Killertime. Charlie Meyer

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Название Killertime
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738001198



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ich habe in meiner Besenkammer nebenan über dreihundert Seiten mit Hintergrundinfos. Alles von fleißigen Heinzelmännchen in den letzten vierundzwanzig Stunden zusammengetragen. Wenn Sie also Bedarf haben …?«

      Santos blickte nicht einmal auf von dem Schriftstück, das er auf seinem überladenen Schreibtisch las, aber in der Wolke geballten Testosterons über seinem Kopf brodelte es geradezu. Als ich mich endlich umdrehte, stand der junge Polizeianwärter keine drei Schritte hinter mir und starrte mich mit einem Ausdruck in seinem Kleinjungengesicht an, von dem ich nicht sagen konnte, ob er Verlegenheit oder Schadenfreude widerspiegelte. Auf jeden Fall hatte Bremersson den Anstand zu erröten, als ich ihn herausfordernd anfunkelte, bevor ich samt meiner eigenen Testosteronwolke geschlagen das Feld räumte.

      Noch einmal würde ich diesem Idioten von Dienststellenleiter nicht die Hand zur Versöhnung reichen. Ich wanderte in mein Büro zurück und knallte meinerseits die Tür zu. Einen Moment lang betrachtete ich mich in dem quadratischen Spiegel, der neben der Tür hing. Ich sah beleidigt und verbissen aus. Soviel zur Coolness, die ich glaubte, im Gegensatz zu Santos auszustrahlen. Ich schmollte und nahm übel. Ich hängte den Spiegel ab und lehnte ihn umgedreht gegen die Wand. So wenig, wie ich die Fotos von Leichen brauchte, um mir ein Bild vom Täter zu machen, wollte ich den ganzen Tag mich selbst anstarren müssen.

      Kopfschüttelnd setzte ich mich wieder an den Schreibtisch und betrachtete den dicken Papierstapel. Würde ich noch vor dem Wintereinbruch mein altes Leben zurückbekommen, oder fegte die Putzfrau irgendwann die Knochen meines in sich zusammengefallenen Skeletts unter dem Schreibtisch hervor, weil es mir niemals gelingen würde, den Mörder zu enttarnen?

      Zwei Stunden später hatte ich mich durch die ersten hundert Seiten gekämpft, wenn auch stellenweise nur quer, und zog meinen Hut vor denen, die sie gefüllt hatten. Vor meinem geistigen Auge sah ich zwei Dutzend Kripobeamte nach ihrer nächtlichen Mammutarbeit im Akkord ausgelaugt über ihren Schreibtischen hängen.

      In erster Linie ging es um das Mädchen. Rosanna Marquardt, einzige Tochter von Simone und Matthias Marquardt. Was für ein hohes Tier ihr Daddy war, stand nicht dabei, doch eigentlich interessierte es mich nur marginal und ließ sich wahrscheinlich jederzeit auf Google in Erfahrung bringen. Extremisten jedenfalls schloss ich aus. Sie hätten die beiden Opfer öffentlichkeitswirksam hingerichtet. Vorsichtig gedacht schien mir die Tat eher von einem sadistischen Psychopathen begangen zu sein, der starke Stimulanzien brauchte, um seinen Schwanz hochzukriegen.

      Ich kramte nach der Telefonliste, rief in der Pathologie des hiesigen Krankenhauses an und ließ mich zu Frau Doktor Markowitz durchstellen, meiner Ansprechpartnerin laut Liste. Im Hintergrund jaulte etwas, das sich wie eine elektrische Säge anhörte, ohne, dass ich wissen wollte, was oder wen sie dort gerade zerlegten.

      Als jemand ungeduldig Ja? fragte, gab ich meinen Namen und meine ID-Nummer an und legte anschließend ohne Vorwarnung los.

      »Hat sich der Mörder über den Leichen einen runtergeholt? Gibt es Sperma?«

      Einen Moment lang blieb es still. Dann antwortete eine Frauenstimme ungehalten: »Hallo? Heiße ich Bibi Blocksberg und reite auf einem Besen? Darf man wenigstens mal eine Minute Luft holen, bevor ihr Ignoranten durchs Telefon geschossen kommt?«

      »Entschuldigung, aber bei dem Tempo, das alle Beteiligten vorlegen, habe ich lediglich versucht, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Sich davorzuwerfen, schien mir wenig sinnvoll.« Ich lachte und sie stimmte mit ein.

      »Kluge Entscheidung, ich habe mit den beiden hier schon überreichlich zu tun. Also, was genau wollen Sie?«

      »Wie wär’s mit einer Sushi-Bar heute Abend?«

      »Griechisch.«

      »Pizzeria?«

      »Mexikanisch, und das ist mein letztes Angebot. Ich hoffe, Sie sind jung, gut aussehend, und die Sorte Mann, vor dem mich meine Mutter gewarnt hat.«

      Ihre Stimme war tief und ein wenig heiser, und ich merkte, wie es in meinen Lenden zu kribbeln begann. Du meine Güte, ich sollte das Telefonat in den nächsten zwei Minuten beenden, oder ich konnte für nichts garantieren.

      »Mexikanisch und ja. Schwiegermütter mögen mich nicht. Hat es nun Sperma gegeben auf den Leichen?«

      »Nein, hat es nicht. Entweder tut er nur so, als törnt ihn das Ermorden und Verstümmeln seiner Opfer an. Oder er hat wirklich gravierende Potenzstörungen. Jedenfalls hat er weder auf den Leichen noch in unmittelbarer Nähe zu ihnen ejakuliert. Keine Vergewaltigung oder Penetration mit irgendwas.«

      »Also einfach nur ein Sadist?«

      »Möglich. Oder jemand, der seine wahren Gründe, die beiden umzubringen, verschleiern will oder muss.«

      Ich stöhnte. »Ein Auftragskiller der Russenmafia mit Schauspielausbildung?«

      »Ein Mitglied der Familie? Ein Ehrenmord?«

      »Och kommen Sie. Wenn das Mädchen Muslimin mit Kopftuch gewesen wäre, während der Junge mit Schläfenlocken und Jarmulke herumlief, dann vielleicht.«

      »Ehrenmorde geschehen nicht nur aus religiösen Gründen. Ein sechzehnjähriges Mädchen aus einflussreichem Haus, das sich mit einem doppelt so alten russischen Asylbewerber einlässt? Skandale und Präsidenten vertragen sich nicht besonders. Vielleicht hat Papa jemanden losgeschickt, der Unzucht mit einer Minderjährigen ein Ende zu setzen. Die Macht dazu hätte er als Leiter des BND.«

      Leiter des BND? Bundesnachrichtendienst? Präsident? Einen Moment lang verschlug es mir dann doch die Sprache. Kein Wunder, dass an unseren Bushaltestellen plötzlich Men in Black herumstanden und Maik Willem sich bedeckt hielt.

      »Wenn Sie an Ihrem Job hängen, sollten Sie diese Theorie nicht allzu oft wiederholen«, sagte ich hastig.

      »Ich sage, was ich denke. Ihre guten Ratschläge können Sie sich sonst wohin stecken.«

      »Sachte, ich gehöre zu den Guten. Trotzdem klingt das für mich wenig überzeugend. In dem Fall hätte er Buran Jung umbringen lassen, nicht aber seine eigene Tochter.«

      »Möglicherweise wollte er ihn gar nicht umbringen, sondern nur zusammenschlagen lassen oder erschrecken oder was weiß ich. Dann lief diese Bestrafungsaktion aus dem Ruder. Der Mann ist plötzlich tot, das Mädchen auch, und irgendein Jemand muss das Ganze so aussehen lassen wie ein Sexualmord, um von der Familie abzulenken. Wollen Sie immer noch mit mir ausgehen?«

      Ich lachte.

      »Nur, wenn Sie bei Tisch zur Unterstreichung Ihrer Theorien nicht gemeingefährlich mit dem Besteck herumfuchteln.«

      »Um acht beim Mexikaner, und schließen Sie vorher eine Krankenversicherung ab. Ich würde Ihnen ja gern den Autopsiebericht mailen, aber alle Infos gegen direkt ans Ministerium.«

      Damit drückte sie das Gespräch weg, und ließ mich mit breitem Grinsen in meiner Besenkammer zurück. Unabhängig davon, ob es mir gelang, sie abzuschleppen, versprach der Abend allein schon gesprächstechnisch ein Knüller zu werden. Ich liebe Frauen mit wachem Geist und flinker Zunge.

      8

      Der Bericht der Spurensicherung und der Autopsiebericht aus der Pathologie landeten beinahe gleichzeitig in meinem Postfach. Weiterleitung von Maik Willem. Geprüft und genehmigt. Ich las beide und wünschte, ich hätte es nicht getan. Um wieder runterzukommen, drehte ich eine schnelle Runde mit dem Mountainbike an der Weser entlang und reflektierte die Infos.

      Aufgrund des Insektenbefalls der Leichen ging die Spurensicherung davon aus, dass die Morde am Mittwoch geschehen waren. Der Täter hatte mit einem scharfen Messer – möglicherweise einem Teppichschneidemesser – das Zelt von außen aufgeschlitzt, durchgefasst und den schlafenden Mann bewusstlos geschlagen. Das Mädchen war offenbar gerade austreten gewesen und hatte hinter einem Baum hervor beobachtet, wie der Mörder ihren Freund aus dem Zelt in die Mitte der Lichtung schleifte, lange Zeltheringe in den Boden trieb und ihn daran fesselte.

      Dann hatte er sie gesucht und gefunden und