Ein gestörtes Verhältnis. Elisa Scheer

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Название Ein gestörtes Verhältnis
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737547741



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damals eigentlich ihre Kinder gelassen?“

      „Kinder? Wieviele hat sie denn?“

      „Aha, das interessiert dich also?“

      Mist, verdammter.

      „Nein. Also?“

      Jetzt grinste seine Mutter. Hörbar!

      „Sie hat zwei Buben, die waren damals – na, vielleicht acht oder so. Nein, natürlich sind die nicht von Schottenbach! Die waren von ihrem ersten Mann, verflixt, wie hieß der gleich wieder…“

      „Das ist doch jetzt echt egal. Mama, was zum Henker wolltest du mir eigentlich erzählen?“

      „Marow!“

      „Was? Mama, wie viele Sherrys hattest du denn bitte?“

      „Drei. Spiel hier nicht den Moralapostel, ausgerechnet du!“

      Was sollte das denn heißen?

      „Der erste Mann hieß Marow. Von dem sind die Buben. Und von Schottenbach hat sie dann diese Tochter bekommen, wie heißt die gleich wieder…“

      „Judith. Ist das schon Alzheimer? Die wolltest du mir doch schon unterjubeln, du alte Kupplerin.“

      „Ach, du weißt, wie sie heißt?“

      „Mama, ich arbeite bei Schottenbach. Übrigens wie du es wolltest, also sei doch endlich mal zufrieden. Ich weiß von allen Leuten in der Entwicklung, wie sie heißen, und die Schottenbach hat ihr Büro ja auch dort.“

      „Entwicklung?“

      „Software? Mama, bitte, mach nicht einen auf oldschool!“

      „Was? Ach so, diese Computerprogramme! Was hat das jetzt damit zu tun?“

      „Womit? Ich weiß immer noch nicht, was du mir an köstlichem Klatsch erzählen wolltest, und allmählich werde ich hungrig, ich müsste noch einkaufen.“

      „Aber Junge, komm doch zu mir, ich koch dir was… Wie wär´s mit Käsespätzle, die magst du doch so gerne?“

      „Lass das Mästen, Mama. Kasspatzen hab ich vielleicht mit fünfzehn mal gemocht, aber ich bin schon länger nicht mehr im Wachstum. Ich hole mir jetzt vielleicht ein schönes Steak. Oder Spaghetti mit scharfer Sauce, mal sehen. Also, komm zu Potte – was wolltest du mir über diese abgetakelte Schauspielerin erzählen?“

      „Wieso abgetakelt?“

      Vincent hätte sich in den Hintern treten mögen – jetzt hatte er sie doch schon wieder auf ein Nebengleis gesetzt!

      „Mein Gott, über sechzig und nicht gerade prominent – ach, egal. Was ist jetzt?“

      „Sie hat doch diese Tochter, nicht?“

      „Ja doch, Judith Schottenbach, die Juniorchefin. Was soll mit der sein?“

      „Juniorchefin, wirklich? Das wundert mich jetzt…“

      „Und, warum wundert dich das?“ Im Ton grenzenloser Langmut, der an Mama natürlich komplett verschwendet war.

      „Es heißt, sie hat psychische Probleme, offenbar ist sie völlig gestört. Na, das ist bei Promikindern wohl auch nicht so selten…“

      „Was für ein Bullshit“, kommentierte Vincent rüde. „Erstens ist die Olle ja wohl auch nicht so wahnsinnig prominent, und zweitens macht die Schottenbach einen ganz vernünftigen Eindruck. Woher hast du den Scheiß denn?“

      „Junge, deine Ausdrucksweise!“

      „Immer passend zu den Falschaussagen. Also?“

      „Von Greta – und die ist immer gut informiert!“

      „Ist das die, deren Tochter so eine Hilfsmaus bei diesem Krawallblatt ist? Dann ist doch garantiert alles erstunken und erlogen!“

      „Ihre Annika ist Redaktionsassistentin bei HOT!, wenn du das meinst“, erklärte seine Mutter etwas steif.

      „Ja, sag ich doch. Und woher will HOT! das haben? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die mit der Schottenbach gesprochen haben, und wenn, sagt sie höchstens etwas über unsere aktuellen Projekte, was HOT! natürlich gar nicht interessieren würde, dieses oberflächliche, verlogene, sensationsgeile Käseblatt.“

      „Warum verteidigst du sie so?“

      „Ach herrje, Mama! Ich verteidige jeden, der in die Fänge der Boulevardpresse gerät! Ich würde denen jedenfalls nur Lügengeschichten erzählen, wenn ich jemals etwas gefragt würde. Passiert glücklicherweise nie.“

      „Kennst du Annika Hilmeyer nicht sowieso?“

      „Keine Ahnung, woher sollte ich denn?“

      „Ich weiß es nicht, vielleicht wart ihr auf der gleichen Schule? Du könntest das mal rauskriegen und vielleicht Kontakt zu ihr aufnehmen…“

      „Wozu das denn? Sag mal, hast du echt Angst, ich könnte schwul sein, weil du mich jeder Tussi wie Sauerbier anbieten willst? Was soll ich mit einer Rotzgöre, die für HOT! arbeitet?“

      „Nicht heiraten! Herauskriegen, ob es stimmt, dass Wolfgangs Tochter eine Psychose hat!“

      „Eine Psychose, ja? Weißt du überhaupt, was das ist?“

      „Na, eine Macke halt.“

      „Wie gut, dass du nicht im medizinischen Bereich arbeitest, so wenig Ahnung, wie du hast. Nein, das mach ich nicht. Diese Annika interessiert mich nicht die Bohne und die eventuellen Probleme der Schottenbach gehen dich einen feuchten Kehricht an. Schön formuliert, gell? Und mich interessieren sie auch nicht. So, und jetzt wünsche ich dir einen schönen Abend und gehe Essen besorgen.“

      Damit schaltete er aus, legte das Handy beiseite und rieb sich sein heißes Ohr. Ein Wunder, dass es überhaupt noch da und nicht völlig abgekaut war!

      Und sein Magen knurrte bedrohlich.

      Auf dem Weg nach draußen entdeckte er auf dem Briefkastenblock einen Stapel Pizzaflyer und steckte für weitere Notfälle einen ein, aber jetzt war ihm nicht nach Pizza. Steak? Er hatte nicht einmal eine Pfanne und keine Lust, sich eine zu kaufen. Salat? Mädelsfutter. Spaghetti? Nö.

      Immerhin angenehm, dass er auch in dieser Hinsicht seine Mutter in die Irre geführt hatte! Je weniger sie über ihn wusste, desto weniger traf ihn ihr Gemecker. Nicht so wie früher, als ihre dauernde Kritik an seinen Noten, seiner Kleidung, seinem Musikgeschmack, seinen Tischmanieren, seinem Freizeitverhalten ihm das Gefühl gegeben hatten, ein völlig missratener Sohn zu sein. Eine einzige Enttäuschung. Am schlimmsten: Du bist genau wie dein Vater!

      Er kannte seinen Vater kaum noch, denn seine Eltern hatten sich getrennt, als er sechzehn gewesen war, und sein Vater hatte die Firma verkauft, war nach Südfrankreich gezogen und hatte die Erbin eines Weinguts geheiratet.

      Vincent gab, während er Richtung Altstadt trabte, ein verächtliches Geräusch von sich: In einem dieser Kitschfilme, die sonntags im Fernsehen kamen, müsste er jetzt dort hinreisen, seinen Vater suchen, sich mit ihm versöhnen, sich erst in die falsche Frau (nämlich seine Halbschwester) verlieben und dann in die richtige. Kuss, Abblende.

      Er hatte aber kein besonderes Interesse an seinem Vater, also dachte er nicht daran, ihn zu suchen. Was Mama ab und zu von einer Postkarte berichtete, reichte ihm schon. Außerdem wäre er wegen Französisch mehrmals beinahe durchgefallen, also fuhr er im Urlaub lieber nach Italien, dort konnten sie Deutsch. Oder Englisch. In Englisch war er ganz gut, kein Wunder nach einem Jahr USA.

      Ergebnis dieser Familiengeschichte: Er als einziger Sohn einer gluckenhaften Mutter, die sonst nichts zu tun hatte als ihren Sohn zu belästigen, denn sie hatte genug geerbt, um sich ein bequemes Leben ohne Arbeit leisten zu können.

      Ab