Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen. Billy Remie

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Название Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия Legenden aus Nohva 3
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742790316



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      Ich ging hinunter zum Flussbett, Derrick wartete oben am Rande der Waldstraße, die Hand lag abgestützt auf dem Schwertknauf an seiner Hüfte. Allseits bereit, unser Derrick. Er würde nie zulassen, dass mich jemand von hinten angriff. Ich vertraute ihm blind. Wenn man einem Mann das Leben rettete, konnte man sich beinahe voll und ganz auf seine Treue verlassen. Ich konnte nicht sagen warum, bis dorthin wurde mir von niemand das Leben gerettet.

      Ich streckte eine Hand in das eiskalte Flusswasser, der Schmerz störte mich nicht, ich hatte mich bereits an die Temperaturen gewöhnt und besaß die angeborene dicke Haut eines Eingeborenen. Barbaren froren nicht.

      Nachdem ich einen sauberen Stein herausgefischt hatte, tunkte ich die Kniepartie von Haakons Hose in das Wasser und versuchte mit dem Stein, den Dreck abzuwaschen.

      Gut, eine Waschfrau würde ich nicht werden, aber das wollte ich zum Glück auch nicht, nach einiger Zeit war der Fleck aber kaum noch zu sehen. Allerdings waren die dreckigen Stellen nun nass. Ich hoffte, sie würden trocken, bevor wir den Garten verließen.

      Als ich oben bei Derrick ankam, schüttelte dieser belustigt seinen Kopf. »Ihr habt wahrlich für nichts ein Talent.« Er schnallste mit der Zunge und nickte spöttisch auf die Hosen, die ich über meinen Arm gelegt hatte. »Nicht einmal waschen kann er ...«

      Ich schnaubte abfällig und ging an ihm vorbei. »Ich bezweifle, dass du es kannst.«

      »Aber ich kann kämpfen ... und reiten.«

      Ich hätte darauf gerne etwas Passendes erwidert, doch was sollte ich gegen die Wahrheit hervorbringen? Weder war ich ein guter Reiter noch ein talentierter Schwertkämpfer. Also trottete ich durch den Wald zurück zum Garten.

      Derrick folgte. »Ich sag’s Euch, Euer Gnaden, der Trickreichtum und die List sind Eure Talente.« Damit wollte er mich wohl beschwichtigen. Derrick wusste, wenn ich nichts mehr erwiderte, war ich meistens verärgert. Aber nicht an diesem Morgen, ich hatte ein ungutes Gefühl seit ich diese Wache gesehen hatte und wollte nur schnell zurück.

      »He! Wartet mal!« Derrick keuchte hinter mir vor Anstrengung. Das war wohl so, wenn man ein gewisses Alter erreichte. Er war zehn Jahre älter als ich, ich hätte ihn nie als alt bezeichnet, aber wenn es um schnelles Laufen oder lange Strecken zu Fuß ging, hing ich ihn jedes Mal ab, und er geriet ins Schwitzen, wie die zahlreichen Mätressen meines Vaters, wenn Mutter den Raum betrat.

      »Warum so eilig, Kleiner?«, keuchte Derrick hinter mir.

      »Ich habe kein gutes Gefühl, Derrick.«

      Sofort wurde Derrick hellhörig. »Wie meinen?«

      Das letzte Mal als ich ein schlechtes Gefühl äußerte, wurden Derrick und ich im Wald beim jagen von Banditen überrascht. Es war das erste Mal, das ich einen echten Kampf miterlebt hatte, zum Glück war ich im Besitz der Armbrust und hatte die Möglichkeit, Derrick zu unterstützen. Aber jetzt besaß ich keine Armbrust, nicht einmal einen Bogen – mit dem ich hätte noch weniger umgehen können – oder einen Schild. Die einzige Waffe war das Schwert meiner Familie, das mir Vater bei meiner Geburt vermacht hatte. Ich trug das silberne Schwert mit mir, seit ich groß genug war es umzuschnallen. Doch es war schwer und meine Arme zu ungeübt für die breite Klinge, ich würde es nicht halten können.

      Wir hatten die Waldstraße verlassen und folgten einem kleinen Pfad durch das Unterholz, die Mauer war schon in Sicht, als ich urplötzlich stehen blieb.

      Derrick schloss zu mir auf. »Was ist los?«

      Ich hatte den Sog unter meinen Füßen schon gespürt, ich stand im tiefen Match. Der Geruch machte mir sorgen. Ich blickte nach unten und erkannte, dass wir in Blut standen.

      Ich hob den Kopf und plötzlich war ich allein.

      Es kam mir vor wie eine Vision. Die Atmosphäre um mich herum war drückend, der Wald leuchtete nicht mehr, rosaroter Nebel schmiegte sich um die Baumstämme, die Tannen waren nicht mehr grün, sondern rot. Alles war Rot, wie durchwässertes Blut.

      Ich taumelte zurück, drehte mich um mich selbst. Ich hörte Derricks Stimme durch den Nebel, konnte ihn aber nicht sehen. Alles war verschwommen, wie in einem Traum.

      Träumte ich?

      Und dann kamen sie. Hände, tote Hände. Ich sah ihre Körper nicht durch den Nebel, nur die Hände und Arme. Halb verwest oder blutbeschmiert. Kleine Hände, Kinderhände, Babyhände. Die Hände einer Frau.

      Ich stolperte rückwärts, fiel beinahe über eine Baumwurzel, die aus dem matschigen Boden ragte.

      Die Mauer war verschwunden, ich sah nur einen roten Wald und Hände im Nebel, die nach mir griffen. Ich hörte meinen Namen, hörte meine Mutter unter all dem Stimmengewirr. Sie rief mich nicht, sie schrie und weinte unter Qualen ... ich konnte sie nicht retten.

      Und dann war da das Weinen eines Babys. Eines Kleinkindes. Der Zornesschrei meines Bruders, das klagende Heulen meiner Schwestern und der helle Schrei aus Haakons Kehle, der mir in den Ohren klingelte. Er wurde lauter und lauter. Ich konnte die Tonlage nicht ertragen und klatschte meine Hände gegen meine Ohren, ich versuchte, mein Trommelfell mit den Handballen abzuschirmen, aber die Stimmen waren noch zu hören, denn sie waren in meinem Kopf.

      »Nein!«, brüllte ich voller Zorn. »Verschwindet! Haut ab!« Ich presste die Hände auf die Ohren und petzte die Augen zu, meine Knie gaben nach und ich ging in die Hocke, kauerte wie ein kleiner Junge im roten Wald.

      »Schnappt ihn!«, hörte ich die Rufe. »Er darf nicht entkommen! Holt ihn euch!« Gepanzerte Hände griffen durch den Nebel nach mir, versuchten, mich zu packen.

      Ich riss mich los, fiel aber vorne über und kroch wie ein Wurm durch blutigen Matsch. Es stank, es war kalt. Im Traum fühlt man nicht, roch man nichts, kam es mir in den Sinn. Aber es musste ein Traum sein! Es musste einer sein!

      Etwas packte mein Bein und versuchte mich zurück zu ziehen. »Lass mich los!« ich versuchte, zu treten, doch mein Tritt ging ins Leere. »Nein!« Ich wehrte mich, jedoch vergebens. Unaufhaltsam wurde ich durch den Matsch gezogen, immer schneller und schneller durch den blutigen Wald. Als ich zum Stillstand kam, drehte ich mich auf den Rücken und sah nur noch die silberne Klinge auf mich herab rasen ...

      ***

       »Träume sind die einzigen Orte, zu denen wir stets alleine reisen müssen.«

      Schweißgebadet erwachte ich und saß aufrecht auf meinem Nachtlager. Zwei Tage hatten wir zwischen uns und dem Dorf gelassen, das ich zuerst befreit und dann niedergebrannt hatte, um den Elkanasai die Schuld dafür zu geben. Die Dorfbewohner feierten den Namenlosen und seine Schattenwölfe, weil sie dank uns nun jetzt immerhin ein freies Leben hatten ... Nun ja, jedenfalls so lange, bis die Elkanasai einen anderen Trupp schickten und diesmal würden sie alle niedermetzeln, soviel stand fest. Zu helfen und ein Dorf zu befreien war nicht immer die gute Entscheidung. Hätte ich einfach nichts getan, würden einige Bewohner immerhin ihr Leben behalten, nun stand ihnen eine grauenhafte Strafe bevor, die Elkanasai sahen es nicht gerne, wenn man sich gegen sie stellte.

      »Geht es dir gut?«

      Derricks dunkle Stimme ließ mich den Kopf drehen. Er saß auf der anderen Seite des fast erloschenen Lagerfeuers und rieb sich die Hände in dessen Wärme. Es war dunkel und aus dem Wald konnten wir das Heulen echter Wölfe hören, die unweit von unserem Lager am Rande des Tannenwaldes umherstreiften.

      Ich lehnte mich nach vorne und rieb mir das Gesicht. »Schlecht geträumt«, murmelte ich in meine Hände. Dann stand ich auf, ohne Derrick anzusehen und stampfte barfuss und nur halb bekleidet über den kalten Boden zu einem der Karren, die wir für unsere Vorräte benötigten. Dort hing ein Wascheimer mit Wasser.

      Ich hatte keine Ahnung, wie viele meiner Brüder sich darin schon die Hände gewaschen hatten, oder Schlimmeres, und es war mir auch egal. Ungeachtet wie dreckig es wohl sein mochte, schöpfte ich mit meinen Händen etwas von dem Wasser und spritzte es mir ins Gesicht und auch in den Nacken, das half meistens, die Träume zu verscheuchen.

      Hinter mir im Wald hörte