Eine schwierige Familie. Elisa Scheer

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Название Eine schwierige Familie
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737583329



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„Den Gersch würde ich gerne mal sehen. Vielleicht wird dann klar, warum die Frau so allergisch auf Suchtverhalten reagiert und die Tochter so muffig ist.“

      „Wissen wir, wo der arbeitet?“ Katrin glitt hinters Steuer.

      Patrick stieg ein, schlug die Tür zu und angelte nach seinen Notizen, bevor er den Gurt schloss. „Ja… Torsten Gersch. Der ist Mathematiker. Komisch, genau wie die Schwägerin, Paula.“

      „Und, wo arbeitet er? Auch bei dieser Versicherung?“

      „Nein… verflixt, was heißt das, UL-M? Was hab ich mir dabei bloß gedacht?“

      Katrin kicherte. „Passiert mir auch immer. Die ersten Anzeichen von Alzheimer, vielleicht. Kann M für Mathematik stehen? Ulm wird ja wohl nicht gemeint sein.“

      „Du bist vielleicht ein Herzchen. Mathematik, ja – Mensch! Uni Leisenberg, natürlich. Der arbeitet da irgendwo. Okay, erst kurz ins Präsidium und dann zur Uni.“

      „Wahrscheinlich ist der auch wieder so eine unangenehme Type. Bloß wieder anders. Vorschläge?“ Sie bog auf den Parkplatz des Präsidiums ein.

      „Ich sage, er säuft“, ging Patrick auf die Wette ein.

      „Okay, dann sage ich, er… er ist sexsüchtig. Wie in diesem Film.“ Sie hielt ihm die Handfläche hin. „Fünf Euro?“

      Patrick schlug ein und löste seinen Gurt. „Welcher Film?“

      „Shame. Nie gesehen? Echt gut gemacht, über einen, der überhaupt nur noch an Sex denkt und dabei total vereinsamt.“

      Oben war niemand. Sie tippten schnell eine Zusammenfassung ihrer Ergebnisse und ließen sie auf dem Whiteboard auftauchen, dann machten sie sich wieder auf den Weg.

      *

      „Frau Rauch? Ein Herr für Sie.“ Pamela hielt die Tür einladend auf und lächelte freundlich.

      Sophie sah auf - noch mal die Polizei? Nein, Raben persönlich.

      „Guten Tag“, sagte sie artig, obwohl sie nicht wusste, was er noch von ihr wollen konnte: War der gestrige Abend nicht schon schlimm genug gewesen?

      „Wie kann ich Ihnen denn helfen – aber bitte, setzen Sie sich doch!“ Sie wies auf den Besucherstuhl.

      Pamela schloss leise die Tür von außen.

      „Ich brauche Ihren Rat“, kam Raben sofort zur Sache.

      „Gerne – aber ganz ehrlich: Das ist hier eine Unternehmensberatung. Wenn Sie Ihren Betrieb optimieren, Ihr Onlinegeschäft ankurbeln, ihre Personalstruktur analysieren oder sonst etwas von uns erledigen lassen wollen, dann sind Sie hier richtig. Aber Sie haben doch gar keinen Betrieb – oder doch? Neben Ihrer Universitätslaufbahn?“

      Raben lächelte leicht, was ihn jünger und attraktiver wirken ließ. „Nein, damit kann ich nicht dienen. Ich hatte an so etwas wie ein Privatcoaching gedacht, das gibt es doch?“

      „Hm…“ Sophie lehnte sich zurück und betrachtete ihren Gast, der gespannt auf ihre Antwort wartete. Er sah nicht gut aus. Nun, das war vielleicht kein Wunder, nachdem gestern sein Bruder ermordet worden war. Und wenn man an die krätzigen Schwestern dachte… Aber auch sonst: Raben war groß und hatte eigentlich ein gut geschnittenes Gesicht, aber er war ein bisschen zu dick und wirkte etwas blass und teigig. Zu viel Junk Food? Oder nur die deprimierenden Umstände seines Lebens in diesem entsetzlichen Haus?

      „Ganz ehrlich“, sagte sie schließlich, „mir scheint, brauchen könnten Sie´s – aber ich habe das noch nie gemacht. Schauen Sie, ich bin Betriebswirtin und ich verstehe was von Medientechnik, aber Psychologin bin ich keine. Im Gegenteil.“

      „Wie, im Gegenteil?“

      Sie grinste kurz. „Naja, einfühlsam bin ich jetzt eher nicht. Eher für brutale Ansagen berüchtigt.“

      „Umso besser. Eine schonungslose Analyse meines Lebens ist wohl das, was ich brauche. So kann es einfach nicht weitergehen.“

      „Gut“, stimmte Sophie zu, „aber ganz ehrlich: Wissen Sie, was Sie das kosten würde?“

      „N-nein?“

      Sie nannte ihren Stundensatz und Raben wurde blass.

      „Eben. Wir machen das anders. Nicht hier und nicht im Rahmen von RC. Und natürlich in diesem Fall gratis.“

      Himmel, was tat sie da? Sie konnte kaum glauben, was sie sich da sagen hörte! Er protestierte auch sofort, aber sie brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Entweder – in Absprache mit meinem Chef, natürlich – als Freundschaftsdienst oder gar nicht. Privatcoaching gehört nicht zu meinen Kompetenzen, also kann ich auch keine Garantie dafür übernehmen, dass es Ihnen etwas nützt. Damit will ich Restorff Consulting nicht belasten. Und Geld nehmen kann ich nicht, sonst fühlt Restorff sich zu Recht betrogen. Sind Sie einverstanden?“

      Raben lächelte nachdenklich. „Freundschaftsdienst? Das klingt eigentlich sehr nett…“

      Innerlich verdrehte Sophie die Augen: Was für ein Seelchen! Kein Wunder, dass er diese Bagage nicht im Griff hatte… Sie zog energisch ihren Terminplaner näher. „Wann wäre es Ihnen denn recht? Außerhalb der Arbeitszeit, natürlich.“

      „Natürlich“, echote Raben gehorsam, was Sophie schon wieder verzweifeln ließ. In einem dieser albernen SM-Romane, die gerade den Markt überschwemmten, wäre er wohl auf eine Domina aus.

      „Warum lächeln Sie?“

      Mist. „Nichts, Entschuldigung. Gleich heute Abend, sagen wir um sieben?“

      „Ausgezeichnet. Und wo?“

      Sophie überlegte. Keinesfalls im Rabenhaus, die blöde Conny brauchte sie dabei ganz bestimmt nicht. Jedenfalls nicht jetzt schon. Und Paula, die nur Angst hatte, irgendwie zu kurz zu kommen, auch nicht.

      Bei ihr zu Hause? Besser auch nicht.

      „An einem neutralen Ort“, sagte sie also vorsichtig.

      Raben überlegte, dann hellte sich sein Gesicht auf. „Kennen Sie die Sonderbar in Zolling?“

      „Nein. Meinen Sie, dort ist es ruhig genug?“

      „Auf jeden Fall. Es ist eine Art Bistro, mit leckeren kleinen Speisen, und abends zwar ganz gut besucht, aber durchaus gedämpft in der Atmosphäre. Ich war selbst erst zweimal dort, aber es hat mir sehr gefallen. Wenn Ihnen das recht ist?“

      „Gut…“ Sophie notierte sich das. „In Zolling selbst oder in der MiniCity?“

      „MiniCity. Ich freue mich schon!“

      Sophie lächelte nur verbindlich, und Raben erhob sich. „Tja… ich muss dann mal wieder… in einer Stunde habe ich ein Seminar, da bleibt gerade noch Zeit für eine schnelle Pizza…“

      „Darf ich Ihnen gleich etwas vorschlagen?“

      „Natürlich!“ Er sah geradezu begierig drein.

      „Lassen Sie die Pizza bleiben. Besorgen Sie sich eine Tüte Obst – an der Uni ist doch dieser Obstwagen? Und verbringen Sie die Mittagspause draußen. Auf einer Parkbank. Sie werden sich gleich besser fühlen.“

      „Meinen Sie?“

      „Probieren Sie´s“, beharrte Sophie auf ihrem Vorschlag, der wenigstens leichte Rosen auf Rabens bleiche Wangen zaubern sollte.

      „Nun, wenn Sie meinen… vielen Dank schon mal. Dann sehen wir uns um sieben in der Sonderbar?“

      „Genau. Der Termin ist gebucht.“

      Sein Blick verdunkelte sich kurz, dann verabschiedete er sich förmlich und verließ ihr Büro.

      Komischer Mann, sinnierte Sophie. Er hatte sie um ein Coaching gebeten, und wenn sie das geschäftsmäßig handhabte, passte es ihm nicht? Aber damit, das Ganze gratis und privat laufen zu lassen, war er doch einverstanden