Название | Fehlstart |
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Автор произведения | Elisa Scheer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783737560665 |
Neben der Rathausbuchhandlung (da hätte ich ganz gerne gearbeitet) gab einen Schreibwarenladen, der tatsächlich eine Hilfskraft suchte. Der Geschäftsführer musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen: „Nur vorübergehend? Tja, wir suchen allerdings jemanden für länger... Sie sprechen deutsch?“
„Ich spreche Deutsch, ich habe Abitur, einen Führerschein, kann mit einem PC umgehen und scheue keine Arbeit.“
„So kess müssen Sie aber nicht sein. Wissen Sie, wir haben sehr distinguierte Kunden, wir sind schließlich das erste Haus am Platz für hochwertige Schreibwaren – ich glaube nicht, dass Sie da den rechten Tonfall treffen – und das erforderliche Auftreten haben. Es tut mir Leid, aber ich fürchte...“
Zwingen konnte ich ihn ja schlecht, und mein Bedarf an zugeknallten Türen war für heute eigentlich gedeckt, also ging ich für meine Verhältnisse leise und bescheiden wieder.
Shoe´s suchte niemanden.
Hermer& Reuchlin hatten gerade Personal abgebaut und ihr Sortiment verkleinert: Computerbücher gingen im Moment nicht so furchtbar gut.
Flippy Fashion interessierte sich nur für blonde Verkäuferinnen unter zwanzig und unter Größe sechsunddreißig; gepiercter Nabel war Pflicht.
Der Copyshop war ein Einmannbetrieb, und das Semester war so gut wie vorbei – einer langweilte sich da schon genug.
Obst verkaufen wollte ich auch nicht, da würden mich bloß noch meine Eltern sehen.
Der Schnickschnackladen, in dem es mir vielleicht ganz gut gefallen hätte, lag offensichtlich im Sterben – alles voller Plakate: Räumungsverkauf – alles muss raus!
Ich strich ein bisschen durchs Kaufhaus, bezähmte mich mühsam bei den Parfums und den Taschen und fuhr schließlich ins Tiefgeschoss, wegen der Cheese&Onion-Chips.
7: Mittwoch, 12. Februar 2003
Gefräßigkeit wurde vom Schicksal eben doch belohnt!
Am Eingang zur Lebensmittelabteilung hing ein Schild – sie suchten einen Metzger (tja, leider...), eine Kassenkraft und jemanden, der Regale auffüllte. Das hatte ich doch vorhin schon in der Zeitung gelesen? Ich ging fragen.
Eine ältere Frau, in makellosem weißem Kittel mit dem Kaufhaus-Logo auf der Brust, nahm meine Daten auf und fand, ich könnte morgen anfangen. Um sieben, schließlich musste ja um acht alles für die Kunden bereit sein. Von sieben bis halb vier, eine halbe Stunde Mittagspause, auffüllen, auszeichnen, aufräumen. „Trauen Sie sich das zu?“ Strenger Blick.
Ich nickte brav. „Das schaffe ich schon.“
„Na gut, ich versuch´s mit Ihnen. Eine Lohnsteuerkarte bringen Sie morgen mit, wir beschäftigen keine Schwarzarbeiter.“
Mist, die brauchte ich auch noch, aber heute musste das Rathaus ja nachmittags geöffnet haben. Netto vier Euro, hatte meine neue Chefin, Frau Zenker, gemeint. Acht Stunden, das waren zweiunddreißig Euro am Tag, und vielleicht fand sich ja, sobald ich offiziell gekündigt war, eines Tages auch etwas Anspruchsvolleres. Ich holte mir eine Zweitschrift der Lohnsteuerkarte und fuhr nach Hause, wo ich zwei Reisetaschen mit ungefähr einem Drittel der herumliegenden Wäsche vollstopfte und beschloss, etwas später in den Waschsalon zu gehen – ich war schon wieder so müde. Aber einen giftigen Brief an die Geschäftsleitung von MediAdvert konnte ich doch noch entwerfen!
Nach einigen Versuchen gelang mir eine recht befriedigende Mischung aus Schicksalsergebenheit, Ironie und Unverschämtheit. Vielleicht feuerten sie Suhrbier für seine Eigenmächtigkeit auch noch? Das wäre natürlich ganz toll... ich warf mich aufs Bett und malte mir aus, wie Suhrbier sich im Arbeitsamt neben mich setzte – aber während sie für mich den Traumjob hatten, musste er sich anhören, er sei unvermittelbar und bekäme aus diesem oder jenem Grund auch keine Stütze. Sehr nett! Na gut, als Leichenwäscher in der Anatomie konnten sie ihn vermitteln, das gönnte ich ihm gerade noch.
Also stand ich doch wieder auf, druckte den Brief aus, kuvertierte ihn und klebte eine Briefmarke auf – die vorletzte. Und jetzt sollte ich wohl doch mal waschen gehen, sonst musste ich morgen mangels Klamotten im Bett bleiben und war den Job auch gleich wieder los.
Ich suchte gerade nach einzelnen Euromünzen für den Kassierautomaten und einem einigermaßen spannenden Buch, um die zwei Stunden zu überbrücken, als es klingelte. Unlustig ging ich zur Tür – das war jetzt entweder jemand, vor dem ich mich wegen des Saustalls genieren musste, oder jemand, den ich absolut nicht sehen wollte. Durch den Spion erkannte ich nur grüne und beige Kleidung, also legte ich die Kette vor und öffnete.
„Polizei.“ Zwei Hanseln, beide etwa zwanzig.
„Können Sie sich ausweisen?“, fragte ich, ganz die mündige Bürgerin, und studierte die Ausweise. Eine Fälschung hätte ich ohnehin nicht erkannt, also nickte ich und löste die Kette. „Wenn es wieder wegen der Gestalten hier in der Gegend ist, ich weiß nichts, mir hat hier noch keiner was getan“, erläuterte ich über die Schulter und ging den beiden voraus. Sie setzten sich etwas zimperlich, einer in den Sessel, als dem ich hastig drei weitere Sweatshirts fegte, einer auf das ungemachte Bett. Ich schämte mich heftig und bot zum Ausgleich Kaffee an. Der Dunkelhaarige warf einen nachdenklichen Blick auf meine Küchenzeile, die ich zwar vom Abwasch befreit, aber ansonsten nicht weiter geputzt hatte, und lehnte dann ab; sein blonder, etwas kräftiger gebauter Kollege sagte gar nichts – aber er sah sich viel sagend um.
Mist – da fasste man gute Vorsätze und wurde prompt noch erwischt, bevor man irgendetwas davon in die Tat umsetzen konnte! Die hielten mich jetzt bestimmt für eine von den hier üblichen Sozialhilfeempfängerinnen – drei ledige Kinder in Pflege, ein Alkoholproblem, ein gewalttätiger Freund, geringe Alltagstauglichkeit, langsames Denken...
„Tut mir Leid, dass es hier so aussieht“, stotterte ich also, „ich wollte gerade waschen gehen. Heute Morgen hab ich mir erst mal einen neuen Job gesucht, deshalb bin ich hier noch nicht allzu weit gekommen...“
Sie nickten nachsichtig. „Sie sind Frau Unger.“
Eine Feststellung, keine Frage. Das hätten die beiden doch eigentlich an der Tür fragen müssen? Recht geschehen würde es ihnen, wenn ich jetzt sagte, ich sei bloß die Putzfrau. Nein, wie es hier aussah, warf ja kein besonderes Licht auf meine beruflichen Fähigkeiten!
„Ja. Wollen Sie meinen Ausweis sehen?“
Wo hatte ich den bloß? Hoffentlich in der Handtasche. „Nein, nein. Später.“
„Und, worum geht es denn nun?“
Sicher wollten sie wissen, ob ich den jüngsten Autodiebstahl/Automaten-Aufbruch/Fall von Vandalismus beobachtet hatte, aber da konnte ich ihnen nicht helfen. Wer hier wohnte, sah so etwas besser nicht.
„Wo waren Sie gestern?“
„Den ganzen Tag?“, fragte ich verblüfft zurück. „Sind Sie sicher, dass Sie nicht doch einen Kaffee möchten? Das kann etwas dauern.“ Synchrones Kopfschütteln. „Also, morgens war ich in der Hamm KG, zu einer Präsentation, die aber nicht geklappt hat. Danach war ich bei MediAdvert, um meinen Misserfolg zu beichten, würde gekündigt, diente den Tag noch im Archiv ab – das ist dort die übliche Strafe – fuhr heim, stellte fest, dass ich meinen Schlüssel verloren hatte, erinnerte mich, dass das wohl bei Hamm gewesen war, fuhr dort wieder hin, holte den Schlüssel, blieb auf dem Rückweg im Lift hängen, saß dort bis fast Mitternacht fest und fuhr dann wieder nach Hause. Scheißtag. Warum wollen Sie das wissen?“
„Dann können Sie Herrn Hamm also ein Alibi geben?“
Ich schüttelte den Kopf. „Den kenne ich doch gar nicht!“
„Und eine Frau Schwarzmeier?“
„Nie gehört. Ich kenne bei Hamm bloß die Leute, die die Präsentation angeschaut haben, aber deren Namen