Tödliches Monogramm. Elisa Scheer

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Название Tödliches Monogramm
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562591



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und ein bisschen Uni, vielleicht zur Bank und in der Uni nach Flo suchen, um ihm ein paar Tipps zu geben. Heute war Sandra schon wieder ziemlich munter gewesen, wenigstens gegen Ende unseres Gesprächs. Sie brauchte einfach viel Ablenkung, damit sie ihre schauerliche Mischpoke vergaß. Ihrer Schwester gelang es doch auch! Die heiratete sogar, ohne ihre Eltern einzuladen. Die ging sogar nach Frankreich, um Distanz zu schaffen!

      Nebenan war es immer noch verdächtig ruhig. Ich sollte die Gelegenheit nutzen, beschloss ich, und schlug die Übersetzung auf, die ich immer noch nicht fertig hatte.

       II

      Am nächsten Mittag gelang es mir tatsächlich, rein zufällig Flo in der Unibibliothek zu treffen, wo er mit einem Stapel Bücher und Zeitschriften kämpfte, die er für seinen Prof zurückbringen musste. Meine Frage, ob er Zeit für einen Kaffee habe, wurde sehr positiv beantwortet.

      „Staubige Arbeit“, seufzte er, als wir endlich im Coffee&More saßen und unsere Zigaretten brannten, „du hast mich regelrecht gerettet. Und nachher muss ich einen total verschimmelten Haufen Kopien sichten und beschriften und ordentlich abheften. Warum können die großen Tiere eigentlich keine Ordnung halten? Und sind zu blöde, ihren eigenen Rechner einzuschalten?“

      „Weil sie´s nicht müssen, dafür haben sie ja uns“, antwortete ich und unterhielt ihn mit den Schlampereien bei W&L. Die Manuskriptkiste und die Riesenplastiktüte eines namhaften Herrenausstatters (ebenfalls randvoll mit zumeist ablehnungswürdigen Konvoluten) freuten ihn am meisten.

      „Du hast da viel Spaß, was?“, stellte er schließlich fest. Nach meinen sprudelnden Berichten auch kein Wunder.

      „Ja, kann man sagen. Tut mir Leid, dass du so was noch nicht gefunden hast.“

      Er seufzte. „Ach, ein Wirtschaftsfachverlag ist auch nicht das, was ich anstrebe, ich möchte eigentlich bloß eine Assistentenstelle statt dieses Hiwijobs. Einführungen in die Volkswirtschaft könnte ich schließlich auch schon geben, es ist ja nicht so, dass ich kein Examen hätte. Und gut bin ich auch. Aber Chance kriege ich keine, und in der Wirtschaft – naja.“

      „Und was ist mit Nachhilfe?“, fragte ich.

      „Nachhilfe?“ Er sah mich verständnislos an.

      „Na, so was wie ein Tutorium. Gegen Cash natürlich. Gibt´s hier keine ratlosen oder auch einfach behämmerten Erst- und Zweitsemester?“

      „Massen! Hm... darüber sollte ich mal nachdenken, da hast du Recht. Dann wäre wenigstens jobmäßig alles okay...“

      „Wieso, was ist denn noch nicht okay?“, tat ich harmlos.

      „Ach... Sandra. Sie ist zur Zeit so komisch“, antwortete er und schwieg bedrückt. Ich betrachtete ihn. Hübsches Kerlchen, wirklich. Es wäre Sandra zu gönnen, mit ihm etwas mehr als nur eine kleine Bettaffäre zu haben.

      „Ich glaube, sie mag nicht mehr, sie ist so niedergeschlagen. Und wenn ich sie frage, was sie hat, dann sagt sie bloß Ach, nichts und tut dann ganz fröhlich. Richtig aufgesetzt. Hat sie einen anderen? Ich sollte dich das nicht fragen, ich weiß, aber ich bin so ratlos.“

      „Nein, hat sie nicht“, beruhigte ich ihn. Und dann sprang ich ins kalte Wasser. „Sie hat Familienprobleme, immer schon. Und die bedrücken sie so.“

      „Warum erzählt sie mir nichts davon? Wir sind doch zusammen, wir sollten so was doch teilen! Und wenn ich nichts weiß, kann ich doch auch nicht für sie dasein!“

      „Möchtest du das denn?“, tastete ich mich vor.

      Er starrte mich an. „Was glaubst du denn? Dass ich bloß Spiel und Spaß will?“ Ich zuckte die Achseln. „Vielleicht glaubt Sandra das und will dich nicht belasten, damit du dich nicht belastet fühlst?“

      „Das kann sie nicht glauben! Himmel, ich liebe sie doch, das muss sie doch wissen!“

      „Hast du ihr das auch gesagt? Frauen wollen so was deutlich hören, sonst trauen sie sich nicht, es zu glauben.“

      „Gesagt... ja, im – also – im Bett schon, denke ich.“

      „Das nimmt man aber doch nicht so ernst! Da sagt man schnell mal was, und ich könnte mir denken, dass Sandra es wirklich braucht, dass du ihr auch so mal sagst, wie sehr du sie liebst. Gerade, weil sie das von ihrer Familie nie kriegt.“

      „Was ist das für eine bescheuerte Familie?“, regte Flo sich auf.

      „Ganz meine Meinung.“ Ich erzählte ihm kurz von Adrians Tod, wie ich es von Sandra wusste – damals hatten wir uns ja noch nicht gekannt – und von der Verlorenheit ihrer Eltern, und als ich fertig war, stand Flo tatsächlich das Wasser in den Augen. „Mein armes Mädchen! Das ist doch wirklich unglaublich, was wollen die denn noch? Sie ist so ein Traum, und dann ignorieren sie sie, weil sie einem toten Teenager nachtrauern, von dem sie nicht wissen, wie er heute wohl drauf wäre? Vielleicht käme der nie vorbei oder hätte was auf dem Kerbholz, und sie machen einen Heiligen daraus?“

      „So ungefähr. Wie sind deine Eltern denn so?“

      „Voll okay. Ich hab noch zwei jüngere Schwestern und einen ziemlich kleinen Bruder, der ist erst zehn. Der ist arm dran, weil wir alle an ihm herumerziehen.“ Er grinste kurz und ich konnte verstehen, was Sandra an ihm fand. Niedlich, ehrlich! „Meine Eltern hatten sich zum zwanzigsten Hochzeitstag eine Mittelmeerkreuzfahrt gegönnt, und der Maxi ist das Souvenir. Das war ihnen fast ein bisschen peinlich, so vor uns.“

      „Und wie alt sind deine Schwestern?“

      „Siebenundzwanzig und fünfundzwanzig. Die jüngere, Sabine, wohnt noch bei meinen Eltern, weil sie eine kleine Tochter hat und das Studium sonst nicht geregelt kriegt. Andrea lebt im Moment in Paris, aber sie kommt schon ab und zu vorbei.“

      „Ich glaube, das könnte Sandra gefallen“, sagte ich langsam, „aber geh vorsichtig vor. In puncto Familie ist sie wirklich etwas geschädigt.“

      Er nickte. „Ich werde mir Mühe geben. Mensch, Isi, gut, dass wir uns so zufällig getroffen haben! Ich dachte ehrlich, Sandra will Schluss machen – und dabei kann alles wieder gut werden!“

      Sogar besser als vorher , dachte ich, und gut, dass du an einen Zufall glaubst!

      Sehr zufrieden mit mir – vielleicht sollte ich eine Partnerschaftsvermittlung aufmachen oder Rat und Tat in allen Lebenslagen anbieten? – kam ich nach Hause. Fleißig gearbeitet, Sandras Glück gesichert (na, mal abwarten!), bei der Bank einiges geregelt, preiswert eingekauft, zwei Blazer von der Reinigung geholt... ich war ja so brav!

      Das Glücksgefühl, das mich immer befiel, wenn ich alles geregelt hatte, war wirklich mit nichts zu vergleichen. Eigentlich viel schöner als Verliebtsein oder so was. Vor allem, weil man ja mit einem Macker nicht mehr so leicht alles geregelt kriegte, so ein Kerl brachte doch alles wieder durcheinander.

      Wohltuende Stille umfing mich: kein Gequäke von rechts, kein Bassgewummer von links. Fast wie bei reichen Leuten! Ich verräumte meine Einkäufe, hängte die Blazer in den Schrank, pusselte einige Stäubchen weg und sah mich befriedigt um, bevor ich mir ein Käsebrot machte und mich an die Diss setzte. Die zwei Bücher, die ich zwischen Weinzierl und Flo aus der Bibliothek geholt hatte, erwiesen sich zwar als reichlich unergiebig, aber dafür kam mir eine andere geniale Idee, die ich sogar anhand der Quellen belegen konnte. Vergnügt tippte ich vor mich hin, las mir dann die drei neuen Seiten durch, besserte einiges aus, schlug die passenden Fußnoten nach und speicherte das Meisterwerk. Schon hundertfünfundsechzig Seiten, und gar nicht mal schlechte! Und Abgabetermin war erst am ersten Oktober! Und ich war schon bei der dritten Generation angekommen und damit praktisch fertig, schließlich ging es ja um die Greiffsche Verlagsbuchhandlung im achtzehnten Jahrhundert. Wilhelm Kasimir Greiff aber, der, der fast so viel Ärger mit Napoleon hatte wie der legendäre Palm in München (allerdings kostete es ihn nicht den Kopf), war erst 1854 gestorben. Nach 1814 war endgültig Schluss, legte ich fest. Die napoleonische Ära wollte ich nicht zerteilen, aber alles andere war wirklich neunzehntes Jahrhundert.