Ein gestörtes Verhältnis. Elisa Scheer

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Название Ein gestörtes Verhältnis
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737547741



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natürlich nicht beantwortet. Aber das war ja nichts Neues!

      „Und was möchtest du jetzt von mir? Soll ich das verletzte Rehlein geben, wenn mich das nächste Mal jemand von so einem Käseblatt belästigt? Ich denke nicht daran!“

      „Du denkst auch gar nicht an mich!“

      „Wozu? Das besorgst du doch schon hinreichend. Ich bin auf das Wohlwollen der Klatschpresse wirklich nicht angewiesen.“

      „Du bist meine Tochter!“

      Willkommen in der Endlosschleife…

      „Ja doch. Aber ich bin auch Papas Tochter und Informatikerin. Und diese Rollen sind mir sehr viel wichtiger. Kannst du nicht bitte mit den Jungs angeben? Die machen doch wenigstens etwas, was du verkaufen kannst!“

      „Das verstehst du nicht…“

      Jaja. Die Jungs waren nie entführt worden, da konnte man das Mutterherz nicht so recht zur Geltung bringen – und das Schlimmste: Jul hatte eine kleine Tochter, was wirklich niemand wissen durfte: die zeitlose Schönheit Jessica Rother als Großmutter? Never ever…

      „Rollen? Dein Leben besteht doch nicht nur aus Rollen! Du bist doch gar keine Schauspielerin!“

      „Manchmal komme ich mir in dieser Familie aber so vor. Jeder verlangt, dass ich mich so oder so verhalten soll. Was glaubst du, warum ich so gerne einfach ganz alleine zu Hause bin? Endlich mal Ruhe!“

      „Und was machst du dann? Fernsehen?“

      „Manchmal. Dokumentationen natürlich.“

      Das war gelogen, aber die Genugtuung, dass sie sich Kripo Kirchbach anschaute, um ihre Mutter zu bewundern, wollte sie ihr nicht geben.

      „Ich lese gerne, ich mache Sport, ich höre Musik. Raus kann ich ja sowieso nicht.“

      „Wieso das denn?“

      „Mein Gott, weil draußen die Geier von der Presse stehen! Die du mir wahrscheinlich auf den Hals gehetzt hast! Ich hoffe, du bist zufrieden mit dir!“

      Nein, das Gebrummel am anderen Ende war eindeutig. Ihre Mutter verabschiedete sich leicht verkniffen.

      Ihre Mutter nervte, fand Judith, als sie das Handy wieder auf den Tisch gelegt hatte. Und wie immer kreiste die Welt nur um sie selbst. Offensichtlich wollte sie die Tatsache, dass Schmiedl wieder auf freiem Fuß war, dazu nutzen, sich selbst wieder mal ins Gespräch zu bringen. Kripo Kirchbach plätscherte so dahin und wurde in den Medien eigentlich nur präsentiert, wenn eine neue Folge mit jemandem gedreht wurde, der wirklich berühmt war. Oder wenn irgendeine Person den Serientod starb, weil der Schauspieler keine Lust mehr hatte.

      Judith grinste – was, wenn Chris, der Benjamin im Team, plötzlich keine Lust mehr hatte? Wer interessierte sich denn dann noch für seine Mutter?

      Das Grinsen erstarb. Oh Gott, wenn sie unbeschäftigt war, würde sie ihren Kindern noch viel mehr auf die Nerven fallen… Schnell weg mit dem Gedanken!

      Sie angelte nach der Fernbedienung und landete prompt in einem Boulevardmagazin. Alte Kriminalfälle, spektakuläre Unfälle, Klatsch und Tratsch. Voll böser Ahnung sah Judith zu – und tatsächlich, kurz vor dem Ende wurde auf Schmiedl hingewiesen und die Tatsache, dass er gesessen hatte, weil er die kleine Tochter der schönen Jessica Rother entführt und verletzt hatte. Das Kind litt sicher heute noch darunter, und die Mutter, die ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Tochter hatte („Wir sind wie Freundinnen!“), machte sich die größten Sorgen… Eingeblendet wurde ein Bild von Judith, auf dem sie höchstens fünfzehn war.

      Gar nicht so schlecht, so erkannte sie heute sicher niemand mehr. Offenbar besaß ihr Mutter kein neueres Foto von ihr. Und Judith würde auch dafür sorgen, dass es so blieb.

      Aber schrecklich rührselig war der Bericht doch…

      Sie schaltete um und schaute sich, gemächlich auf dem Trimmrad strampelnd, eine Folge einer amerikanischen Gerichtsmedizinerserie an. Hier spielte ihre Mutter wenigstens garantiert nicht mit.

      4

      „Nein, Mama, vergiss es.“ Vincent warf den Rest seines Käsebrotes auf den Teller zurück und stand auf.

      „Wohin willst du denn?“

      „Weg. Du verdirbst mir mit deinen Vorschlägen den Appetit. Ich gehe nach Hause und frühstücke da.“

      „Aber Junge, überleg doch mal, du verstehst doch etwas von diesen Computerprogrammen! Und wenn eine renommierte Firma wie Schottenbach dir eine Stelle anbietet, musst du doch zugreifen!“

      „Ich bewerbe mich schon selbst, du musst mir keine Stellung besorgen. Oder deinen alten Schulfreund bezirzen.“

      „Aber du tust es ja nicht!“

      „Wer sagt das denn? Du weißt doch gar nicht, was ich tue und was nicht!“ Er strich sich seine dunkelroten Locken aus der Stirn und wandte sich zur Tür.

      „Wenn du eine anständige Stelle hättest, würdest du nicht so herumlaufen – und du säßest längst in der Arbeit!“

      Er drehte sich in der Tür noch einmal um und betrachtete seine Mutter kopfschüttelnd. „Ach, Mama! Du verstehst einfach gar nichts.“

      Auf dem Weg nach Hause ärgerte er sich immer noch, denn das war nicht der erste Versuch, ihn beruflich zu vereinnahmen. Seine Widerborstigkeit hatte aber zumindest seine überfürsorgliche Mama nie lange entmutigt…

      Er fuhr seinen Wagen auf den Hof hinter dem Altbau, in dem er mit zwei Kumpels eine Achtzimmerwohnung bewohnte. Die Treppen knarrten wie immer und als er die schwere Holztüre aufschloss, schlug ihm ein merkwürdiger Geruch entgegen. Er schnupperte nachdenklich – nein, kein Dope, immerhin. Also hatte Leo keine merkwürdigen Freunde zu Gast. Hatte Nils wieder etwas Obskures gekocht?

      In der Küche war niemand, aber sie sah ekelerregend aus, vielleicht sollte er später hier mal saubermachen.

      Er schloss sein Wohnzimmer auf und kontrollierte kurz, ob noch alles an Ort und Stelle war, dann schlenderte durch die Verbindungstür in sein Schlafzimmer und blieb abrupt stehen.

      „Wer bist du denn?“

      „Ich bin die Bella“, flötete die Blondine und räkelte sich so, dass die Decke verrutschte und Vincent den Blick auf ein paar recht üppige Brüste gewährte.

      Er schnaubte. „Tag, Bella. Bitte zieh dich an und such das Schlafzimmer deines Gastgebers. Hier bist du komplett falsch.“

      Bella blinzelte.

      „Bist du taub oder was? Raus aus meinem Bett!“

      „Bist du schwul oder was?“, fauchte Bella und schoss aus dem Bett, schnappte sich ein Häufchen Klamotten vom Boden und eilte zur Tür, die in den Flur führte. Mordsarsch, stellte Vincent unwillkürlich fest. Ihm zu üppig. Auch wenn er absolut nicht schwul war, ihn nervten bloß die Weiber, die Leo und Nils immerzu anschleppten.

      Er schloss die Flurtür hinter ihr ab und ließ sich dann auf das Bett sinken, das penetrant nach einem süßlich-schwülen Parfum stank – Shalimar, vermutete er. Nils schenkte es gerne seinen Miezen. Die kleinste Größe natürlich, das Zeug war teuer genug.

      Äh, jetzt musste er auch noch sein Bett frisch beziehen, sonst würde ihm heute Nacht noch schlecht.

      Verdammt, er konnte sich selbst einen Job suchen! Er hatte jetzt zwei Jahre lang für ein vielversprechendes Start-up gearbeitet und dabei auch eine Menge gelernt – leider auch, wie man es nicht machte, vor allem, wenn man viel zu wenig Kapital hatte.

      Immerhin hatte er ein exzellentes Zeugnis – und durchaus noch Rücklagen. Er musste also wirklich nicht bei Schottenbach unterkriechen wie eine gescheiterte Existenz, nur weil Mama in grauer Vorzeit einmal mit Wolfgang Schottenbach im Sand gespielt oder Schiefertafeln bekritzelt hatte