Ich, Sergeant Pepper. Fred Reber

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Название Ich, Sergeant Pepper
Автор произведения Fred Reber
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742781635



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auf.

      Während er sich über den angeblich jugendge-fährdenten Schund aufregte, ließ Julia das Heft einfach nicht los, und ich musste mit ansehen, wie in dem vierhändigen Gezerre Johns Gesicht auf dem Titelbild zerfetzt wurde.

      »Herr Hofer, Sie greifen in meine Persönlichkeitsrechte ein«, sagte Julia bestimmt.

      Der Lehrer ließ sie stehen und verschwand im Schulgebäude.

      »Die traut sich was«, wisperte Willi mir zu, als er näher gekommen war.

      Von da an begleitete ich Julia jeden Morgen zu ihrem Klassenzimmer. Ich war mächtig stolz auf sie, dass sie so mutige Sachen sagte. Jeder sollte sehen, dass sie meine Freundin war. Mir egal, dass die anderen Mädchen darüber blöd kicherten, meine Kameraden mich damit aufzogen. Es dauerte eine Zeit, bis ich begriff, was sie mit den beiden Wespenstichen meinten, die ich mir von Julia zeigen lassen sollte.

      Meinen ersten Auftritt hatte ich in unserem Wohnzimmer. Während Oa den Tisch beiseite schob und es sich auf der Couch bequem machte, schlüpfte ich oben in meinem Zimmer in die Pepperjacke, setzte das Drahtgestell auf, strubbelte meine Haare und klebte mir den künstlichen Schnauzer unter die Nase, den Oa mit mir in einem Geschäft gekauft hatte, das Faschingsartikel führte. Dann fegte ich die Treppe herunter und schrie aus vollem Hals: »Sie liebt dich, yeah, yeah, yeah, sie liebt dich, yeah, yeah, yeah, denn nur mit dir allein, kann sie glücklich sei-ei-ei-ein …«

      Ich war froh, dass die Beatles im Radio manchmal auch deutsch sangen, das machte sie Oa sympathischer. Über das ganze Gesicht strahlte sie und applaudierte.

      Seit einigen Wochen lernte ich in der Schule Englisch. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, wie sehr sich das hinzog. Die meisten Wörter der Beatlestexte, die auf der Pepperhülle standen, konnte ich in meinem Buch nicht einmal finden. Mir war klar, dass ich so bald auch unsere Amis nicht verstehen würde. Unsere Amis. So nannte Oa sie und verdrehte die Augen, wenn ein Düsenflieger vom Wald herüberdonnerte und über unser Haus und die Allee in Richtung Stadt jagte. Was sie noch sagte, konnte ich bei all dem Getöse nicht verstehen. Oa bangte immer um unsere Fensterscheiben und um die Gläser im Küchenschrank, die vibrierten.

      Unsere Amis lebten auf der anderen Seite des Waldes. Wo genau das war, wusste ich nicht. Weiter als bis zum Fluss am Waldrand ging Oa nie mit mir. Allein und heimlich in den Wald traute ich mich dann doch nicht. Ich wollte unsere Amis nicht provozieren, hatte Angst, sie würden dann auch über unseren Garten, die Wiesen und die Allee Napalm abwerfen. Im Fernsehen taten sie das fast jeden Tag.

      Ich nahm mir vor, es irgendwann einmal herauszufinden, was unsere Amis jenseits vom Wald trieben. In die Richtung ging ich zur Schule. Eines Tages würde ich mutig genug sein und einfach weitergehen.

      Sobald ich jedoch in die netten, offenen Gesichter unserer Amis sah, verlor ich meine Angst. Ich begegnete ihnen im Parkcafé, wo ich mir ein Eis in der Waffel kaufte, am häufigsten allerdings im Plattenladen.

      Oa und meine Mutter war es gar nicht recht, wenn ich dort meine Zeit verplemperte. Sie hätten es gerne gesehen, wenn ich mich mehr mit den Jungs aus meiner Klasse angefreundet hätte. Doch die interessierte nur das Gebolze mit dem Fußball. Der Einzige, mit dem ich mich gut verstand, und der sich auch nichts aus Fußball machte, war Willi. Er wohnte jenseits der Allee, in der Siedlung hinter dem Hügel und steckte seine Nase immerzu in Bücher. Vor allem in die von Jack London. Während er in der Stadtbücherei nach einer neuen Abenteuergeschichte suchte, hörte ich in der Tonkabine des Plattenladens die neuesten Scheiben. Manchmal kam Julia mit.

      Sobald ich von dem Geld, das Oma und Opa Neumann mir zusteckten, wenn ich sie nachmittags ab und zu besuchte, ein paar Mark zusammengespart hatte, gab ich es für eine Single der Beatles aus. Das Schlimme war nur, dass viel schneller eine neue Platte erschien als ich Geld bekam.

      Wichtiger als Oa

      Juli 1969

      Als Astronaut würde ich Oa nicht beeindrucken. Sie saß mit mir vor dem Fernseher und ich war enttäuscht darüber, dass sie sich beim Gequatsche der Männer im NASA-Hauptquartier langweilte. »Willst du das wirklich die ganze Nacht sehen?«

      »Hab doch morgen schulfrei«, sagte ich und versuchte meine Müdigkeit zu verbergen.

      Ich verstand ja nicht, warum da im Fernseher nichts weiter passierte. Die Mondfähre war vor einer halben Ewigkeit neben einem riesigen Krater in den Staub gesunken, doch dieser Armstrong kam einfach nicht heraus.

      Immer wieder sah Oa zur Uhr. Schließlich erhob sie sich mühsam von der Couch und ging zum Fenster. »Wenn sie nur anrufen würde«, sagte sie und mir wurde klar, dass sie wegen meiner Mutter so ungeduldig war.

      »Es wird schon nichts passiert sein«, sagte ich.

      Seit meine Mutter für Robert Staudte arbeitete, kam sie immer ziemlich spät nach Hause.

      Oa wollte das nicht akzeptieren. Sie wies meine Mutter immer wieder darauf hin, dass Robert Staudte verheiratet und seine Frau obendrein schwer krank war. Und dass sich die Leute das Maul darüber zerreißen würden. Meine Mutter hatte nur mit den Schultern gezuckt.

      Ich hatte Robert Staudte noch nie gesehen. Trotzdem war er mir irgendwie sympathisch, seit ich mitbekommen hatte, dass er meine Mutter am Telefon zum Lachen brachte.

      »Du kannst mich ja wecken, wenn sich da noch etwas tut«, sagte Oa, wandte sich vom Fenster ab und ging hinauf.

      Ich nickte, ohne die grieseligen, grauen Schatten im Fernseher aus den Augen zu lassen. Irgendwann musste ich eingedöst sein. Ich fuhr hoch und sah sofort den Schatten an der Ausstiegsluke.

      Ich raste im Dunkeln die Treppe hinauf, stieß Oas Kammertür auf, tastete nach dem Schalter, fand ihn nicht auf Anhieb und rief: »Jetzt geht es los.« Es kam kein Laut zurück. Als das Licht brannte, beugte ich mich über Oa, um ihr die silbergraue Locke aus der Stirn zu pusten, wie ich es früher immer getan hatte, wenn ich bei ihr schlafen durfte. Auch darauf reagierte sie nicht. Ich berührte ihren Arm und stupste ihn mehrmals. »Kannst du nicht aufstehen? Wegen deinem Rücken?« Sie habe letzte Nacht deswegen kaum ein Auge zugetan, hatte sie mir gesagt. »Soll ich den Doktor anrufen?«, flüsterte ich. »Oa?« Ich geriet in Panik, stürmte die Treppe wieder hinunter. Als die hektischen Stimmen in mein Bewusstsein drangen, vergaß ich, was ich tun wollte und ging wie hypnotisiert zum Fernseher. Darin sah ich Staub aufwirbeln, einen Schatten, der sich staksig vorwärts bewegte.

      Draußen fuhr ein Wagen vor, der Kies knirschte, dann ging die Haustür und meine Mutter kam zu mir. »Warum stehst du denn da?« Sie nahm mein Kinn, ich wehrte ihre Hand ab. »Sag mal, du schwitzt ja.« Sie fühlte meine Stirn. »Wenn du dich da so reinsteigerst, machen wir das aus.« Sie nahm mir die Sicht, und ich machte einen Schritt zur Seite, schließlich sagte sie: »Wollte Oa das nicht sehen?«

      »Ja, schon, aber sie kann nicht.«

      »Sie kann nicht? Was ist denn mit ihr?«

      Ich starrte weiter in den Fernseher. »Sie hat sich nicht bewegt, als ich sie wecken wollte«, sagte ich leise. »Es ist wieder ihr Rücken.«

      »Was heißt, nicht bewegt, Patrick?« Meine Mutter hastete zur Treppe. Ich schämte mich dafür, dass mir die Mondlandung wichtiger als Oa war. Ich ging zur Treppe, sah hinauf, horchte, und ich zuckte zusammen, als Mutter an der Balustrade auftauchte, mit einem Gesichtsausdruck, der mir Angst machte. Etwas drückte gegen meinen Magen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, fing zu zittern an und verkrampfte mich. Als Mutter wie in Zeitlupe einen Fuß nach dem anderen auf die Stufen setzte, dabei eine Hand nach mir ausstreckte, wich ich zurück, warf mich herum und raste aus dem Haus. Ich stolperte durch den Garten, an Mutters Ente vorbei, hinauf zum Hügel zwischen Zaun und Waldrand, wo ich mich auf dem bemoosten Boden niederließ, auf den Vogel konzentrierte, der vom Gartenzaun in das Gestrüpp der Brombeersträucher hüpfte, bevor er in die klare Luft aufstieg. Aus dem Wald kroch der Morgen hervor und über den Fichten und Tannen verblasste der Mond.

      Wie es den Astronauten jetzt wohl erging? Mein Herz klopfte heftiger, als ich zwischen den Sträuchern