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wäre die direkte, schnörkellose und niederstreckende Rückmeldung, Feedback auf Neudeutsch, via Sprache oder Mimik. Minimalismus. Ich muss noch mehr beleidigen. Keine überzogenen Gesten. Die erzeugen nur sinnlose Bedeutungssucht beim Gegenüber. Obwohl es ja kein echtes Gegenüber gibt. Kein adäquates jedenfalls. Es findet ja strenggenommen kein Gespräch statt, keine Kommunikation, keine zwischen Gleichwertigen zumindest. Denn wie will ich mich mit jemandem unterhalten, der meiner Sprache nicht wirklich mächtig ist? Wie will ich reden mit jemandem, der sich nicht auf einer Ebene mit mir befindet, den ich nicht wirklich wahrnehme, in seinem Sosein, in seiner angenommenen Unscheinbarkeit? Doch ich schreie nicht laut los, beleidige nicht, spucke nicht, trete nicht und ziehe auch nicht ernsthaft den Gebrauch einer Schusswaffe in Erwägung. Oder doch solide Handarbeit? Hammer oder Beil? Nein, gelernt ist gelernt, bleibe ich für diesen Moment friedlich, noch, dem Anschein nach, setzte mich in mein Auto und fahre dem Tag entgegen, der eigentlich nicht wirklich gut weitergehen kann, weil es nicht mein Tag ist. Denn noch bin ich nicht soweit. Nicht konsequent genug. Aber das wird schon noch. Im fahrenden Wagen, nicht dem Auto meiner Sehnsüchte, umschmeichelt dann Musik meiner Wünsche mein angekratztes Gemüt. Doch es ist nur befristeter Balsam. Weil vergänglich. Und irgendwann komme ich dann ja auch an, an einem Ort, an dem ich eigentlich nicht wirklich sein will. Treffe auf Menschen, mit denen ich nicht reden will. Überhaupt finde ich mich zu oft an Orten wieder, an denen ich eigentlich nicht sein will. Die ich jedoch gezwungenermaßen aufsuchen muss, so sind die Spielregeln, dass ich Orte aufsuche, die ich nicht brauche, um offizielle Dinge des Lebens zu organisieren: Nahrung, Kleidung, Behörden und öffentliche Dienstleistungsanbieter und natürlich alle nur erdenkliche Formen anderer Annehmlichkeiten, die moderne Konsumtempel bieten. Ja, und ich gebe mich hingebungsvoll ausschweifenden Kaufräuschen hin, um mit einem ambivalenten Gefühl die Markthallen des Kapitals zu verlassen: Glückseligkeit und das Gefühl, noch nicht alles zu haben, was ich meine zu brauchen. Und all das tue ich auch noch freiwillig. Ja? freier Wille? Ich lebe das falsche Leben, wenn ich den gutaussehenden und sportlich aktiven und fitten Menschen im Fernsehen glauben darf. Dann mache ich alles falsch: falscher Schlaf, falsches Frühstück, falsche Zahnpaste, falsche Kleidung, falsche Frau, falsche Kinder, falsches Auto, falscher Job, falscher Computer, falsche Ferien usw. usw., alles falsch bis hierher.

      Aber ich habe sie durchschaut. Ich mache nicht mehr mit. Schluss.

      Ich habe aufgehört mitzumachen. Ich mache einfach nicht mehr mit. Und einige andere auch nicht mehr, aber das war nicht ihre Entscheidung, das war meine.

      Aus gutem Grund wünschte ich mir bisher gelegentlich nur die Annehmlichkeit einer Insel, oder doch „Die Möglichkeit einer Insel“ (Houellebecq)? Der Gedanke ist nicht neu und schon gar nicht von mir, aber manchmal zwingend notwendig. Was falsch war, bleibt falsch, auch wenn ich es anders mache. Deswegen onaniere ich heute nicht unter der Dusche, sondern nehme mir vor, es heute auch tun zu lassen und heute dafür zu bezahlen. Oder bezahlen zu lassen. Ich muss nur herausfinden, wo man das machen kann. Und ich weiß, dass heute Menschen bezahlen werden, dafür, dass sie mich nerven und genervt haben. Heute ist Zahltag. Ab heute ist jeder Tag Zahltag. Und ich fange hier in diesem Haus damit an. Ich schreibe die Rechnungen und nehme die Zahlungen entgegen.

      Ja, das fühlt sich gut an. Meine Hände um deinen Hals. Ihr werdet bezahlen. Und ich werde ihr dabei in die Augen sehen und dabei zuschauen, wie das Lebenslicht aus ihren Augen verschwinden wird, wie das Licht verblasst. Verwirrt, erschrocken, entsetzt, zappelnd um sich schlagend. Aber hoffnungslos. Das Leben wird zu Ende gehen. In meinen Händen.

      Heute.

      Morgen.

      Jeden verdammten Tag, der mir noch bleibt. In meiner Welt. Ich zerre sie in die Dunkelheit und werde sie führen. Ihr Wasser und Nahrung geben. In der Dunkelheit bin ich ihr Hirte. In der Finsternis. Bin ich ich.

      „Mama, ich bin müde. Halt mich, ich will mich spüren, nimm mich in deine Arme, ich will dich spüren. Deine Nähe, deine Wärme, deine Hände und deinen Atem auf meiner Haut. Mama, lass mich nicht allein. Komm wieder zurück.“

       3.

      Wenn die Post kommt, muss ich das Haus verlassen. Ich gehe nicht gern aus dem Haus. Nur, wenn es absolut notwendig ist. Wenn die Post kommt, ist es notwendig, absolut. Und für das Experiment natürlich. Ich bekomme häufig Post. Gegen zehn schaue ich aus dem Fenster, dann kann ich ihn meistens kommen sehen. Der gelbe Wagen fährt auf das Haus zu. Das Haus steht günstig, als wäre ich beim Einteilen der Grundstücke, bei der Ausrichtung des Hauses und bei der Erstellung der Routen der Postler dabei gewesen. Wenn ich aus dem Küchenfenster schaue, habe ich kompletten Einblick in die Querstraße. Ich muss nicht einmal aufstehen, ich sitze so, dass ich aus dem Fenster schauen kann, wenn ich frühstücke oder zu Mittag esse. So habe ich auch die Nachbarn im Auge, wenn sie die Straße überqueren und sich über den neuesten Tratsch austauschen. Es ist grauenhaft zu sehen, wer wen besucht und vor allem wann, also wer wen, wann besucht, wenn der eine oder andere nicht da ist. Kaum dass ich ihnen den Rücken zukehre, weiß ich, dass sie über mich reden. Sollen sie doch reden. Sie können mich alle am Arsch lecken. Seit Mutter weg ist, haben sie noch mehr zu reden. Ich gebe ihnen, was sie brauchen. Jeder bekommt das, was er verdient.

      Sie sind ja nur Marionetten in meinen Händen, sie tun, was ich will, laufen durch meine Inszenierung. Willenlos und mitunter kopflos. Ha.

      Ich sehe das Postauto, wenn es in die Straße biegt, sofort. Dann stehe ich auf. Ich gehe in den Flur, schiebe den schweren, dunklen Vorhang etwas beiseite und gehe weiter zur Haustür. Ich schließe sie auf, öffne die Tür und gehe hinaus. Hinter mir ziehe ich die Tür wieder zu. Ich überlege kurz, ob ich abschließen soll. Gehe dann aber los. Bis ich am Gartentor bin, hat der Wagen gehalten und der Mann in gelb und blau ist ausgestiegen. Es ist ein Paket. Für mich. Er kommt zielstrebig auf mich zu. Ich fange die Post und deren Überbringer immer vor dem Grundstück ab. Normalerweise kommt niemand auf das Grundstück. Es ist abgeschlossen. Meine Welt. Mein Reich.

      „Hier kommst du nicht rein“, flüstere ich und kichere, „nicht hier rein zu mir. Ich bin Nichts. Hier bekommst du mich nicht. Hier findest du mich nicht. Hier in meinem Kopf. Kommst du nicht rein. Du nicht. Der gehört mir. Das ist meine Welt. In der findest du nur da, was ich zulasse, was ich erlaube, was ich will, dass passiert ist und wie es passiert ist Ich kann es mir so vorstellen, wie ich es will. In der Dunkelheit.“

       Denn ich liebe die Dunkelheit. Ich liebe das Dunkle. Dort lauere ich und warte. Dort warte ich in der Dunkelheit. Warte bis es vorbei ist. Höre nur die Geräusche um mich herum, und wenn da keine sind, höre ich die Geräusche in mir drin. Lausche auf das, was sie mir sagen.

       Er lässt mich wieder allein. Aber das kann er gar nicht, mich allein lassen. Ich bin bei mir. Ich hüte mich, ich weide mich, ich führe mich. Ins Nichts. Dort, wo er mich nicht hinführen kann.

      „Guten Morgen!“, ruft er mir entgegen.

      „Woher wissen Sie, dass es ein guter Morgen ist?“, frage ich, ohne dass er es hören kann.

      Er sieht, dass ich etwas sage, und schaut skeptisch, aber er lächelt. Er lächelt, weil er glaubt zu wissen, wen er vor sich hat. Als Zusteller begegnet man sicher einer Menge merkwürdiger Menschen. Zu allen muss er freundlich sein.

      Seine offen zur Schau gestellte gute Laune kotzt mich sofort an. Ich mag freundliche Leute nicht, weder bekannte noch unbekannte freundliche Leute. Wenn Leute freundlich sind, dann wollen sie, dass man zu ihnen auch freundlich ist, oder sie führen etwas im Schilde, man soll ihnen einen Gefallen tun, oder irgendetwas hintertrieben Hintergründiges für sie machen. Eigennutz. Ohne eigenen Nutzen läuft da gar nichts. Kindergartengerechtigkeit. Und dann sind sie überrascht, wenn man ganz anderes reagiert, wie sie es erwarten. Überhaupt, Erwartungshaltungen kotzen mich besonders an. Gibt es eigentlich dafür schon einen Verein? „Verein für die Förderung und Pflege von Erwartungen“. Und dann diese Nachbarn. Seit Tagen geht das schon so. Unangenehme Fragen, merkwürdige und neugierige Blicke. Schrecklich. So kann ich nicht arbeiten. Ich brauche meine Ruhe, viel Ruhe. Aber irgendwie habe ich das ja auch provoziert. Ich muss kichern. Der Postbote schaut mich komisch an. Hat er was gemerkt? Muss ich ihn herein bitten?