Fehlstart. Elisa Scheer

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Название Fehlstart
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737560665



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Was sind das denn für Räubermethoden?“

      Sie guckte so verblüfft, dass ich mich tatsächlich bemüßigt fühlte, Suhrbier zu verteidigen: „Ich hab doch bei dem Kunden zwei Geräte umgeschmissen. Bloß will ich nicht, dass MediAdvert abkassiert und die Hamm KG noch mal, ich hab ja nicht mal eine Quittung.“

      „Sie sollten sich einen Anwalt nehmen, der sich im Arbeitsrecht auskennt“, empfahl sie und starrte auf ihren Bildschirm.

      „Dafür hab ich kein Geld“, murrte ich. „Ja, also auch wenn Sie eine schriftliche Kündigung hätten – hier gibt es leider nichts Passendes...“

      „Mir ist es ziemlich egal, was ich mache – irgendeinen Bürojob...“

      „Aber dafür sind Sie doch überqualifiziert!“ Sie sah mich rundäugig an.

      „Deshalb hab ich trotzdem Hunger“, entgegnete ich patzig und hoffte, dass sie nicht wie der Idiot von gestern fand, ein paar Tage hungern würden mir gar nichts schaden. „Trotzdem... es ist nichts da, von keiner Agentur, Sie kennen doch die Wirtschaftslage...“

      Ich stand auf. „Gut, dann such ich mir selber was. Geht sicher eh schneller. Löschen Sie meine Daten ruhig, ich will Ihnen ja nicht die Statistik versauen. Schönen Tag noch!“ Damit ging ich und knallte von draußen die Tür zu. Wenigstens etwas!

      So eine doofe Kuh, wütete ich draußen, hatte die überhaupt nicht kapiert, dass ich irgendeinen Job brauchte, egal, was für einen? Vor der Tür zog ich mein Handy heraus – wenigstens war es jetzt wieder aufgeladen. In der Personalabteilung von MediAdvert ging wieder diese schnippische Ziege von gestern dran.

      „Schriftliche Kündigung? Wieso das denn?“

      „Fürs Arbeitsamt, Mensch!“, schnappte ich.

      „Na, von mir kriegen Sie die nicht, da müssen Sie schon Ihren Abteilungschef fragen. Rufen Sie den doch an.“

      Damit legte sie auf, ohne weiter zu verbinden. Schnepfe.

      Also rief ich Suhrbiers Nummer an. Der brüllte sofort los: „Was fällt Ihnen ein, hier noch mal anzurufen? Und wo bleiben die restlichen dreitausend Euro?“

      „Zweitausend“, verbesserte ich zornig. „Und bevor ich nicht eine schriftliche Kündigung und eine Quittung über mein komplettes Gehalt habe, zahle ich gar nichts.“

      „Das wird Ihnen noch Leid tun! Sie zahlen sofort, in bar!“

      „Höchstens auf ein Firmenkonto“, entgegnete ich. „und bar geht doch gar nicht - haben Sie vergessen, dass ich mich dem Firmengelände nicht mehr nähern darf? Ich denke, wir sollten das Problem der Geschäftsleitung vortragen“, fügte ich hinzu, weil mich der Verdacht beschlich, dass Suhrbier ein bisschen auf eigene Rechnung arbeitete. „Unterstehen Sie sich! Dann sorge ich dafür, dass Sie nie wieder in der Werbung arbeiten können!“

      „Ich scheiß auf die Werbung, alles Betrüger, das sieht man ja an Ihnen“, brüllte ich in mein Handy. „Das ist Verleumdung!“, zeterte er.

      „Nein, nur eine absolut zutreffende Beleidigung“, stellte ich richtig, durch meinen Ausbruch etwas besänftigt, „aber Sie können mich gerne verklagen. Dann packe ich mal so richtig aus. Also, was ist jetzt mit einer formellen Kündigung und einem annehmbaren Zeugnis?“

      „Nichts!“, brüllte er und legte auf. Klasse. Ich hatte mich zwar so richtig ausgelebt, aber überhaupt nichts erreicht! Was jetzt? Jetzt musste ich mir wirklich selbst irgendeinen Blödeljob suchen, weil ich sowohl im Arbeitsamt als auch bei Suhrbier verschissen hatte. Sollte ich doch den hinterfotzigen Brief an die Geschäftsleitung schreiben? Das konnte ich immer noch, wenn ich ein paar Tage gewartet hatte, klang das Jammern sicher noch überzeugender.

      Und jetzt?

      Drogeriemarkt, Deo kaufen. Die hatten da ganz raffinierte Badesalze... sollte ich? Erdbeer-Vanille? In heißem, duftenden, rosa Wasser liegen, Musik hören, die Unordnung ignorieren... Und dieser violett schillernde Nagellack – wenigstens für die Fußnägel? Der sah bestimmt scharf aus... Ich schob schließlich einen ziemlich vollen Wagen zur Kasse und wurde mehr als dreißig Euro los, was mich draußen fürchterlich ärgerte: Ein Deo hatte ich kaufen wollen – dreißig Euro?? So dicke hatte ich es auch nicht. Und in Toms Gegend musste ich mich jetzt auch nicht herumtreiben, erstens war ich scheußlich angezogen und zweitens musste er arbeiten – ihn hatten sie ja nicht gefeuert.

      Wahrscheinlich saß er mit der süßen Carla beim Mittagessen und sah ihr tief in die Kulleraugen, dieser Idiot. Wann würde er erkennen, dass ich viel besser zu ihm passte? Bei meinem Glück nie, da musste ich nachhelfen.

      Ich schlenderte ein bisschen durch die Straßen und hoffte, dass mir ein Traumjob über den Weg lief, aber stattdessen begegnete ich Gudrun, die mich etwas befremdet musterte. „Was machst du denn um diese Zeit hier?“

      „Und du?“, konterte ich sofort.

      „Ich hab Mittagspause, unsere Dienststelle ist doch gleich drüben in der Marktgasse.“ Gudrun arbeitete in der Stadtverwaltung. Ein Job fürs Leben, die feuerte keiner, die Glückliche. „Und du? Deine Agentur ist doch ewig weit von hier weg – hast du dir frei genommen?“

      „Sozusagen, ich bin gefeuert worden“, brummte ich.

      „Ehrlich? O Gott, in diesen Zeiten – wie ist denn das passiert?“

      Jetzt musste ich das alles noch mal erzählen, samt allen krummen Touren von Suhrbier. Allmählich ließ die Empörung nach und ich begann, die Details etwas herunterzuleiern. Gudrun entrüstete sich sehr erfreulich über Suhrbier, den sie schon nach meinen früheren Erzählungen als Schwein eingeordnet hatte, und versprach, das Ganze einem befreundeten Anwalt vorzutragen.

      „Dafür hab ich kein Geld“, wehrte ich ab, „erstmal brauch ich einen Job, irgendwas.“

      „Bei uns gibt´s grade gar nichts, leider. Ich hör mich mal um, ja? Aber bist du sicher, dass die dir überhaupt ganz richtig gekündigt haben? Vielleicht ist das gar nicht verbindlich, was dieses Schwein so von sich gibt, vielleicht denken die jetzt, du kommst einfach nicht zur Arbeit?“

      „Ich hab ihn doch vorhin angerufen, weil ich die Kündigung schriftlich brauche – der ist noch genau so wütend wie gestern. Ach, ist doch wurscht, Gudrun, ich find schon wieder was. Und wie geht´s dir?“

      „Das ist doch jetzt egal! Wir müssen dich wieder auf die Beine bringen!“

      „Danke, aber das mach ich schon selber. Sei nicht so betulich, Gudrun. Ich weiß, du meinst es gut, aber -“

      „Schon klar“, antwortete sie, leicht beleidigt. Gudrun begluckte jeden, der sich nicht energisch genug wehrte. Eigentlich musste sie solche Zurückweisungen nachgerade gewohnt sein, aber sie fand immer noch die Welt generell etwas undankbar. „Aber du rührst dich, wenn ich dir helfen kann, ja?“ Unverdrossen, die Gute!

      „Mach ich“, log ich ergeben. „Du, ich muss weiter, ich hab zu Hause noch eine Menge zu tun. Und ich werde schon was finden, sei unbesorgt.“

      „Wirklich?“

      „Ja, wirklich.“ Ich hoffte, dass ich optimistischer klang, als ich mich fühlte.

      „Na, dann – ich muss auch zurück in die Tretmühle – ein Antrag am anderen... Fast könnte ich dich beneiden.“

      „Fast.“ Ich lächelte etwas schief. „Frohes Schaffen – und ich ruf dich an, bestimmt.“ Im Sommer vielleicht. Oder wenn ich die Sache richtig in Ordnung gebracht hatte. Alle meine Vorsätze eingehalten und so... Dann war ich für Gudrun, die perfekte Gudrun, wenigstens nicht mehr ein Wohltätigkeitsobjekt.

      Verdammt, jetzt konnte ich mir so richtig vorstellen, wie meine Eltern reagieren würden – genauso betulich (die kleine Heike, zu blöd, um selbst durchs Leben zu kommen – sie ist schon eine schwere Last für ihre armen, alten Eltern) und außerdem vorwurfsvoll, eben weil ich zu blöd war, um selbst zurechtzukommen. In deren Augen war doch wieder alles alleine meine Schuld.

      Am