Ein gestörtes Verhältnis. Elisa Scheer

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Название Ein gestörtes Verhältnis
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737547741



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      Nein, nichts. Was hatte die Frau bloß? Hysterisch?

      Naja, das sagte man ja schnell mal… aber auf jeden Fall stimmte mit Judith Schottenbach etwas nicht, das war mal klar. Jetzt straffte sie sich, schwang sich ihre Tasche über die Schulter und stieß energisch die Glastür nach draußen auf. Ihm entging aber nicht, dass sie dabei ihren Blick hektisch von links nach rechts wandern ließ und sehr eilig auf einen dunkelgrauen Audi zusteuerte. Er selbst blieb stehen und verfolgte, ob sie ihren Wagen sicher erreichte. Erst als sie eingestiegen war (nicht ohne sich noch einmal misstrauisch umzusehen) und den Motor anließ, setzte auch er sich wieder in Bewegung und eilte zu seinem eigenen Wagen.

      Eine merkwürdige Frau…

      Er beschloss, erst zu Hause darüber nachzudenken, warum sie wohl so seltsam war, sonst verfuhr er sich noch auf dem Weg von der neuen Arbeit zum neuen Zuhause.

      Unterwegs nahm er sich eine Pizza aus dem Straßenverkauf mit und ärgerte sich prompt, dass sie ihm noch auf den letzten Metern das Auto mit ihrem Geruch füllte. Jetzt musste er wieder wochenlang in einer Pizzeria herumfahren – offenbar hatte er aus der Sache mit dem Döner auf dem Beifahrersitz überhaupt nichts gelernt – aber wenigstens musste er dieses Mal keinen Krautsalat aus den Polstern klauben…

      Die Wohnung erschien ihm, wenn man gerade eintrat, doch erstaunlich kahl, aber das sollte erst einmal so bleiben. Er legte nur den Pizzakarton auf den Tisch, zog sein Smartphone aus der Tasche und scrollte mit der rechten Hand, während die Linke das Pizzastück hielt, von dem er immer wieder abbiss, durch seine diversen Nachrichten – Mails, Whatsapp, Facebook… praktisch nur Blödsinn.

      Als sein Handy plötzlich klingelte, erschrak er so, dass ihm das Pizzastück auf den Tisch fiel – natürlich mit der fettigen Salamischeibe nach unten. Murphy´s Gesetz.

      Auf dem Display grinste ihn das Foto von Mama an, das er ihr als Profilbild eingestellt hatte; seufzend nahm er das Gespräch an und meldete sich schmatzend.

      „Isst du etwa?“, wurde prompt entrüstet gefragt.

      Er biss noch einmal ab. „Klar, wieso, Mama?“

      „Und was isst du da, bitte schön?“ Dass diese Frau auch nie eine Frage korrekt beantworten konnte…

      „Pizza“, kaute er so unmanierlich wie möglich.

      „Pizza?“ Erschrocken hielt er das Handy etwas von seinem Ohr weg. Was kreischte sie denn so?

      „Das ist doch total ungesund! Warum machst du dir nicht einen schönen Salat? Das wirst doch sogar du gerade noch fertigbringen!“

      „Ich mag keinen Salat.“ Er leckte sich geräuschvoll die fettigen Finger ab, denn die Pizza war leider restlos verspeist.

      Tiefer Seufzer. „Ach, Junge…!“

      Vincent dachte an die Ärzte und kicherte. Immerhin behauptete Mama nicht, er bringe sie noch ins Grab. Vielleicht sollte er ihr den Song bei Gelegenheit mal vorspielen, er hatte ihn ja auf dem Smartphone.

      „Was passt dir denn nicht?“, erkundigte er sich interessiert.

      „Du ernährst dich ungesund. Du isst wie ein Ferkel. Du sitzt nur herum! Willst du nicht doch mal über das Angebot von Wolfgang nachdenken?“

      „Wolfgang?“

      „Schottenbach! Stelle dich nicht noch dümmer als du ohnehin bist!“

      „Mama, spar dir die Frechheiten! Zu deiner Beruhigung, ich habe heute bei Schottenbach angefangen, also kannst du dir dieses Thema schon mal abschminken, klar?“

      „Na, endlich wirst du vernünftig. Wenn du dir jetzt noch die Haare schneiden lässt, in eine anständige Gegend ziehst und dir endlich eine nette Frau suchst…“

      „… dann würdest du doch immer noch meckern. Such du mir doch eine Frau!“

      „Ernsthaft?“ Das klang bedrohlich begierig.

      „Gotteswillen, das war ein Scherz! Ich bin mir sicher, eine Frau, die du für passend hältst, kann ich absolut nicht leiden!“

      Jetzt musste sie doch hinreichend beleidigt sein?

      Nein, Mama war emotional einfach unverwüstlich. „Das verstehe ich nicht – ich habe dir doch auch die richtige Stelle gefunden?“

      Vincent stöhnte. „Hast du nicht. Du hast bloß deinen Sandkastenfreund angehauen, den Rest habe ich gemacht. Und nach einem halben Arbeitstag kann ich doch auch noch nicht sagen, ob das auf die Dauer das Richtige ist!“

      „Natürlich ist es das Richtige, ich kenne doch Wolfgang! Der ist bestimmt ein netter Chef.“

      „Ein netter Chef ist nicht alles, wie du eigentlich auch wissen solltest. Die Arbeit muss auch interessant sein.“

      „Kleiner Besserwisser. Und, ist sie interessant?“

      Dieser herablassende Ton! Er war doch nicht mehr sechs Jahre alt! Mühsam unterdrückte er den (leider auch kindischen) Wunsch, das Gespräch abrupt zu beenden, und flüchtete sich in Fachsimpelei. „Man kann Spezialsoftware entwickeln, vielleicht besonders für den Smart-Home-Bereich… oder für Fitness-Tracker, das ist ja auch ein wachsender Markt… zwischendurch kann ich auch Apps entwickeln. Ja, ich denke, Schottenbach ist vorerst ganz interessant für mich.“

      Sie reagierte nicht auf das „vorerst“, sondern fragte: „Apps? Was ist das?“

      „Ach Mama, du hast doch ein Smartphone! Da sind lauter Apps drauf, diese kleinen Programme, die mit einem Symbol auf dem Display verankert sind. Benutzt du dein Telefon etwa nicht?“

      „Doch, sicher. Zum Telefonieren. Wenn ich nicht zu Hause bin. Was können diese Apps?“

      „Zum Beispiel liefern sie dir Stadtpläne oder Fahrpläne. Du kannst das Kinoprogramm anschauen, etwas spielen, Bücher lesen, Musik hören, Mails schreiben – alles, was du auch mit dem Computer machen kannst.“

      „Auf diesem winzigen Bildschirm? Machen das wirklich Leute?“

      „Mama, was bist du weltfremd – das machen fast alle, vor allem Teenager. Die wären ohne ihr Smartphone doch völlig aufgeschmissen und starren den ganzen Tag darauf.“

      „Du sollst mich nicht immer auf den Arm nehmen! Hast du auch die Tochter kennengelernt?“

      „Natürlich. Kompetente Frau.“

      Seine Mutter schnaubte. „Kompetent! Darauf kommt es doch nicht an. Gefällt sie dir?“

      Ihm wäre fast das Telefon aus der Hand gefallen, obwohl er seine Mutter und ihre absurden Gedankengänge doch nun wirklich seit dreißig Jahren kannte.

      „Wie bitte? Soll das heißen, du wolltest, dass ich bei Schottenbach arbeite, um was mit der Tochter anzufangen? Mama, das schlägt dem Fass wirklich den Boden aus!“

      „Es wäre doch zu nett, mein Sohn und Wolfgangs Tochter…“

      „Dann heirate doch selbst den Schottenbach, er ist ja geschieden und du bist auch frei, wenn du diese Sandkastenliebe unbedingt wieder aufwärmen willst!“

      „Du verstehst mich nicht“, klagte seine Mutter. Ja, das war immer ihr letztes Argument…

      „Schade, dass ich nicht einen Haufen Geschwister habe“, maulte er wieder einmal, „dann würde sich deine Übergriffigkeit doch wenigstens etwas verteilen.“

      „Übergriffigkeit?“ Es knackte und das Gespräch war beendet. Vincent grinste kurz sein Handy an und schaltete dann ebenfalls aus. Hatte er es wieder geschafft!

      Sie aber auch, ärgerte er sich gleich wieder. Wie sie es immer hinbekam, ihm die Laune zu verderben – man geriet tatsächlich in Versuchung, aus purem Trotz irgendetwas Blödsinniges zu tun, als sei man noch