Ein gestörtes Verhältnis. Elisa Scheer

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Название Ein gestörtes Verhältnis
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737547741



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den Briefkasten und das hier ist die Fernbedienung für die Tiefgarage.“

      „Tiefgarage auch noch? Sehr gut. Eigentlich ist heute schon der fünfte, aber ich ziehe von der Miete nichts ab.“

      Der Vermieter nickte, und Vincent konnte doch nicht widerstehen: „Wollte sich sonst niemand die Wohnung ansehen?“

      „Doch, einige Interessenten hatte ich schon noch.“

      „Und? Warum hat sie keiner genommen?“

      „Das weiß ich auch nicht. Einem war sie zu teuer, einem anderen zu klein, und die dritte hat nichts gesagt. Ich kann sie nicht billiger machen, ich muss sie ja noch abzahlen.“

      Vincent zuckte die Achseln. „Mir ist sie schon recht, ich brauche nicht viel Platz. Und die Ausstattung ist recht ordentlich.“ Er faltete sein Exemplar des Mietvertrages zusammen und verwahrte es zusammen mit den Schlüsseln in der Hosentasche, was dem Vermieter eine Grimasse entlockte.

      „Dann werde ich mal meine Sachen holen…“

      „Ja, tun Sie das. Und ich hoffe auf ein gutes Einvernehmen!“ Der Vermieter warf noch ein Blick auf die Hosentasche, in der der Mietvertrag verknitterte, und fügte hinzu: „Die anderen Mieter sind sehr angenehm, was man so hört. Sehr ruhig und ordentlich.“

      „Freut mich zu hören“, heuchelte Vincent. Wahrscheinlich konnte man nie Musik hören – aber immerhin klauten sie bestimmt nicht seinen Champagner.

      Als er wieder im Auto saß, schüttelte er immer noch den Kopf über sich selbst: Warum handelte er immer so spontan? Jetzt hatte er eine Wohnung am Bein, die ihm pro Monat siebenhundert Euro plus Nebenkosten abverlangen würde! Und das nur, weil Nils seinen Schampus geklaut und dieses wabbelige Weibsstück in sein Bett gelegt hatte?

      Andererseits freute er sich direkt darauf, nach Hause zu kommen und weder Nils noch Leo sehen zu müssen – außer Party hatten die beiden offenbar gar nichts mehr im Sinn – saufen, poppen, pokern. Gut, wenn er da rauskam – aber Geld brauchte er jetzt. Ein regelmäßiges Einkommen.

      Dann würde er morgen doch mal zu Schottenbach schauen. Aber keinesfalls einen auf Beziehungen machen, das war mal klar! Mama würde trotzdem froh sein, dass der Bub endlich erkannt hatte, dass sie es eben doch noch am besten wusste - Mist!

      Vor zwei Stunden hätte er noch darauf gewettet, dass er nie, nie, nie verbürgerlichen würde – aber da hatte er nicht mit dieser unsäglichen Bella gerechnet.

      Er schnaubte. War er wirklich geflohen, weil die Frau in seinem Bett nicht sein Typ war? War das feige? Konfliktscheu?

      Albern? Oder angenehm unspießig-spontan? Das Letzte würden zumindest Leo und Nils bestreiten, die hielten ihn sowieso für einen Spießer. Na, egal, jetzt konnten sie ja einen flippigeren Mitbewohner einladen. Oder eine nimmersatte Mitbewohnerin, dann würden die zwei Nasen wahrscheinlich glauben, sie seien gestorben und in den Himmel gekommen: Luja, sog i!

      Er parkte hinter dem Haus und eilte die Treppen hinauf. In der neuen Wohnung gaben die Treppen keine Geräusche von sich, wieder ein Pluspunkt.

      Aus Nils´ Schlafzimmer hörte man das rhythmische Quietschen seiner Bettfedern. Na, wenn er auf die da stand… Er riss seine beiden riesigen Reisetaschen aus dem Schrank und stopfte sämtliche Klamotten in die eine – die Kleiderbügel obendrauf. Seine Bücher und Ordner (viele waren es ohnehin nicht) landeten in der anderen, dann schnappte er sich noch das Zeug, das er zum Duschen und Haarewaschen benutzte, seine lumpigen vier Handtücher und seine Zahnbürste, dachte sogar an die Reserveklopapierrolle, verstaute alles in der Klamottentasche und steckte Laptop und Tablet in den Laptopkoffer.

      Voll bepackt gelang es ihm, ungesehen wieder aus der Wohnung zu kommen und im Hof alles in seinen Wagen zu stopfen.

      Etwas Platz war noch, also eilte er noch einmal nach oben und schnappte sich sein Bettzeug. Wenn er das auf der Rückbank ausbreitete, musste doch auch noch sein hellgraues Prachtstück dort Platz haben?

      Na, knapp – aber er hatte ja keinen Beifahrer, der sich über die nach vorne geklappte Rücklehne beklagen konnte.

      Damit fehlte eigentlich nichts mehr. Er fuhr alles in die Floriansgasse und schleppte es hastig in die Wohnung, dann zog es ihn doch noch einmal zurück und er durchforstete seine alten Zimmer nach Vergessenem, fand aber nichts mehr. Besaß er so wenig oder hatten die anderen beiden ihn so arg beklaut?

      Aber vermissen tat er eigentlich auch nichts… Die Möbel konnten hier bleiben, die waren durch den Qualm (auch von Dope), die Parfums der dauernd wechselnden Miezen und die mangelnde Pflege (seine eigene Schuld) ohnehin nicht mehr schön. Also hatte er nicht einmal Kisten gebraucht!

      Er ließ alle Türen offen und klopfte bei Leo.

      Der kam in Unterhosen an die Tür und kratzte sich ungeniert zwischen den Beinen.

      „Klopf doch nicht so verklemmt. Was hast du denn jetzt schon wieder?“

      „Nichts mehr. Ich wollte nur sagen, ich bin dann mal weg. Ihr könnt das Zimmer weitervermieten. Bis Ende November ist die Miete bezahlt. Tschüss, viel Spaß noch.“

      Leo kratzte sich erneut. „Findest du das nicht übertrieben, bloß wegen der Flasche Schampus? Und willst du überhaupt hin? Heim zu Mama?“

      „Ganz bestimmt nicht. Ich habe schon etwas anderes gemietet. Sag Nils einen schönen Gruß, die Möbel kann er behalten. Zum Teil war der Schrott ja eh schon drin.“

      „He!“, rief Leo ihm nach, als er schon wieder zur Wohnungstür strebte, „und wenn wir so schnell keinen Nachmieter finden?“

      Vincent drehte sich um. „Benehmt euch halt so lange, bis der Neue den Mietvertrag unterschrieben hat. Und hör auf, dich am Sack zu kratzen. Dusch lieber öfter mal.“

      Guter Abgang, fand er selbst. Unten warf er seinen Hausschlüssel in den Briefkasten, nachdem er seine Post noch herausgefischt hatte. Werbung, Werbung, Kontoauszug.

      Okay, Nachsendeantrag. Dann auspacken und schauen, was völlig unverzichtbar war.

      5

      Judith hatte es am Morgen geschafft, ungesehen das Haus zu verlassen und erfreut festgestellt, dass keine Presse mehr vor der stand.

      Dann konnte sie heute vielleicht wirklich mal in Ruhe arbeiten?

      Etwa eine Stunde überprüfte sie wirklich ganz entspannt zwei Entwürfe für neue Software – Kalkulation und spezielle Projektdatenbanken. Das klang alles sehr interessant, und kleine Probefeatures waren auch beigefügt. Judith probierte sie aus und stellte fest, dass das kleine Kalkulationstool gut zu funktionieren schien und das andere leider noch eine Macke hatte, also informierte sie die beiden Entwickler entsprechend.

      Schön… aber sie konnten bestimmt noch mehr Entwickler brauchen, es gab so viele Gebiete, auf denen Software nützlich war – für die wachsende Smart Home-Branche, für Fahrzeugkonnektivität, für bürgernahe Online-Verwaltung, für online-Handel…

      „Guten Morgen“ hörte sie plötzlich von der Tür und fuhr heftig zusammen.

      „Judith, warum so nervös?“ Ihr Vater klang wirklich besorgt.

      „Ich war nur überrascht. Schau mal, ich hab hier zwei ziemlich gute Entwürfe, ich würde die gerne fertig umsetzen lassen.“

      Schottenbach schaute seiner Tochter kurz über die Schulter, dann klopfte er ihr sanft auf den Rücken. „Ich vertraue ganz deinem Urteil. Wie schätzt du die Kosten ein?“

      Sie diskutierten kurz darüber, bis Judith seufzte. „Wir haben zu wenige Entwickler, finde ich. Es gibt so viel Bedarf an guten Programmen, in allen möglichen Bereichen. Wir wären blöd, wenn wir da nicht intensiv einsteigen. Zwei neue Softwarespezialisten wären gut.“

      Ihr Vater nickte langsam. „Mach das. Leisten können wir es uns auf jeden Fall – aber einen wüsste