Ein gestörtes Verhältnis. Elisa Scheer

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Название Ein gestörtes Verhältnis
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737547741



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      „Diesen einen, der im Knast umgekommen ist? Der braucht seinen Anteil dann wohl auch nicht mehr so dringend.“

      „Und wenn der Komplize das Geld versteckt hat? Dann schaut der Hardy schön blöd aus der Wäsche.“

      „Würde er dann sagen, dass er bald an das große Geld kommt?“ Peter versuchte, ein schlaues Gesicht zu ziehen.

      „Würde er. Damit ich ihn nicht an die Luft setze. Der will garantiert bloß Zeit schinden, und ich will nicht, dass er die Kinder mit diesem Quatsch vom großen Geld ansteckt! Hast du nicht eine Idee, wie ich ihn loswerden könnte? Wie er schon daherkommt! Man muss sich ja vor den Nachbarn schämen!“

      „Ja, wenn die erfahren, dass ein Knastbruder – höhö – bei dir wohnt, dann grüßen sie dich womöglich nicht mehr.“

      „Verarschen kann ich mich selber. Wenn bei uns irgendwas vorkommt, Auto verkratzt, Rasenmäher geklaut, Mülltonne umgeschmissen, dann kommen die doch jetzt sofort zu uns, weil bei uns ja so einer wohnt. Das brauche ich wirklich nicht.“

      „Wenn er wirklich irgendwas macht, kannst du ihn verpfeifen, dann wandert er gleich wieder ein.“

      „Schwacher Trost. Der wird sich hüten! Elf Jahre hinter Gittern, das dürfte ihm erstmal reichen.“

      „Was macht er denn jetzt so? Hängt er bloß bei euch rum und qualmt euch die Bude voll?“

      „Das kommt ja auch noch dazu!“, stöhnte Schmiedl. „Der Hardy war ja elf Jahre weg vom Fenster, was der alles nicht mitgekriegt hat! Zum Beispiel, dass man nicht mehr überall rauchen und die Luft verpesten darf. Ich hab schon nach einer Woche das Gefühl, ich müsste das ganze Haus neu streichen.“

      „Was kennt er denn noch alles nicht?“, fragte Peter neugierig. „Hält er Handys für Zauberwerk?“

      „Er war elf Jahre weg, nicht hundertelf“, entgegnete Schmiedl gereizt. „Ja, Smartphones sind ihm neu, aber sonst kommt er zurecht. Bloß dieses Gemurmel immer!“

      „Was murmelt er denn so?“

      „Lauter Schmarrn. Von Ideen, die andere Leute haben. Dass er nichts dafür konnte.“

      „Wofür?“

      „Was weiß ich! Die Entführung kann er ja nicht meinen. Da haben sie seine Schuld ja wohl nachgewiesen. Dass ein Bruder von mir so einen Mist bauen kann!“

      „Schöne Scheiße“, stimmte Peter zu und bestellte zwei neue Bier.

      12

      „Warum bist du so hibbelig?“, wollte Nini wissen, als Judith zum wiederholten Mal einen nervösen Blick zur Tür warf, nachdem sie bereits das Fenster in ihrem Rücken gescannt hatte.

      „Jetzt lass das mal. Dieses Fenster ist seit bestimmt zehn Jahren nicht mehr aufgemacht worden, das ist doch völlig festgebacken. Und wovor fürchtest du dich eigentlich?“

      Judith nahm einen großen Schluck von ihrem Cocktail. „Schmiedl.“

      „Schmiedl? Wer – ach du Scheiße, der Kerl, der dich damals entführt hat? Ist der wieder raus?“

      „Stand in der Zeitung. Hast du das nicht gesehen?“

      „Ich lese nur die Süddeutsche, und da vor allem Wirtschaft und Politik.“

      Nini arbeitete im Wirtschaftsreferat der Stadt Leisenberg und präsentierte sich gerne als ganz nüchterne, nur an Fakten orientierte Frau, liebte insgeheim Klatsch und Tratsch aber genauso wie alle anderen.

      „Warum soll Schmiedl dir denn begegnen? Ich meine, wenn er einen Hauch von Hirn hat, müsste er doch aufpassen, dass er sich von dir fernhält, damit er nicht wieder Ärger kriegt, oder?“

      „Wieso? Er hat ja keine Bewährung. Vielleicht kann Papa ein Abstandsgebot erwirken, aber das dauert eben noch.“

      „Hast du wirklich Angst, ihm zu begegnen?“

      „Ich hab ihn doch schon zweimal getroffen. Er steht immer vor der Firma!“

      „Was? Der traut sich was! Was will er denn?“

      „Keine Ahnung, ich kann ihn ja nicht fragen! Wenn ich ihn sehe, fange ich sofort zu schreien an und dann läuft er weg. Langsam halten mich in der Firma wahrscheinlich alle für bekloppt.“ Ihr Glas war leer, und sie bedeutete dem Kellner, ihr noch eins zu bringen.

      „Ob das seine Absicht ist?“

      „Wie bitte?“

      „Na, wenn er dich diskreditieren kann, so dass du als nicht ganz dicht giltst, vielleicht werden dann deine Aussagen angezweifelt und es kommt zu einer Wiederaufnahme?“

      Judith schüttelte den Kopf und nahm ihren nächsten Drink entgegen.

      „Die anderen haben doch das Gleiche ausgesagt. Papa und meine Mutter, dann müsste er ja alle so weit bringen, dass sie austicken.“

      „Ja, und bei deinem Vater wird das schwierig… ich meine, deine Mutter, also ganz ehrlich!“

      „Weiß ich doch selbst. Sie nervt tierisch, zurzeit ganz besonders. Ich versuche es gerade mit korrekter Kälte, aber da muss ich wohl noch etwas üben. Manchmal habe ich das Gefühl, alle Welt ist nur dazu da, sie wieder mal in die Zeitung zu bringen, damit ihr irgendwer eine Rolle anbietet.“

      „So war sie doch immer schon, oder?“

      Judith knurrte zustimmend. „Ich bin sicher, dass sie mir vor kurzem die Presse auf den Hals gehetzt hat. Aber bei so etwas mache ich nicht mit, ins Mikro heulen, damit die Auflage steigt… können die nicht über wichtige Dinge berichten?“

      „Die Käseblätter ganz bestimmt nicht. Seriöser Journalismus – das können die doch gar nicht.“

      „Mistkerle. Aber sag, wie geht es dir denn?“

      „Passt schon“, brummte Nini. „Ich komme im Amt nicht von der Stelle, weil ich bloß Teilzeit mache, unsere Süßen sind im schlimmsten Trotzalter und Michi hat sich mittlerweile völlig im Job vergraben. Ja, aber sonst ist alles okay.“

      Sie zog eine Grimasse und nahm noch einen bedächtigen Schluck.

      „Scheiße“, kommentierte Judith. „Wie alt sind deine Kids jetzt eigentlich?“

      „Drei und vier. Immerhin sind sie im Kindergarten, aber blöderweise eben nur halbtags. Und der Kindergarten ist so einer, wo man sich als Mutter einbringen soll. Und voll öko!“

      „Öko ist doch gut?“

      „Hast du schon mal Kuchen aus Öko-Mehl mit Melasse gebacken? Total zäh – und so schmeckt es dann auch. Da lob ich mir irgendein Industriezeugs mit lecker Zusatzstoffen.“

      Judith musste lachen. „Nini, du Ökoferkel! Ein Essverhalten wie - naja, das wäre jetzt arrogant.“

      Nini grinste. „Vermisst du einen Jogginganzug von Aldi? Machst du einen auf großbürgerlichen Gesundheitsterror? Jedenfalls spart mir der Kindergarten nicht viel Zeit. Wenn Michi sich etwas mehr kümmern würde…“ Sie seufzte.

      „MorgenExpress, HOT von morgen!“ Der Zeitungsverkäufer hatte das Lokal betreten und hielt seine Zeitungen hoch. Das Interesse war mau, doch Judith warf einen Blick auf die HOT!-Schlagzeile und wurde totenbleich: Jessica Rother: Familientragödie!

      Sie winkte dem Verkäufer und kaufte entgegen ihren Vorsätzen ein Exemplar.

      „Jetzt reg dich nicht auf. Wahrscheinlich ist einem deiner Brüder die Katze davongelaufen. Oder einer kennt einen, der einen kennt, der einen kennt, der von einem gehört hat, dem die Oma gestorben ist. Du weißt doch, wie die arbeiten!“