Ein gestörtes Verhältnis. Elisa Scheer

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Название Ein gestörtes Verhältnis
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737547741



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Glamour. Ein bisschen wenigstens. Irgendwas mit Glitzer.“

      „Okay, mal sehen, was ich auftreiben kann.“

      Jerry war eigentlich ganz nett, fand Judith nach diesem Gespräch. Auch wenn der Kontakt eher lose war, kein Wunder: Jerry und Jul waren rund zehn Jahre älter als sie selbst und stammten aus der ersten Ehe ihrer Mutter mit einem bekannten Regisseur. Über diese Zeit erzählte sie unter sehnsuchtsvollen Seufzern – dieser Anatol hatte ja immer so viel Verständnis für ihren sensiblen Charakter bewiesen – „ganz anders als dein Vater, Kind!“

      Judiths rüde Frage, warum zum Henker sie sich dann von Anatol hatte scheiden lassen, wurde im Allgemeinen nur mit einem waidwunden Blick quittiert.

      Jaja, Wolfgang Schottenbach war freilich ganz anders aufgestellt gewesen als Anatol Marow, der damals noch am Anfang seiner Karriere gestanden hatte. Das konnte die sensible Jessica Rother aber keinesfalls als Grund angeben.

      Nur einmal hatte Judith ihre Mutter – es musste Jahre her sein – so angetrunken erwischt, dass ihr Nachbohren mehr Erfolg gezeitigt hatte: Der große Star hatte genuschelt, diese verdammte Schlampe Carla sei an allem schuld gewesen.

      „Carla? Aber doch nicht Carla Greif?“ Die war wirklich ein Star, das wusste sogar Judith, die sich für die bunte Promi-Welt schon aus Prinzip nicht interessierte – oder das zumindest vorgab, wenn sie sicher sein konnte, dass es ihre Mutter ärgerte.

      Carla Greif hatte ihrer Mutter diesen Anatol ausgespannt? Kicher… Manchmal kam sich Judith selbst etwas herzlos vor, aber dann beruhigte sie sich damit, dass sie diesen Charakterzug ja wohl geerbt haben musste. Jessica Rother setzte ihre Kinder doch hauptsächlich dazu ein, die eigene Publicity zu fördern. Ansonsten gab es Personal.

      Carla Greif war immer schon der Liebling der Boulevardpresse, denn sie war nicht nur eine wirklich gute Schauspielerin (auch am Theater, was ja bekanntlich wirklich ein Qualitätsbeweis war, und zwar nicht in Boulevardstücken), sondern obendrein die jüngere Schwester des Grafen von Greifenstein, so dass sich die einschlägigen Berichterstatter gar nicht mehr beruhigen konnten: adelig und sooo talentiert! Sollte Carla Greif einmal nicht spielen, konnte man über ihre noble Verwandtschaft spekulieren und sich fragen, wie sie mit ihrer (bürgerlich geborenen) Schwägerin Eva auskam. Sollte sich bei den Greifensteins nichts tun – keine kleinen Grafensprößlinge, keine Schlossführungen, dann konnte man überlegen, welche Rollen Carla Greif in nächster Zeit übernehmen konnte oder würde. Zierlich, rothaarig und mit einem koboldhaften, sehr jung wirkenden Gesicht, spielte die Greif heute noch Rollen, für die Jessica Rother, die reifer und handfester wirkte, schlicht als zu alt galt. Mama war jetzt genau sechzig und Carla Greif konnte nicht viel jünger sein… Moment…

      Judith kuschelte sich in die Sofaecke und drückte sich ein Kissen auf den Bauch, um es beim Rechnen schön warm zu haben. Mama hatte sich von Anatol getrennt, als Jerry vier und Jul drei war. Jetzt waren sie sieben- und achtunddreißig. Gut, dann war das vierunddreißig Jahre her, Mama war damals sechsundzwanzig. Großer Gott, jünger als sie heute – und schon zwei kleine Jungs! Und einige Filme, gute und furchtbare. Für manche hätte sie wohl auch die Goldene Himbeere verdient…

      Viel jünger konnte Carla dann auch nicht gewesen sein – doch mindestens achtzehn, also acht Jahre weniger, dann war sie heute wenigstens zweiundfünfzig. Auch nicht mehr so ganz knusprig, aber sie wirkte deutlich jünger. Und mit Anatol hatte sie wirklich etwas gehabt? Tja, nun rächte sich das Desinteresse - aber wozu gab es schließlich das Internet?

      Andererseits war ihr eigentlich völlig egal, ob Carla Greif und Anatol länger zusammen gewesen waren… und aufstehen wollte sie jetzt auch nicht. Eigentlich wusste schon gar nicht mehr, wie sie auf diese unnützen Überlegungen gekommen war…

      Ihr Handy brummte. Sie überlegte, wer es sein konnte? Mama? Jul? Irgendeine Freundin, Tine, Maxi oder Annina? Die Presse schon wieder?

      Sie angelte träge nach dem Telefon auf dem Tischchen neben dem Sofa und spähte aufs Display: Mama.

      Also neutrale Stimme – keine Emotionen verraten!

      „Schottenbach?“

      „Judith, Schätzchen, wie geht es dir?“

      „Danke, und dir selbst?“

      Fehlschlag – Mama seufzte. „Aber Kind, nun lass doch mal diese coole Fassade fallen.“

      „Eine Maske lässt man fallen, eine Fassade bröckelt“, korrigierte Judith, die auf schiefe Bilder allergisch reagierte.

      „Das ist doch jetzt egal!“

      „Ich finde, eine Schauspielerin sollte schon auf korrekte Texte achten.“

      „Ja, meinetwegen – aber jetzt geht es nicht um Texte! Du weißt doch, das Schmiedl wieder frei ist!“

      „Ja, diese Geier von HOT! haben mich schon belästigt.“

      „Judith, sprich nicht so über die Presse, man weiß nie, wann man sie braucht.“

      „Also, ich brauche sie nicht. Schottenbach steht gut mit allen wichtigen Wirtschaftsmagazinen und seriösen Tageszeitungen, aber Klatsch und Tratsch kann uns doch egal sein.“

      „Mir nicht.“ Das kam schon etwas schärfer heraus.

      „Dann unternimm du doch etwas, was dich in die Zeitung bringt. Ich bin nicht prominent und ich will es auch gar nicht sein.“

      „Aber du bist immerhin meine Tochter!“

      „Deine Tochter, nicht deine PR-Waffe.“

      „Das lässt sich doch nicht trennen! Wenn Schmiedl wieder auftaucht, ist es doch völlig klar, dass wir gefragt werden, was wir jetzt fühlen.“

      „Ach ja? Und was fühlst du?“

      „Was glaubst du denn?“

      Judith schnaubte ärgerlich ins Telefon. „Entweder machst du einen auf christliche Milde und hast ihm verziehen, oder du wirst ihm nie, nie, nie verzeihen, weil er dein heißgeliebtes Kind verletzt hat. Kommt wohl darauf an, was du gerade drehst.“

      „Du bist zynisch, Judith!“

      „Nein. Ich kenne dich bloß schon einige Jahre, vergiss das nicht. Also, machst du auf Milde oder auf Hass?“

      „Weder noch. Ich bin tief verletzt.“

      „Mein Gott! Nur, weil ich deinen Selbstbetrug nicht auch noch unterstütze?“

      „Dich meine ich doch nicht! Tief verletzt ist das, was ich der Presse gesagt habe. Und dass ich Angst habe, natürlich!“

      „Angst wovor? Nicht mehr in der Zeitung zu stehen?“

      „Lass diesen Sarkasmus. Was, wenn er sich an uns rächen will?“

      „Das wäre ja noch schöner! Wofür denn? Dafür, dass er mich entführt hat? Dafür, dass ich das Ganze nur mit Glück überlebt habe? Dafür, dass- “

      „- er eine Million von uns kassiert hat?“

      Judith seufzte. Ihre Mutter würde unangenehme Realitäten bis zum Jüngsten Tage ausblenden… „Ja, meinetwegen. Ich finde, er schuldet uns etwas, nicht wir ihm.“

      „Das wird er wohl nicht so sehen. Immerhin war er elf Jahre im Gefängnis!“

      „Das heißt, du bereust, dass ihr ihn angezeigt habt?“

      „Unsinn, Kind!“

      „Dann verstehe ich nicht, worauf du hinaus willst.“

      Seufzen am anderen Ende. Wahrscheinlich, weil „das Kind“ mal wieder so begriffsstutzig war und nicht wusste, wie man sich der Presse präsentieren musste!

      „Ach so, ja – das besorgte Mutterherz. Schon klar… wie viele