpflichtungen angesprochen, die in Bethan gelehrt wurden. Da hatte sein Vater gelacht, auf die Raubüberfälle verwiesen, die er mit seiner Tätigkeit für die reichen Kaufleute verhinderte und das Gold, das er damit verdiente.

      „Überdies wollte ich Euch Grünschnäbeln die Gelegenheit geben vor Eurer Prüfung noch ein wenig frische Luft zu atmen“, sagte Reimer und Farin hoffte, die Moralpredigt wäre damit zu Ende.

       * * *