Ich bin dein Hirte. Marc Rosenberg

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Название Ich bin dein Hirte
Автор произведения Marc Rosenberg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847643500



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      Sie sehen, dass es keinen Sinn hat. Ich werde nicht weichen.

      „Bestell ihr bitte einen schönen Gruß.“

      „Sie soll sich mal melden bei uns.“

      „Ja, neugierige alte Gattschen“, flüstere ich. Ich weiß, dass sie nicht mehr gut hören, aber ich sehe, wie sie auf meine Lippen starren.

      „Sie soll sich melden, auch wenn es ihr nit gut geht.“

      „Wenn wir was für dich tun könne, dann sach uns Bescheid.“

      Ich frage mich, ob die das geübt haben, wer was sagt. Und was sie für mich tun können, sage ich ihnen lieber nicht. Ich könnte etwas für sie tun. Letztendlich und final. Aber sie sind schon alt, so alt. Es lohnt sich nicht wirklich.

      „Ja“, sage ich und in Gedanken lege ich meine Hände um ihren Hals. Nehmt doch einfach Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer Menschen, wenn ihr schon selber keine mehr habt oder nie welche hattet.

      Sie nehmen endlich ihre Hände von meiner Tür und drehen sich um. Ihre Blicke treffen sich. Auch sie schütteln die Köpfe. Ich höre jetzt schon ihr Geschnatter und ihr Gezische, und ihre sich überschlagenen Stimmen, wenn sie sicher sind, dass ich sie nicht mehr hören kann, oder wenn sie sich sicher fühlen. Aber eines kann ich euch versichern, niemand ist sicher, besonders ihr nicht, meine lieben alten Nachbarn. Ihr werdet auch noch verarbeitet.

      „Macht das Tor hinter euch zu!“, rufe ich hinterher. Ich werde später abschließen. Ich will erst einmal das Paket öffnen. Ich schließe die Tür, ziehe den Vorhang zu und gehe über den Flur.

      Ich gehe mit dem Paket in mein Arbeitszimmer. Und schließe hinter mir ab, ich will ungestört sein, wenn ich meine Sachen auspacke. Dabei fällt mir jedoch noch einmal das Gartentor ein, das ich noch abschließen muss. Drei abgeschlossene Türen sind besser als zwei. Ich lasse das Rollo noch ein Stück weiter herunter. Immer noch hell genug, ohne Licht machen zu müssen. Dunkelheit bedeutet immer auch Stille. Man muss nicht immer sehen, was lauert. Ich brauche es nicht sehen, ich weiß es. Ich kenne es.

      Außerdem, was wollen die ständig von Mutter. Mutter geht es doch gut. Sie konnte die doch eh nicht wirklich leiden. Immer dieses Gequatsche und Getratsche. Sie war eine Zugezogene.

      „Woher die wohl das Geld hat, so ein großes Haus zu bauen auf einem so großen Grundstück?!“

      Ich höre wieder, wie sie sich das Maul zerreißen. Neid, Missgunst. Na ja, jetzt hat sie ihre Ruhe. Vielleicht werde ich nachher noch einmal nach ihr sehen. Gut, das Haus ist wirklich groß und das Grundstück auch. Aber was geht die das an?! Ich habe den Platz, den ich brauche.

      Sie hat mir diesen Raum überlassen, weil sie selbst nicht mehr viel Platz brauchte. Oben. Es ist der größte Raum in diesem Haus. Er war aber schnell mit Sachen voll. Obwohl ich ja eigentlich nicht viel brauche. Schlafen kann ich im alten Schlafzimmer nebenan. Ansonsten brauche ich hier nur einen großen Schreibtisch, einen sehr bequemen Bürostuhl und Regale. Viele Regale. Und einen Sessel um zu lesen. Neben dem Sessel steht noch eine Lampe und ein niedriger Tisch. Die Wände haben irgendwann für die Regale nicht mehr gereicht. Der Raum wurde langsam zu einer Bibliothek, zu einer Bücherei mit vielen schmalen Gängen. Aber so gefällt es mir. Wenn jemand das Zimmer betreten würde, würde er mich nicht gleich sehen. Ich aber ihn. Mein Schreibtisch steht so, dass ich in den Raum schauen kann. Zwei Spiegel sind so angebracht, dass ich die Tür sehen kann. Aber wer soll hier schon hereinkommen. Mutter ist nicht mehr da und auch sie kam sehr selten hier herein. Außerdem klopfte sie immer an, bevor sie den Raum betrat. Sie klopft an, seit sie mich erwischt hat.

      „Ich arbeite“, sagte ich nur und Mutter wusste, dass ich in den nächsten Stunden nicht gestört werden wollte.

      Bevor ich das Paket öffne, mache ich die Musikanlage an. Das gehört zusammen: Musik hören und Bücher auspacken.

      Auch, wenn es diesmal gar keine Bücher sind. Es sind Teile einer Geschichte.

      Ich habe mir das Paket selber geschickt. Um mir eine Freude zu machen. Um zu testen, ob es verschickt wird. Ob es ankommt. Der Inhalt. Ob es jemand merkt, was denn da drinnen verschickt wird. Ein Geschenk von Michaela. Etwas unfreiwillig, aber notwendig. Sie konnte ja nicht mehr widersprechen, sich auflehnen. Aber kalt war sie noch nicht. Sie roch noch nach sich, nach Liebe, oder Sex? Nach Angst? Nach Gier vielleicht, nach Lust und Schmerzen, ja. Das riecht intensiv, das schmeckt intensiv, erregend und betörend. Unvergleichlich. Der Blick in ihren Augen, bevor es vorbei war. Die Augen. Kurz bevor es vorbei ist. Die Augen sind das Faszinierende, wenn das Ende kommt, als würde sie es sehen. Das Ende, wie es naht. Ob schleichend oder plötzlich angesprungen.

      Und es wird verschickt. Ich freue mich. Eine nette kleine Erinnerung. Obwohl ich keine Erinnerung brauche, keine Gedächtnisstützen. Ich kann es mir merken. Das schon, was wir erlebt haben. Michaela und ich, obwohl sie es ja nicht wirklich überlebt hat, nur in meiner Erinnerung, in meinem Kopf. Ich aber werde dafür sorgen, dass sie unvergessen bleibt. Es wird nicht vergebens gewesen sein, Michaela. Für manche Dinge im Leben reicht Fantasie eben nicht aus. Es gibt Geschichten, die schreibt das Leben besser als jede Fantasie. Ja. Und ich schreibe sie auf. Die Geschichten. Für euch. Die ihr diese Geschichten lesen wollt. Das erfordert Opfer. Bereitwillig, wie ich versichern kann. Bis zu einem bestimmten Punkt zumindest. Aber Ekstase und Obsession sind wie ein Schmerzmittel. Nur besser.

      Ich bekomme eine Erektion. Vom Gedanken an Michaela. Vegetarierin. Sie war Vegetarierin. Auch das noch. Und ich sah schon eine Freude, ein Vergnügen schwinden. Direkt vor meinen Augen.

      „Nehmen Vegetarierinnen eigentlich einen Schwanz in den Mund?“, fragte ich. Ich hatte es gerade erst erfahren, aber ich ergriff die Gelegenheit beim Schopf, wie immer. Es gab nur zu gewinnen. Verlieren konnte ich nicht. Nicht mehr. Im Dunklen gibt es nichts, was ich verlieren kann.

      Sie schaute mich an. Ich sah, dass sie noch nicht wusste, ob sie loslachen oder wütend sein sollte. Sie schwankte. War verlegen. Und ich hatte gewonnen. Ich lächelte.

      „Ich meine, das ist doch Fleisch.“

      „Ja, schon, aber es ist ja noch lebendig.“

      „Gutes Argument“, meinte ich und fügte hinzu, „lebendig ist gut. Es gibt wohl doch Dinge, die auch in den Händen und im Mund einer Vegetarierin wieder lebendig werden.“

      „Bisher hat sich noch niemand beklagt.“

      „Das freut mich zu hören.“

      „Außerdem ist der Schwanz eines Mannes ja nicht tierisch.“

      Ich horchte auf.

      „Nicht tierisch?“

      „Ja. Vegetarier essen keine toten Tiere. Der Schwanz eines Mannes, eines männlichen Menschen ist kein tierisches Fleisch. Also im strengen Sinne.“

      „Im strengen Sinne?“

      „Na, ja. Wie soll ich sagen?“, sie senkte den Blick.

      Und wusste nicht, dass ich bereits wusste, worauf sie hinaus wollte. Aber ich sah es gern, wie sie sich unter meinen Blicken, meinem Zögern, meinem Schweigen und meinem Erwarten wandte. Ich nahm ihr nichts ab, noch nicht.

      Es erregte mich.

      „Manchmal wünscht sich eine Frau ein Tier, also, dass der Träger eines Schwanzes zum Tier wird. Auf ihr, hinter ihr, in ihr. Mit den Kopf zwischen ihren Schenkeln. Ihren Saft trinkend.“

      „Ach, tatsächlich?“

      „Ja“, seufzte sie.

      Ich wusste, sie war bereits bereit, feucht, willig. Sie erwartete mich. Erregt. Sie würde die Schmerzen mit Lust und Freude empfangen, sich dem Verlangen nach mehr hingeben und sich unter ihnen winden, während ich sie dem finalen Höhepunkt entgegen treiben würde. Final. Und einmalig. Ja. Der letzte Orgasmus.

      Es war natürlich kein Zufall, dass wir zusammen in diesem Restaurant saßen. Das Internet hat mir meine Arbeit, meine Recherchen wesentlich erleichtert. Fast schon zu einfach. Chatrooms. Man