Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen. Billy Remie

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Название Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия Legenden aus Nohva 3
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742790316



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zusammen jedem Feind entgegenstellen. Ich hoffte, dass Derrick nicht der einzige blieb, auf den ich mich verlassen konnte. Aber noch war ich jung und die Armee meines Vaters zahlreich, darunter würde ich im Laufe der Jahre sicher genug Männer finden, deren Loyalität ich mir irgendwie sichern konnte.

      Das Quengeln eines Kindes riss mich unstet aus meinen Überlegungen. Ich warf den Kopf herum und beugte mich eiligst über Irmi, ehe sie mit ihrem Weinen noch Ann aufweckte. Irmi machte mir oft Sorgen, Mutter sagte, sie habe Schmerzen und der Heiler fand einfach nicht heraus, welche Art von Schmerz. Aber was auch immer es war, meine Schwestern konnte sich auf mich, ihren großen Bruder, verlassen. Zwar konnte ich Irmi nicht die Schmerzen nehmen, aber wenn sie weinte, war ich sofort da um sie abzulenken.

      Auch an diesem Tag beugte ich mich über sie und lächelte ihr in das niedliche Gesicht mit seinen dicken Pausbäckchen. Die Zwillinge hatten dunkles Haar wie Mutter und mein Bruder Melvin, nur Haakon und ich hatten Vaters helles Haar.

      »Sieh her, Irmi«, säuselte ich und kitzelte ihren kleinen Bauch. Sofort lachte sie und das Weinen hörte auf. Dann hatte sie zum Glück doch keine Schmerzen, sondern vielleicht nur einen bösen Traum gehabt.

      Melvin und Haakon kamen herangestürmt und warfen sich vor der Decke auf die Knie, ihre Hosen wurden dreckig, Vater würde deswegen wieder schimpfen, und Mutter die Strafe dafür erhalten.

      »Was hat sie?«, fragte Melvin besorgt.

      »Nichts«, beruhigte ich meine kleinen Brüder. »Sie hat nur schlecht geträumt.«

      »Sie kann träumen?« Melvins große Kinderaugen starrten mich verblüfft an.

      »Du kannst doch auch träumen«, erwiderte ich. »Wieso sollen Irmi und Ann keine Träume haben?«

      »Sie sind noch so klein«, antwortete Melvin. »Ich erinnere mich nicht, ob ich in diesem Alter geträumt hab, Mel.« Er kratze sich am Kopf.

      »Ich auch nicht, aber es muss so sein.«

      »Wieso, Mel?«

      Kinder in diesem Alter konnten anstrengend sein ...

      Ich streckte schmunzelnd einen Arm aus und verwuschelte sein Haar. Er versuchte, meine Hand genervt wegzustoßen.

      »Stell deine komplizierten Fragen Menard, ich bin sicher, er findet auch dafür Antworten.«

      Mit heruntergezogenen Mundwinkeln versuchte Melvin seine Haare glatt zu streichen; sein schönes, dunkles und seidenglattes Haar.

      »Ich hab mich dreckig gemacht, Mel«, wehte mir Haakons helle Stimme entgegen. Er saß mit hängendem Kopf eingeschüchtert und beschämt vor mir. Er hatte keine Angst vor mir, sondern vor der Reaktion unseres Vaters. Flehendlich sahen seine eisblauen Augen zu mir auf und es tat mir im Herz weh, das er solche Furch hatte.

      Mit einem Schmollmund zog er das seidene Hemd tiefer, in dem armseligen Versuch, die Schmutzflecken an den Knien zu bedecken.

      »Zwecklos!« Ich hinderte ihn daran und legte meine Hand um sein Kinn um ihn dazu zu bringen, zu mir aufzusehen. »Wenn du kein Kleid aus deinem Hemd machen willst, wird das nichts nützen.«

      Melvin sah an sich hinab und erkannte, dass auch seine Knie schmutzig waren. Er sah sich besorgt nach Mutter um, ehe sein Kopf zu mir flog und seine kindlichen Augen ebenso flehend wie Haakons zu mir aufblickten. »Was sollen wir jetzt tun, Mel?«

      Ich seufzte, doch böse war ich ihnen nicht. In ihrem Alter habe ich mich viel schmutziger gemacht und seit Derrick da war, war ich nicht einmal mit unversehrter Kleidung zurückgekehrt. Vater hatte mich deshalb schlagen wollen, doch ich trat ihm trotzig entgegen und habe erklärt, dass ich lediglich mein Kampftraining absolviert habe. Er ließ daraufhin eine leichte Lederrüstung für mich anfertigen, die ich seit drei Monaten trug. Aber Haakon und Melvin waren noch zu jung für Rüstungen und Kampftraining. Sie konnten nicht einmal mit zwei Händen ein Holzschwert festhalten.

      »Wir gehen zum Fluss«, erklärte ich ihnen und erhob mich.

      Melvin blinzelte mich nervös an. »Aber wir dürfen nicht ohne Eskorte zum Fluss!«

      »Derrick wird uns begleiten.« Kaum hatte ich es ausgesprochen, erhob sich Derrick bereitwillig.

      »Und Irmi und Ann?«

      »Wir nehmen sie mit.«

      Aber Melvin schüttelte hastig den Kopf. »Wenn Vater uns erwischt ...«

      »Er wird nicht kommen«, warf ich ein. In den Jahren seit meiner Geburt habe ich ihn noch nie im Garten gesehen, schon gar nicht, wenn Mutter und ich hier waren.

      Melvin knetete seine Finger und starrte zu Boden. Er knetete immer seine Finger, wenn er nervös war, es war so seine Eigenart, die ich nie wieder bei irgendwem sonst gesehen habe.

      »Na kommt schon«, drängelte ich. »Bevor Mutter fertig ist und ihr mit dreckigen Hosen zurückmüsst.«

      »Vielleicht können wir uns umziehen, bevor Vater uns sieht, Mel?«, fragte Melvin.

      Ich warf ein: »Und wenn er am Tor wartet? Wenn er bei den Ställen ist?« In letzter Zeit war Vater oft außerhalb der Burg zu sehen, er rüstete seine Armeen für die Verteidigung gegen die Elkanasai und hatte dahingehend viel mit den Heerführern zu besprechen.

      Ich war erst neun Jahre alt und sein erstgeborener Sohn, aber er würde mich dennoch in die Schlacht schicken, das hatte ich erfahren, als Vater und Mutter lautstark deshalb gestritten hatten. Vater hatte sich natürlich durchgesetzt, es schien, als wollte er mich loswerden. Ich konnte jedenfalls nur hoffen, dass ich bis dorthin noch Zeit zum Üben hatte, denn gut war ich nicht wirklich mit Schwert und Schild, nicht einmal nur mit dem Schwert. Und bis zu diesem Zeitpunkt muss ich meinen Brüdern gezeigt haben, wie sie Streit mit Vater umgingen, sie mussten so klug sein wie ich, bevor ich ging und vielleicht nicht zurückkehrte. Denn sollte das der Fall sein, lag es an Melvin, Mutter zu beschützen.

      Sie war das kostbarste Juwel in dieser düsteren Burg. Von mir aus konnten Feinde unsere Schatzkammern plündern, aber Mutter bekamen sie nicht!

      Derrick räusperte sich und lehnte sich ein Stück zu mir: »Bedenkt die Strafe für Eure Brüder, sollte Euer Vater am Fluss sein oder zufällig doch in den Garten kommen.«

      Ich presste die Lippen zusammen, während ich nachdachte.

      Schließlich seufzte ich erneut und streckte fordernd meine Hand aus. »Gebt mir eure Hosen, ich werde alleine zum Fluss gehen und die Flecken raus waschen.« Was tat man nicht alles für seine Brüder? Sagen wir mal so, es gab nichts, was ich nicht getan hätte.

      »Aber du kannst nicht alleine gehen!« Melvin hatte Angst um mich.

      »Vertrau mir, kleiner Bruder«, ich lächelte zu ihm hinab und zwinkerte. »Keine Sorge, ich und Derrick kommen unbeschadet zurück.«

      Melvin sah Derrick an und bat ihn: »Passt gut auf Mel auf, Sir Derrick.«

      Derrick schmunzelte, doch ehe er etwas sagen konnte, brummte ich: »Wenn, dann passe ich auf Derrick auf!«

      Ich brauchte doch keinen Wachhund!

      Sie gaben mir ihre Hosen. Zusammen mit Derrick verließ ich den Garten über die Mauer an einer Stelle hinter dichten Tannen. Derrick hatte mir den Ort gezeigt. Na ja, mehr oder weniger. Ich habe ihn einst beschattet, weil ich das Gefühl hatte, das er etwas verheimlicht. So verfolgte ich ihn in einer Nacht von seinem Zimmer aus in den Garten, über die Mauer, durch den Wald und durch die Felder bis hin zu einem Dorf und in ein Bordell. Sein Gesicht, als er mich dort erblickte, war unbezahlbar. Mein Gesicht, als ich von Dirnen schamlos angemacht wurde, obwohl ich nur ein Kind war und nur, weil ich feine Kleidung am Leib trug, wollte ich gar nicht sehen; Derrick lacht heute noch darüber.

      Er sagte: »Ein Kind weiß nichts mit weiblichen Kurven anzufangen.« Und verscheuchte die Dirnen, ehe er mich zurück zur Burg brachte, ohne jemanden etwas von diesem Vorfall zu erzählen. Sein Schweigen darüber hatte mich vor Schlägen meines Vaters bewahrt.

      Je näher Derrick und ich nun dem Waldfluss kamen,