Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen. Billy Remie

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Название Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия Legenden aus Nohva 3
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742790316



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auf dem kalten Steinboden der Halle auf, ähnlich wie ein nasser Sack voller alter Kleider. Doch er war ebenso schnell wie er unten war wieder auf seinen langen, flinken Beinen.

      Es überraschte mich etwas, das in jenem Moment, als Janek befreit worden war, alle Elkanasai im Raum einen Schritt zurückwichen, als sei eine Druckwelle durch den Raum gegangen. Sie ahnten bestimmt, wozu ihr ehemaliger Bruder bereit war, aber niemand wusste, auf welchen der Elkanasai sich Janek zuerst werfen würde.

      Zu meinem eigenen Vergnügen, sprintete Janek ungehalten auf den hochgeborenen Elkanasai zu, der von der Armbrust in Derricks Armen bedroht wurde. Darauf hatte ich gehofft, denn es ersparte mir die Drecksarbeit, obwohl ich nichts dagegen gehabt hätte, Elkanasai-Blut zu vergießen.

      Unbewaffnet, gefoltert, verletzt und am Ende seiner Kräfte, sammelte Janek seine letzten Energiereserven und stürzte sich mit einer Geschwindigkeit auf seinen ehemaligen Landsgenossen, wie ein Falke auf eine Maus. Ich hätte nicht einmal die Möglichkeit gehabt zu reagieren, selbst wenn ich gewollt hätte – was ich aber nicht habe.

      An dieser Stelle könnte ich nun ausführlich erzählen, wie dieser menschlich aussehende Pfeil mit spitzen Öhrchen auf das andere Geschöpf mit ebenso spitzen Ohren zustürmte und ihn umriss. Ich könnte erwähnen, dass der Elkanasai, der dieses Land besetzen wollte, unter den Augen seiner Soldaten umgemäht wurde wie eine Salzsäule von einem Amboss. Vermutlich sollte ich in jeder Einzelheit beschreiben, wie und warum und weshalb ... Doch sind wir mal ehrlich, die Geschehnisse liegen lange zurück und ich erinnere mich nicht an jeden einzelnen Augenblick oder an jedes kleinste Detail.

      Aber ich weiß noch wie befreiend es war, zuzusehen, wie sich Janeks lange Finger um die zarte Kehle des Elkanasai schlossen, wie er mit hochrotem Kopf zudrückte, der vor Anstrengung fast zu zerbersten schien. Ich erinnere mich noch an die Sehnen und die angespannten Muskeln unter Janeks heller Haut, die wegen des angewandten Kraftaufwandes deutlich hervortraten.

      Mir die Lippen leckend, stellte ich mich wieder neben Derrick, der die Armbrust senkte und weniger begeistert dem Spektakel zusah. Nicht, dass er sentimental gewesen wäre, wenn es ums Morden ging. Zwar tat Derrick gerne mal so, als steckte ein aufrichtiger Mann in ihm, doch das Töten war ein Teil von ihm, ein Teil von uns allen. Es schockierte Derrick nicht, das und wie Janke tötete, nein, sein Missfallen und sein Argwohn bezogen sich ganz allein auf die Tatsache, dass ich Janek befreit hatte, statt ihn mit den anderen niederzustrecken.

      Ich steckte den Dolch weg. Noch immer kauerte Janek über seinem Peiniger, seine Lippen waren zurückgezogen und präsentierten weiße Zähne, sein langes Haar war über seine nackten Schultern nach vorn gefallen und rahmten sein Antlitz ein, Schweiß tropfte von seiner Stirn und landete im Gesicht des anderen Elkanasais, der langsam blau anlief.

      Ich lächelte boshaft, während ich mit immer schneller schlagendem Herzen wie im Wahn dabei zusah, wie das Leben aus den Augen des Elkanasais wich. Langsam. Qualvoll. Janeks Methode war genau nach meinem Geschmack.

      Derrick schüttelte den Kopf, er hatte die Armbrust zwar gesengt, doch sie lag noch schussbereit in seinen Händen. Er sah mich von der Seite an. »Was hast du vor?«

      Ich gab ihm die gleiche Antwort, die ich ihm gegeben hatte, als ich ihn und die anderen mit zu diesem Dorf genommen hatte: »Ich weiß es noch nicht.«

      Diese Antwort entsprach der Wahrheit, ich ließ mich allein von meinen Gefühlen und meiner Intuition leiten. Es war dumm, das wusste ich selbst, denn draußen warteten hundert Soldaten, die hinter uns her sein würden, sobald wir den Raum verließen.

      Ich hätte anordnen können, die Soldaten, die unter der Kontrolle meiner Männer standen, zu fesseln und zu knebeln, damit wir uns rausschleichen und mit etwas Glück viel Land zwischen uns und diesem kleinen Heer hätten bringen können, um mir selbst und auch meinen Männern das Leben zu retten.

      Doch ich tat es nicht. Stattdessen sagte ich, ohne über die Schulter zu blicken: »Tötet auch den Rest.«

      Lazlos Schwert war das erste, das den Feind durchstieß, ich hörte es daran, wie er es tat: mit einem Aufkeuchen, ähnlich wie der Laut den er von sich gab, wenn er beim Akt mit einer Frau zum Höhepunkt kam. Von all meinen Leuten, mich eingeschlossen, hatte Lazlo die größte Freude an unserem Handwerk. Das Töten ist unsere Natur, wie ein angeborener Instinkt, den wir zum Überleben benötigen. Ich sage nicht, dass es in Ordnung ist – verdammt, ich sage nicht einmal, dass es schön ist, so zu fühlen –, aber die Wahrheit ist, dass unsere Welt rau und brutal ist. Düster. Schattig. Wir können nicht darin überleben ohne selbst etwas Düsteres mit uns herum zu tragen. Diese schreckliche Lektion hatte mir mein Vater mit auf meinen Weg gegeben.

      Als die toten Soldaten zu Boden fielen und sich ihr Blut zu sammeln begann, als Janeks Finger auch das letzte bisschen Leben aus seinem Peiniger gepresst hatten, wie Saft aus einer Frucht, packte ich Derricks Armbrust.

      Janek schien mit eben jener Reaktion gerechnet zu haben, denn er hatte die Hände schon ergebend in die Luft gerissen, als er mit dem Erwürgen fertig war. Schnaufend, aber ansonsten beherrscht, starrte er mir mit einer tödlichen Ruhe entgegen.

      Ich lächelte gespielt entschuldigend über die Armbrust hinweg, der eingelegte Bolzen zeigte vollkommen still auf Janeks Brust, die sich unter tiefen und schnellen Atemzügen ausdehnte und wieder zusammenzog. »Nur ein toter Elkanasai, ist ein guter Elkanasai.«

      Derrick hielt mich an dieser Stelle nicht auf, im Gegenteil, er legte zufrieden seine Hände auf den Knauf seines Schwerts, das an seinen Hüften baumelte, und wartete darauf, dass ich den letzten verbliebenen Elkanasai im Raum tötete.

      »Ich bin kein Elkanasai!«, erwiderte Janek.

      Es war nicht sein Einwand, der mich innehalten ließ, es war die Ruhe in ihm. Er schien den Tod nicht zu fürchten. Keiner meiner Männer fürchtete den Tod, es war das einzige Kriterium, das sie erfüllen mussten, bevor ich sie aufnahm. Bisher waren es aber stets nur Menschen aus Carapuhr gewesen, denen ich einen Beitritt in meinen Söldnertrupp gewährt hatte.

      Trotzdem senkte ich die Armbrust nun ein Stück und verengte interessiert meine Augen.

      Janek fuhr langsamer fort: »Ich weiß, für euch Barbaren sehen wir alle gleich aus. Ja, ich bin ein Spitzohr, doch stamme ich ursprünglich nicht aus Elkanasai, sondern aus Nohva. Aus der südöstlichen Wildnis von Nohva, um genau zu sein. Die Nohvarianer nennen uns die wilden Elkanasai-Stämme.«

      Ich senkte die Armbrust gänzlich, musste aber spöttisch lächeln. »Dann seid Ihr also doch ein Elkanasai. Nur ein Wilder.«

      »Für die Nohvarianer schon«, stimmte Janek zu, noch immer waren seine Arme weit erhoben, doch allmählich glitten seine Augen immer wieder nervös zu den verschlossenen Ratshallentüren hinter mir.

      Lazlo trat zu mir und Derrick heran, er wischte das Blut von seiner Klinge an seinem eigenen Umhang ab, obwohl ich ihm schon mehrfach daraufhin gewiesen hatte, dass man nicht da scheißt, wo man isst. Aber sogar für Straßenschläue war Lazlo zu blöd. Das hatte man eben davon, wenn man sich auf Räuber und Mörder einließ, rückte ich mich selbst. Nun denn, mir sollte es egal sein, aber wenn das Blut an Lazlos Kleidern zu stinken begann, konnte Lazlo gut und gerne außerhalb des Lagers nächtigen. Meine Nase war nicht empfindlich, aber meine Männer stanken auch ohne Blut an ihren Kleidern genug, Lazlo ganz besonders. Ein nasser Hund, der sich in Dung gewälzt hatte, roch im Vergleich zu Lazlo wie eine Sommerwiese.

      »Tötest du ihn jetzt?«, drängelte er mich genervt und ließ das Schwert zurück in die Scheide gleiten. »Ich bin am Verhungern.«

      »Noch ein Wort, und das einzige Essen, das du für eine ganze Weile sehen wirst, werden die Läuse in deinen Sackhaaren sein, Lazlo.«

      Hasserfüllte funkelte mich das Narbengesicht an, hielt aber brav seine Klappe und verschränkte die Arme abwartend vor der Brust.

      Ich wandte mich wieder an Janek. »Wenn du aus Nohva stammst, warum bist du dann in der Kaiserlichen Armee?«

      Janeks Augen wurden dunkel, als er erklärte: »Manchmal fallen die Soldaten des Kaisers in die südöstliche Wildnis Nohvas ein. Mein Stamm wurde von ihnen