Killertime. Charlie Meyer

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Название Killertime
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738001198



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annektiert und umsorgt es wie eins seiner eigenen zehn Kinder.

      An und für sich lief die Charterfahrt problemlos ab, wenn man davon absah, dass sich einer der Versicherungsagenten etwa zur Halbzeit vor dem Buffet übergab, was zu Unmut führte, weil es den übrigen neunundachtzig Versicherungsagenten und der anwesenden Chefetage Appetit und Laune verdarb. Außerdem setzte mal wieder der Bugstrahler plötzlich aus, und ich musste mich mit den beiden Schrauben begnügen, was an sich aber kein Problem ist, es sei denn, man wendet das Schiff gerade, steht quer im Fluss und hat hinten und vorn nur noch zwei Meter Platz. Ansonsten ist es nur ärgerlich. Mich erwischte es natürlich beim Wenden, aber alles ging gut.

      Nichts erzürnt einen Reeder stärker als ein Anruf eines seiner Schiffsführer, der eine Havarie meldet. Die beiden häufigsten Ursachen: aufgesetzt oder Holz in der Schraube. Da aufgesetzt aber gern mit geschlafen oder unfähig assoziiert wird, ist Holz in der Schraube der Renner.

      Aufgesetzt durch angeblichen Ausfall des Bugstrahlers wertet unser Reeder grundsätzlich als Ausrede, zumal dieser verdammte Boogie nie ausfällt, wenn er selbst am Ruder steht. Bei der Meerjungfrau jedenfalls wackelt seit jeher ein Kontakt irgendwo zwischen Steuerhaus und Bugstrahler, ohne dass Gunnar oder ich bisher dahintergekommen wären wo genau. Wir suchen schon, seit ich das Schiff übernommen habe.

      Auf der Rücktour versuchte ich Lucy zu erreichen, aber entweder schmollte sie noch mit mir und ging nicht ran, oder aber sie zog durch die Discos auf der Suche nach einem neuen Ruprecht. So hatten auch wir uns kennengelernt, in einer Disco auf der Suche nach einem Ruprecht, wobei ihrer männlich und meiner weiblich sein sollte. Ein One-Night-Stand bitte.

      Diesem einen waren ein Zweiter und Dritter und dann noch viele gefolgt, aber länger als ein halbes Jahr hielten wir es zusammen nicht aus. Keiner von uns beiden war zu diesem Zeitpunkt zu einer festen Bindung bereit gewesen, woran sich seitdem nicht viel geändert hat. Lucy hat zwei missglückte Eheversuche hinter sich, ich war zehn Jahre auf Binnenschiffen unterwegs gewesen und mehr der Spezialist für vorübergehende Bindungen geworden. In meiner Kölner Polizeizeit lag die Scheidungsrate der Kollegen bei fünfzig Prozent, was mich auch nicht eben zu einer Ehe animierte.

      Nach dem unspektakulärem Aus zwischen Lucy und mir war aus unserer Affäre eine tolle Freundschaft entstanden, die dauerhaft hielt.

      Nach dem Ende der Charter schlüpften Gunnar und ich in unsere Blaumänner, stellten im Maschinenraum einen Scheinwerfer auf und nahmen die Schmutzwasserpumpe auseinander, um das Schnüffelventil und ein paar Dichtungen auszutauschen. Die Mädels begannen währenddessen, den Salon wieder aufzuräumen. Als sie die Tischdecken von den zusammengestellten Buffettischen zogen, kam darunter ein Versicherungsagent zum Vorschein, der dort seinen Rausch ausschlief. Sie weckten ihn nicht eben behutsam und schleiften ihn zu einem Taxi, das sie gerufen hatten. Der Fahrer kannte das schon, er holte öfter mal unsere Chartergäste ab.

      Als Gunnar und ich uns wieder aus dem engen Maschinenraum herausquälten, hatte sich Piet bereits vom Acker gemacht. Die Mädels waren sauer, streikten ihrerseits und saßen rauchend und lamentierend mitten im unaufgeräumten Chaos. Ich werde an Bord eher selten laut, aber es war ein langer beschissener Tag gewesen. Männer Tischerücken zu lassen, ist die eine Sache, obgleich jedes der Mädels an Bord kräftiger ist als Piet, aber Arbeitsverweigerung dulde ich auf der Meerjungfrau nicht.

      Nach meiner kurzen aber kräftigen Ansage stoben alle in unterschiedliche Richtungen davon und das Aufräumen ging weiter. Gunnar und ich stellten die Tische wieder an ihre angestammten Plätze.

      Um halb vier Uhr morgens strampelte ich mit dem Mountainbike durch den stockfinsteren Wald zu meiner Hütte und war, wie immer, erleichtert, sie noch stehen zu sehen. Ich schaltete meinen Hotspot an und surfte auf dem Tablet noch ein wenig im Internet, während ich mir den mittlerweile kalten Döner zwischen die Zähne schob, den ich in unserem einzigen Dönerladen am Bahnhof gekauft hatte. Er gehört Tarik und Zafer, zwei etwas weltfremden Brüdern aus Anatolien, die bis fünf Uhr früh auf Kundschaft hoffen, obgleich der letzte Zug kurz vor Mitternacht durch den Bahnhof brettert. Ohne anzuhalten.

      Zu den Morden gab es jede Menge Nachrichten, aber alle klangen gleich. Keine Einzelheiten über die Verstümmelungen, keine Namen, eben nur zwei Leichen im Wald. Die Spekulationen reichten vom Eifersuchtsdrama bis hin zu einem Amoklauf.

      7

      Das Gedudel des Smartphones weckte mich.

      »Wieso bist du nicht im Revier. Es ist zwanzig nach zehn.«

      »Du mich auch.«

      Ich drückte das Gespräch weg und drehte mich auf die andere Seite. Die Charterfahrt gestern war die dritte Abendfahrt in dieser Woche gewesen, und dementsprechend groggy fühlten sich Körper und Geist an. Deshalb habe ich mich bei dem zweiten Job für den Freelancer mit freier Zeiteinteilung entschieden. Ich hatte etwas dagegen, die nächsten dreißig Jahre bis zu meiner Rente von acht Uhr morgens bis sechzehn Uhr dreißig am Nachmittag wie ein Uhrwerk zu funktionieren und von narzisstischen Bossen wie meinem Bruder zum Rapport gerufen zu werden.

      Das Smartphone dudelte erneut. Diesmal blinzelte ich aufs Display. Eine Handynummer, die ich nicht kannte. Zumindest war es nicht die von Maik Willem.

      »Hallo?«

      »Du hast eine halbe Stunde, bevor wir dieser Lucy Sowieso einen Besuch abstatten.«

      Diesmal war er es, der das Gespräch wegdrückte, und ich nahm mir vor, seine zweite Handynummer unter dem Namen Arschloch zu speichern.

      »Scheiße!«

      Ich stemmte mich langsam in die Höhe und versuchte meine Pupillen auf die Einrichtung der Hütte zu fokussieren, doch alles verschwamm. Ausgeschlafen war etwas anderes. In Flipflops und Boxershorts wanderte ich um meine Hütte herum, schöpfte aus der Regentonne einen Eimer kaltes Wasser und goss ihn mir über den Kopf. Danach klarte sich mein Blick abrupt auf. Zwischen den Baumkronen leuchtete mir das Blau des Himmels entgegen, und das Außenthermometer zeigte selbst hier unten, mitten im tiefsten Wald, schon zweiundzwanzig Grad an. Es war erst Anfang Juli und schon so heiß wie im Hochsommer.

      Hätte ich geahnt, wie heiß es in diesem Sommer noch zugehen sollte, wäre ich längst mit Schlittenhunden auf dem Packeis des Nordpols unterwegs gewesen.

      So verfluchte ich zwar meinen Bruder mit allen mir zur Verfügung stehenden Kraftausdrücken, was nicht wenige waren, holperte aber kurz darauf mit dem Mountainbike über Baumwurzeln den Forstweg hinunter.

      Es gibt viele Arten jemanden zu etwas zu überreden. Nett fragen, eine Belohnung anbieten, ihm eine in die Fresse hauen, und dann noch einmal fragen, aber damit drohen, einem Außenstehenden Leid zuzufügen, in welcher Form auch immer, steht bei mir noch niedriger im Kurs als von jemandem zusammengeschlagen zu werden, während dich seine Kumpels festhalten.

      Ich schaffte es in fünfundzwanzig Minuten, in denen ich mir den Kopf darüber zerbrach, wie ich Lucy aus der Schusslinie bekommen konnte. Es fiel mir nichts ein. So wie es aussah, hatte entweder das Verteidigungsministerium oder das Innenministerium oder beide ein Dossier über sie angelegt. Oder keiner von beiden, sondern nur mein Bruder auf dem Weg in den politischen Himmel, was mir als die weitaus realistischere Variante erschien. Lucy war schließlich nicht die Schwester von Osama bin Laden, sondern lediglich eine Modelcasterin mit Beinprothese.

      Lohnte es sich möglicherweise, Maik Willems Potsdamer Villa einen nächtlichen Besuch abzustatten? Während ich die roten Ampeln ignorierte, soweit es mir ungefährlich für Leib und Leben schien, grübelte ich darüber nach und kam zu keinem Schluss. Bei seiner Paranoia angesichts der NSA-Affäre konnte tatsächlich eine Papierakte existieren, die ich mitnehmen konnte, doch wer sagte mir, dass es nicht drei Kopien auf CDs oder USB-Sticks gab, die in drei verschiedenen Banktresoren deponiert waren, und zwar gerade deshalb, weil er paranoid war.

      Auf der anderen Seite kannte ich jemanden, der mir einen Gefallen schuldete und einen Freund hatte, der sich in alles einhackte, das sich bei drei nicht von selbst abschaltete. Einen Versuch war es wert.

      Polizeihauptmeister Santos empfing mich wie ein Magengeschwür.