Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen. Billy Remie

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Название Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия Legenden aus Nohva 3
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742790316



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      Die schwarze Ziege stand auf ihren winzigen Beinen neben ihm, ein Strick lag locker um ihren Hals, mit dem sie an einem Holzpfahl gebunden war.

      »Eine wirklich kleine Ziege«, stellte ich zudem noch abschätzig fest. Sie würde nicht einmal ein gutes Abendessen abgegeben.

      »Sie ist etwas Besonderes«, erklärte Janek.

      Ich nickte sarkastisch. »Das muss sie ja wohl sein, wenn du dein und insbesondere mein Leben für sie riskierst.«

      »Ich wollte nicht, dass Ihr mir folgt«, wiederholte Janek. Und nun sah er mir entschlossen entgegen.

      Wahrlich, mir war es ein Rätsel, wie ein Mann derart an einer Ziege hängen konnte.

      »Sie ist eine Zwergziege«, erklärte Janek, obwohl ich nicht gefragt hatte. Er klang, als wollte er mich unbedingt davon überzeugen, dass diese Ziege wichtig war.

      Mit dem Blick auf sie sprach er weiter: »Ich rettete ihr vor zwei Jahren das Leben, seitdem bringt sie mir Glück.«

      Ich runzelte die Stirn. »So einen abergläubischen Unfug hätte ich von meinen Leuten erwartet ... nicht von den Elkanasai.«

      »Ich bin kein Elkanasai!« Janek knurrte diese Worte, sah jedoch zu Boden.

      Einen Momentlang stand ich da und betrachtete Janek argwöhnisch. Er sah zu seiner Ziege hinab und sie blickte zu ihm auf, es war, als könnte sie ihn verstehen, fast so, als würde sie zu ihm sprechen.

      Mir war bis dorthin keine Ziege begegnet die so klein und so unheimlich war.

      Ich atmete aus, nachdem ich meinen Entschluss gefasst hatte. »Nun denn, so komm mit. Wenn deine Ziege wirklich Glück bringt, kann ich sie sicher gut gebrauchen.« Ich meinte meine Worte spöttisch, denn statt der Ziege, wollte ich ihn behalten. Er war ein guter Schütze ... und ein Spitzohr unter meinen Brüdern konnte dienlich sein. Noch wusste ich nicht, wie mir seine Abstammung und sein Aussehen vorteilhaft sein könnten, aber ihn mitzunehmen konnte vorerst nicht schaden. Sei es nur um zu verhindern, dass er dem nächsten Elkanasai Trupp Bericht erstatten konnte.

      Ich drehte mich auf den Fersen um und ging aus der Scheune.

      Draußen verklangen allmählich die Kampfgeräusche. Ich vermisste schon jetzt das Klagengeschrei, die flehende Rufe zu Göttern, das Wimmern, das Jammern, das Weinen. Ich vermisste das Geräusch von scharfem Metall auf scharfem Metall. Oh, ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr ein Kampf mich beflügelte, vor allem wenn er gewonnen worden war.

      Ich traf Derrick nicht am Südtor, sondern vor den Toren des Rathauses, wo er gerade seinen letzten Gegner niederstreckte. Er wischte sich mit dem Unterarm Blut und Schweiß von der Oberlippe, das Schwert noch fest in der Hand. Ich ging auf ihn zu, während er über die Leichen stieg, die er selbst hinterlassen hatte.

      Er sah mich erst, als ich sprach: »Wie sieht die Lage aus?«

      Grimmig sah er mir entgegen, doch trotz seines Gesichtsausdrucks und trotz des Drecks und des Blutes darin, sah er noch immer nervtötend gut aus. – Na ja, vielleicht auch gerade deshalb.

      Derrick nickte zu den Gebäuden, in den Straßen lagen viele Leichen und meine Brüder waren gerade dabei, sie zu plündern. Wenn sie damit fertig waren, würden sie sich die Häuser vornehmen; und ich würde sie nicht daran hindern.

      »Viele Verletzte«, erklärte Derrick. »Und Tammo ist gefallen.«

      Ich nickte gelassen und zuckte anschließend mit den Augenbrauen. »Nun gut, er hat mich ohnehin oft hinterfragt. Wer auch immer ihn auf dem Gewissen hat, hat es mir erspart, ihn selbst zu töten.«

      Nachdenklich murmelte Derrick: »Ich frage mich manchmal, ob du das auch über mich denkst.«

      »Wäre dem so, wüsstest du es«, erwiderte ich nur und ließ ihn stehen.

      Ich mochte es nicht, wenn Derrick sentimental wurde. Ja, wir hatten viel durchlebt, aber deshalb musste ich noch lange nicht mit ihm liebäugeln. Was erwartete er von mir? Das ich ihn anders behandle als meine Brüder? Das tat ich ja schon, aber auf meine Weise. Ich ließ ihm mehr durchgehen als sonst irgendjemanden. Wenn das kein Beweis für meine ... Zuneigung zu ihm war ...

      »Meine Brüder!«, rief ich, um meine Gedanken abzubrechen. Von allen Männern, war Derrick einem Blutsbruder am nächsten, aber ich war nicht gut darin, Freundschaften zu pflegen, jedenfalls nicht mit Worten.

      Langsam hoben sich die Köpfe der Assgeier, die mit mir reisten und die ich Gefährten nannte, einige kamen herangeeilt, andere stampften missgelaunt in meine Nähe.

      Ich positionierte mich auf den Treppenstufen, die zum Ratshaus hinaufführten, damit sie mich alle sehen konnte. Zu meiner Rechten trottete Janek heran, er hatte seiner Ziege den Strick abgenommen und sie lief ihm nun nach als sei sie ein kleiner Welpe.

      Ich wandte mich an meine Brüder: »Das war ein hervorragender Sieg, trotz des kleinen Verlustes.«

      Sie nickten und brummten zustimmend.

      »Aber unsere Reihen sollen nicht kleiner werden«, fuhr ich fort und deutete mit einem ausgestreckten Arm feierlich auf den verdutzten Janek. »Tammo fiel, dafür heißen wir einen neuen Kämpfer willkommen: Janek!«

      Sie beäugten ihn, manche desinteressierte, andere neugierig, Lazlo war kritisch und Derrick klappte der Mund auf.

      »Spinnst du?«

      Mein Kopf flog herum. »Schnauze!«, zischte ich ihn an.

      Er wich zurück, doch sein Blick war eine wütende Maske.

      Erneut drehte ich mich zu meinen Brüdern: »Heißen wir ihn mit einem Festmahl willkommen! Nehmt die Vorräte dieser Siedlung, macht ein Feuer mit ihren Häusern.«

      Das ließen sie sich nicht zweimal sagen, sie schwärmten mit Wolfsgeheul und Gelächter aus.

      Derrick starrte mich an. »Aber ... das sind unsere Leute! Sie sitzen noch in den Wagen der Elkanasai! Du kannst nicht ihre Heimat niederbrennen! Ihre Vorräte stehlen!«

      »So lass sie glauben, die Elkanasai haben ihnen alles genommen«, fuhr ich ihn wütend an.

      Er war nicht damit einverstanden, doch er widersprach nicht länger.

      Ich fügte noch hinzu: »Je großer die Zerstörung, je ehe sind sie vielleicht bereit, unseresgleichen zu folgen.«

      »Solange wir nur Söldner sind, wird uns niemand folgen, Namenloser«, sprach er auf mich ein und betonte meinen Spitznamen überdeutlich, als wüsste ich nicht, wer ich war.

      Ich nahm seinen Einwand zur Kenntnis, kommentierte ihn aber nicht.

      Derrick packte mich am Arm und zog mich zurück als ich gehen und nachsehen wollte, welche Schätze in den Häusern auf mich warteten.

      »Du willst ihn doch nicht wirklich aufnehmen, oder?« Derrick nickte an mir vorbei zu Janek.

      »Natürlich nicht«, erwiderte ich.

      Derrick atmete erleichtert aus.

      »Aber die Ziege schon.«

      Die Lippen in Derricks beschmutztem Gesicht wurden schmal. »Du bist nicht witzig, mein Bruder.«

      »Du hast die Wahl, Derrick.« Meine Stimme wurde zu einem leisen, heißen Flüstern. Ich legte meine Lippen an Derricks Ohr, dessen Körper sich angespannt versteifte, als ich ihm ernstlich zu drohen begann. »Entweder du lernst, mir zu vertrauen, oder du teilst das Schicksal all jener, die den Fehler machten, mich zu unterschätzen.«

      »Ich unterschätze dich nicht!« Derrick sah mir gefasst ins Gesicht. »Ich sorge mich um dich, das ist ein Unterschied.«

      »Dann sorge dich nicht, mein Bruder.« Ich lächelte ihn wieder gelassen an und legte ihm eine brüderliche Hand auf die Schulter. »Vor allem heute nicht. Lass uns unseren Sieg feiern. Schlagen wir uns den Magen voll, ehe wir zu Menard reiten und ihn schließlich fragen müssen, aus welchem Grund er mir wichtige Informationen vorenthalten hat.«