Killertime. Charlie Meyer

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Название Killertime
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738001198



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waren. Dem neuen Dienststellenleiter und seinem Gehilfen. Der kleine untersetzte Polizeihauptmeister, Pat, hieß Santos, der lange schlaksige Polizeianwärter mit den roten Haaren und den weit aufgerissenen Augen nicht Patachon, sondern Bremersson.

      Santos war derjenige, der mich befragte, und wenn sein Stammbaum tatsächlich spanische Wurzeln aufwies, lagen die mit Sicherheit schon ein bis drei Generationen zurück. Er sprach absolut akzentfrei, doch mit der deutlichen Warnung, dass ich auf der Liste seiner Verdächtigen ganz weit oben rangierte. Zumindest so lange, bis ich ihm das Gegenteil bewies, was unmöglich war, weil keiner von uns die genaue Tatzeit kannte.

      Als sein iPhone das erste Mal klingelte und er das Ergebnis des Abgleichs meiner Fingerabdrücke erfuhr – Achtung Ex-Bulle – schien er geneigt, die Angelegenheit etwas gelassener anzugehen. Allerdings nur vorübergehend.

      Eine halbe Stunde später dudelte sein iPhone erneut, und wer immer ihn da anrief, bewirkte, dass er sich unwillkürlich von dem Stuhl erhob, auf dem er verkehrt herum gesessen hatte. Er hörte stumm und ungläubig zu. Als das Telefonat zu Ende war, ließ er sich auf seinen Stuhl zurückfallen und starrte eine ganze Weile auf den Boden hinter der Stuhllehne, auf der er sich abstürzte. Der Polizeianwärter an der Wand sah aus, als würde er im nächsten Moment vor Neugier tot umfallen.

      Als sich Santos wieder soweit gefasst hatte, das Verhör weiterzuführen, ging er zu einem Angriff über, der mich vollkommen verblüffte und in Überlegungen stürzte, woher ich auf die Schnelle einen Anwalt bekam. So wie es aussah, würde ich lebenslänglich bekommen, mit der Option auf eine anschließende Sicherheitsverwahrung. Während mir noch von seiner ersten Angriffswelle der Schweiß auf der Stirn stand, startete er auch schon die nächste.

      Außer meiner Wenigkeit schien es auf der ganzen Welt keine weiteren Mörderkandidaten zu geben: Komm schon mein Junge, gib die Morde einfach zu, dann hast du es hinter dir und die nächsten zwanzig Jahre endlich deine Ruhe.

      Santos Deal für mein Geständnis: keine Arschficker, keine arische Brüderschaft, nur ich und meine sichere Zelle.

      Eine Vorstellung, die mir nach zweistündigem Dauerbeschuss ziemlich verlockend erschien. Wozu sich quälen lassen, wenn ein Rundum-Sorglos-Paket mit Vollverpflegung lockte? Doch dann streifte mich durch das vorhanglose kleine Fenster des Verhörraums ein flüchtiger Sonnenstrahl, ich dachte an mein Mountainbike und an mein Schiff und sagte laut und deutlich: »Nein, tut mir leid, Jungs, ihr habt den Falschen erwischt.«

      Storys wie diese beginnen in der Regel mit Es war ein schöner warmer Sommertag, als …, und dann nimmt ein Unheil seinen Lauf, das man sein Lebtag nicht mehr vergisst. In meinem Fall allerdings nahm dieses Unheil gegen siebzehn Uhr ein abruptes Ende, allerdings nur, um gegen ein neues Unheil eingetauscht zu werden.

      Ohne Vorwarnung wurde die Tür zum Verhörraum aufgerissen, worauf ein hochgewachsener Mann mit finsterer Miene hereinspazierte. Maik Willem Crispin, mein Bruder, das ehrenwerte Mitglied des Bundestages und Staatssekretär im Innenministerium. Seit unserem letzten Kontakt vor zwei Jahren mochte er um den Bauch herum ein paar Biere zugelegt haben, sah ansonsten aber aus wie immer. Groß, breit, mit schütteren Haaren. Der schwarze Anzug kombiniert mit einem diagonal gestreiften Schlips in Deutschlandfarben: schwarz, rot, gold. Sein Markenzeichen und eins der beliebtesten Kameramotive im Fernsehen.

      Der Schlips war lächerlich, hatte Maik Willems Wiedererkennungswert jedoch rapide gesteigert.

      »Gehen wir«, war alles, was er sagte, während er dem Polizeihauptmeister einen Ausweis unter die Nase hielt. Da mich Santos mit einem Protest ziehen ließ, der so halbherzig war, dass er niemanden hinters Licht führen konnte, ging ich davon aus, dass er im Vorfeld über diese Befreiungsaktion informiert worden war. Schätzungsweise bei seinem zweiten Handygespräch, warum auch immer. Jedenfalls war er ein lausiger Schauspieler, noch schlechter als ich selbst.

      Polizeianwärter Bremersson hingegen schien nicht eingeweiht. Ihm quollen vor gerechter Empörung beinahe die Augen aus dem Kopf. Einen Moment lang sah es so aus, als wolle er sich tatsächlich auf meinen Bruder stürzen, um ihm die Beute wieder zu entreißen.

      5

      Normalerweise ziehe ich es vor, meinen Schicksalswagen selbst zu lenken, und der Letzte, dem ich die Zügel in die Hand gegen würde, wäre Maik Willem, doch in diesem Fall wollte ich nur eins: raus hier. Ich saß seit über acht Stunden auf diesem verdammten Polizeirevier fest, und man hatte mir nicht einmal gestattet, meinem Boss Max zu sagen, dass er sich für die Charterfahrt am Abend höchstwahrscheinlich einen anderen Schiffsführer würde suchen müssen. Möglicherweise hatte ich nun keinen Job mehr, was ich Max nicht einmal würde verdenken können. Noch im Flur des Reviers rief ich ihn kurz an, ließ widerspruchslos seinen Frust über mich ergehen, und versprach, so schnell wie möglich zum Anleger zu fahren.

      Maik Willem hörte mir mit skeptischer Miene zu.

      »Oder willst du mich nur in ein Hochsicherheitsgefängnis überführen?«, frotzelte ich, als ich das Handy wegsteckte und mich ihm zuwandte.

      »Sehr witzig. Kommst du nun mit oder willst du hier Asyl beantragen? Wir müssen reden, und zwar gleich.«

      Bei Licht besehen, hat Maik Willem viel von einem Psychopathen. Erfolgsorientiert, skrupellos, narzisstisch. Seine Schwester Lily und er sind meine Halbgeschwister und entstammen der ersten Ehe meines Vaters mit einer Texanerin, die unmittelbar nach Lilys Geburt in die Heimat zurück verschwand, was meinen Vater, einen überbeschäftigten Landarzt, bewog, sich umgehend nach Ersatz umzusehen.

      Er fand meine Mutter, die ihm ein drittes Kind schenkte: mich.

      Während Maik Willem Karriere machte und ich meine aufgab, spritzte sich Lily auf den Toiletten des Frankfurter Hauptbahnhofs Heroin. Anfangs ließ Maik Willem sie regelmäßig einfangen und zum Entzug in irgendeine noble Klinik einweisen, aber nachdem sie ihren Nachnahmen in Miller änderte - nach ihrer leiblichen Mutter, von der sie nicht einmal ein Foto besaß - und zumindest namentlich niemand die Drogensüchtige mit dem Karrierepolitiker in Verbindung bringen konnte, lässt er sie zufrieden.

      Zweimal stand sie vor meiner Tür und zweimal war sie am nächsten Morgen mit meiner Brieftasche verschwunden. Seitdem herrscht Schweigen im Walde. Schwierig, jemandem zu helfen, der nur vortäuscht, Hilfe zu wollen.

      Zum Reden setzten mein Halbbruder und ich uns auf eine Bank am Rande der Grünanlage, keine fünf Meter von der Bundesstraße entfernt, auf der sich die Lkws Stoßstange an Stoßstange durch die kleine Stadt schieben. Wir kämpfen seit Jahren für eine Umgehungsstraße, aber Maik Willem kam der Krach gerade recht. Seit dem NSA-Lauschangriff traut er handelsüblichen Handys und geschlossenen Räumen nicht mehr, und was er zu sagen hatte, schien für fremde Ohren nicht geeignet.

      Einer unserer wenigen gemeinsamen Charakterzüge ist der Mangel an diplomatischem Geschick, und so ging mein Bruder dann auch gleich zu einem Frontalangriff über.

      »Hast du was mit den Morden zu tun?« Ohne mich anzusehen, wickelte er ein Hustenbonbon aus und schob es sich zwischen die Zähne.

      Ich schwankte zwischen zwei Reaktionen. Ich konnte ihm in die Fresse hauen und hoffen, dass er an einem verschluckten Hustenbonbon erstickte, oder ich konnte ihn von der Bank zerren und unter die Räder des Sattelschleppers schubsen, der gerade um die Ecke bog.

      »Ich nicht. Du?«

      Er warf mir einen seltsamen Blick zu und überging meine Gegenfrage. »Ich werte das als ein Nein?«

      »Was willst du, Maik Willem? Wie du weißt, fange ich morgens zum Frühstück schon an, meine Mitmenschen umzubringen.«

      Er sah mich an, als wollte er erwidern, von mir sei alles zu erwarten, überlegte es sich dann aber und rückte endlich mit der Sprache raus.

      »Das getötete Mädchen, Rosanna, war gerade sechzehn geworden. Das zweite Opfer ist der Kerl, mit dem sie durchgebrannt ist. Er heißt Buran Jung. Ein Russe mit deutschen Wurzeln. Doppelt so alt wie sie. Zweiunddreißig. Nach ersten Schätzungen des Pathologen sind sie vor zwei oder drei Tagen von diesem elenden Dreckskerl umgebracht