Ehre, wem Ehre gebührt. Charlie Meyer

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Название Ehre, wem Ehre gebührt
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847623359



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in den Nacken und entblößte eine Hakennase und bebende Lippen. Unter der Furcht in den flinken kleinen Augen wurden Bonnie die Knie weich.

      »Jetzt möchte ich nur wissen, wessen Blut das ist«, stieß die Gräfin mit brüchiger Stimme hervor und klammerte sich an den Arm ihrer angeheirateten Großnichte.

      Zwei Minuten später schoben sie sich an Brutus vorbei, der neben der Stalltür stand und mit weit offenen Nüstern ins Innere witterte. Quentin in seinen weißen Pumphosen lag in den Trümmern der Pferdebox auf dem blutgetränkten Stroh, das Gesicht ihnen zugewandt, die Lider halb geschlossen. Sein Hinterkopf war nur mehr eine blutige Masse aus Knochen, Haaren und Hirn.

      2

      »Um Himmels willen, nun lassen Sie doch endlich die Discobeleuchtung abstellen. Die Neugierigen kommen schon von der Landstraße auf den Hof gefahren.« Gräfin Wilhelminas Stimme zitterte noch immer, aber der Cognac hatte den grauen, eingefallenen Wangen wieder einen rötlichen Schimmer verliehen. Helenes Versuch, ihn ihr wie Hustensaft auf einem Löffel einzuflößen, war allerdings an den tödlichen Blicken der Gräfin gescheitert. Die Warnlampen von drei Polizeiwagen und zwei Ambulanzen rotierten auf dem Gutshof durch die Dunkelheit des angebrochenen Abends. Ein paar Neugierige sammelten sich schon unter dem efeubewachsenen Torbogen und tuschelten aufgeregt miteinander. Vorbeikommende Autofahrer traten angesichts des vielversprechend dramatischen Anblickes abrupt das Bremspedal durch. Ein Motorradfahrer jagte heran und geriet in gefährliche Bedrängnis, als der Opel vor ihm zu stoppen versuchte. Ein Unfall schien vorprogrammiert.

      Wenigstens hatte der Regen aufgehört.

      Gräfin Wilhelmina stieß sich von der Fensterbank ab und sank seufzend in ihren Lehnsessel zurück. Bonnie hockte mit angezogenen Beinen auf dem Kanapee und zitterte in der Wärme des prasselnden Kaminfeuers. Ein schmächtiger Polizist stand an der Tür des Damensalons und ließ den alten Mann nicht aus den Augen, der, vornübergebeugt auf einen Stock gestützt, in einem der ächzenden Rokoko-Sesselchen saß und Gräfin Wilhelmina ruhig ins Gesicht blickte. Eine Handbewegung, beinahe wie nebenbei, und der Polizist schlüpfte auf den Korridor hinaus, und zehn Sekunden später erlosch im Hof die Illumination. Nur aus der offenen Stalltür fiel noch ein Lichtschein auf das Pflaster. Im Halbdunkel neben der Tür war Brutus an einem eisernen Ring angebunden und wurde von zwei Polizisten aus sicherer Entfernung misstrauisch bewacht. Etwas weiter, auf Höhe von Malermeister Strucks Lagerraum, ließen sich gerade noch die dunklen Umrisse einer schwarzen Limousine nebst ihres geduldig wartenden Chauffeurs erkennen. Er lehnte an der Fahrertür, und ab und an glomm die Glut seiner Zigarette auf.

      Der schmächtige Polizist huschte ins Zimmer zurück und sah mit sich zufrieden aus.

      »Ein tragischer Unfall, Mina.« Die Stimme des kahlköpfigen alten Herrn klang ruhig, auch wenn das betagte Alter sie ein wenig krächzen ließ. Er mochte schon an die neunzig sein, und die Auffälligkeit seiner Züge stand der der Gräfin in nichts nach. Eingefallene Wangen, aufgeworfene Lippen und eine kurze breite, ausgesprochen schiefe Nase, die darauf schließen ließ, dass er irgendwann in seiner stürmischen Jugend leichtfertig die Deckung gelüftet hatte, als eine Faust auf sein Gesicht zuschoss. Auf der Nasenwurzel hockte eine Schildpattbrille mit fingerdicken Gläsern, die seine Augen grotesk vergrößerten. Er trug einen schwarzen, maßgeschneiderten Anzug, und der Knoten seiner Krawatte saß tadellos.

      »Noch einmal, mein aufrichtiges Beileid.«

      »Danke, Anton.«

      »Doktor Helming glaubt, dein Großneffe habe schon nach dem ersten Huftritt das Bewusstsein verloren. Wenn es dir ein Trost ist, er musste nicht weiter leiden. Der Tod trat rasch ein. Quentin von Storkenburg ist friedlich gestorben.«

      Friedlich, dachte Bonnie fassungslos und versuchte das Klappern ihrer Zähne einzustellen. Friedlich mit eingeschlagenem Kopf. Was für ein schöner Tod.

      »Ich möchte ihn so schnell wie möglich begraben. Wann, Anton? Übermorgen? In drei Tagen?«

      Bonnie schnappte nach Luft.

      Der Alte wiegte bedächtig seinen kahlen Kopf und streifte den schmächtigen Polizisten auf der Türschwelle mit einem scharfen Blick. Die verschnörkelte Rosenholztür klappte leise zu, die Stelle auf der er eben noch gestanden hatte, verwaiste zum zweiten Mal an diesem Abend.

      »Das ist heutzutage etwas komplizierter als zu unseren Zeiten, Mina. Natürlich war der Tod deines Großneffen nur ein unseliger, bedauernswerter Unfall. Allerdings steht der neue Pathologe im Spital zum Heiligen Jacobus in dem Ruf, ein sehr gewissenhafter, penibler Mensch zu sein. Wie du weißt, hat sich sein Vorgänger, der alte Kramer, nun endgültig berenten lassen. Er sagt, er will nie wieder erleben, dass sich eine Leiche auf einer seiner Rolltragen plötzlich aufsetzt und zu sprechen anfängt. Es war natürlich nur einer der Krankenhauspfleger, der in der Pathologie sein Nickerchen gehalten hat, aber der alte Kramer kann seitdem das Zittern seiner Hände nicht wieder abstellen. Und der Neue - wie gesagt ... Es ist ein unglücklicher Zeitpunkt, Mina.«

      »Papperlapapp! Der Junge verdankt seinen Tod zwar seiner eigenen, dummen Trotteligkeit, aber ich werde trotzdem zu verhindern wissen, dass man ihn wie ein geschlachtetes Schwein aufschneidet und ausweidet. - Ach herrje! Anton, würden Sie meiner Großnichte bitte Cognac nachschenken? Vielen Dank, sehr aufmerksam. Kind, trink aus und geh zu Bett. Was getan werden muss, kannst du getrost mir überlassen.«

      Bonnie hielt sich an dem bauchigen Glas fest und schluckte gegen das Würgen an. Schreckte die alte Schachtel denn vor nichts zurück?

      »Nun, Bonita? Tu, was ich dir sage. Es geschieht zu deinem Besten.«

      Bonnie schüttelte nur heftig den Kopf. Sprechen konnte sie nicht. Sobald sie den Mund öffnete, würde sie den beiden Alten, die da so unverschämt über ihren Kopf hinweg bestimmten, als sei sie ebenfalls gestorben, den Eintopf vom Mittagessen auf die Füße spucken. Aber selbst, wenn sie der nachdrücklichen, gräflichen Aufforderung hätte folgen wollen, gehörten zur Ausführung der Absicht noch immer zwei stand- und schrittfeste Beine. Ihre waren aus Wackelpudding und bis auf Weiteres unbrauchbar. Die Gräfin und der Besuch blickten sie unter zwei paar erwartungsvoll hochgezogenen Augenbrauen an. Was?, dachte sie voll Hass. Soll ich euch dafür, dass mich endlich mal jemand beachtet in diesem Zimmer, um die dürren Hälse fallen? Dankbar dafür, dass ihr mich für eure obskuren Absprachen aus dem Weg haben und wie ein Kind zu Bett schicken wollt?

      Sie konnte sich nicht einmal daran erinnern, von diesem Anton, der zur Gräfin Mina sagen durfte, ein paar kondolierende Worte gehört zu haben. Der Gräfin gegenüber schon, aber sie, die Witwe desjenigen, um den sie eben so unverfroren feilschten, hatte sich mit einem feuchten Händedruck und einem auf trübsinnig verdunkelten Blick begnügen müssen. Herausfordernd, auf der brüchigen Kante ihrer Fassung balancierend, streckte sie Kinn und Unterlippe vor. Mit mir nicht! Nicht so!

      »Wie du willst.« Gräfin Wilhelmina wandte ihre kalten Augen von ihr ab, sah den alten Herrn wieder an und hob fragend die Augenbrauen.

      »Es ist spät, Mina. Wir sollten uns morgen in Ruhe darüber unterhalten.« Er stützte sich mit beiden Händen auf dem silbernen Knauf seines Stockes ab und stemmte sich mühselig in die Höhe. »Zeit, dass ein alter Mann wie ich ins Bett kommt.« Er verzog die dicken Lippen zu einem resignierten Lächeln.

      »Nein, Anton, nicht morgen. Jetzt! Ich werde keinen Pathologen in die Nähe des Jungen lassen, ob mit oder ohne deine Hilfe. Das Bestattungsinstitut Noblesse wird sich um ihn kümmern, und damit ein für alle Mal. Basta! Morgen früh wähle ich in der Stadt den Sarg aus, und in spätestens drei Tagen setzen wir Quentin in der Familiengruft bei. Seinem Titel und Stand entsprechend. Der Arzt soll mir den Totenschein ausstellen. Sofort! Und schick endlich die Sanitäter und Polizisten nach Hause, es gibt hier nichts mehr für sie zu tun.«

      »Du überschätzt meinen Einfluss, liebe Freundin.«

      »Nein. Ich kenne das Ausmaß deines Einflusses nur zu genau. Die Erfüllung meines Wunsches kostet dich nicht mehr als ein Fingerschnippen. Aber vielleicht reizt es dich auch, mir diesen Gefallen abzuschlagen. Nun?«

      Der