Anne und die Horde. Ines Langel

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Название Anne und die Horde
Автор произведения Ines Langel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738051940



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sie hier.“ Er wies auf die Wand hinter seiner Theke. „Dies hier ist mein Stammbaum.“

      „Sehr beeindruckend“, sagte Mama.

      Den Rest nahm Anne nicht mehr wahr, sie hatte den Durchgang erreicht und blickte in den anderen Raum. Zuerst war sie enttäuscht, sah er doch auf den ersten Blick genauso aus wie der, in dem Mama sich gerade mit der Adlernase unterhielt. Doch bei näherem Hinsehen sah sie im hinteren Teil, dort wo es keine Fenster gab, ein Glimmen, schwach nur, aber deutlich sichtbar. Neugierig geworden, ging sie darauf zu, bis ihr ein Bücherregal den Weg versperrte. Als sie dahinter blickte, sah sie zu ihrer Verblüffung einen großen Vogel, der auf einem kleinen roten Sofa saß. Der Vogel war grün und das Sofa gerade groß genug, dass der Piepmatz darauf Platz fand. Verdutzt blieb Anne stehen. Auch der Vogel schien überrascht zu sein. Das Glimmen, das Anne zwischen den unteren Etagen des Bücherregals wahrgenommen hatte, kam von keiner elektrischen Lichtquelle, sondern von Zeichen, die auf den Boden gemalt worden waren. Kreisrund um das Sofa herum waren sie angeordnet. Anne hatte noch nie in ihrem Leben so etwas gesehen. Sie ging näher an den Kreis heran und hockte sich hin. Vorsichtig berührte sie eines der Zeichen mit ihrem rechten Zeigefinger. Schlagartig ging ein gleißendes Licht von dem Kreis aus. Anne erschrak. Sie riss ihre Hand fort und robbte zurück, bis sie mit dem Rücken an das Bücherregal stieß. Das Licht war erloschen, Anne konnte nichts sehen. Vor ihren Augen tanzten bunte Lichtpunkte.

       Was war das?

      Mit dem Handballen rieb sie die Augen. Als sie ihre Umgebung wieder betrachten konnte, sah sie, dass sich nichts verändert hatte. Nur der Vogel war von seinem roten Sofa gesprungen und stand nun direkt vor den Zeichen. Er sah Anne in die Augen. Dem Mädchen lief es kalt den Rücken runter. Der Vogel schabte mit seinen großen Krallen auf dem Boden. Anne beobachtete die Bewegung, dann nickte der Vogel ihr zu. Verständnislos runzelte sie die Stirn. Sogleich fing der Vogel wieder an zu schaben. Anne rückte ein bisschen näher heran. Der Vogel nickte. Langsam streckte sie die Hand nach dem Tier aus. Der Vogel beobachtete sie stumm. Als sie kurz davor war, das Gefieder zu berühren, zog sie erschrocken die Hand zurück. Anne hätte nicht sagen können warum, doch eine Eingebung sagte ihr, dass sie das Tier auf keinen Fall berühren durfte. Der Vogel schlug aufgebracht mit seinen Flügeln. Anne rannte davon, zurück in den anderen Raum zu Mama, die immer noch seelenruhig mit Herrn Merymend redete. Das Thema Familienstammbaum hatten die beiden abgehakt. Inzwischen war der große Mann dazu übergegangen, Bücher vor Mama aufzutürmen. Anne nahm ihre Mutter bei der Hand. Ihr Herz klopfte und sie wollte so schnell wie möglich hier weg. Mama wandte sich ihr zu.

      „Und Maus? Hast du was Schönes gefunden?“

      Anne schüttelte den Kopf. Merymend warf ihr einen prüfenden Blick zu.

      „Sieh mal“, Mama zeigte ihrer Tochter ein Buch.

      MOMO war auf dem Einband zu lesen.

      „Möchtest du das mitnehmen? Herr Merymend sagt, dass es hervorragend wäre.“

      Anne sah sich das Buch genauer an. Mama erzählte gerade, was sie vom Ladeninhaber über das Buch gehört hatte. Anne musste zugeben, dass die Geschichte sehr spannend klang.

      „Ja, gerne“, sagte sie deshalb.

      Mama war zufrieden, und Herr Merymend nahm das Buch mit einem Kopfnicken entgegen, bevor er es in eine Papiertüte packte.

      „Du wirst es nicht bereuen, Kleines“, sagte Herr Merymend mit einem Lächeln, das Anne unheimlich vorkam.

      „Bestimmt nicht“, sagte Mama, bevor Anne antworten konnte. „Wir nehmen erstmal das eine und kommen dann bei Bedarf wieder her. Ich bin schon lange nicht mehr so freundlich beraten worden.“

      „Aber, aber, Gnädigste“, sagte Merymend und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das ist doch selbstverständlich.“

      „Nein, nein“, meinte Mama, „nicht jeder gibt sich so viel Mühe.

      Einer Eingebung folgend rief Anne zwischen die Lobhudelei: „Haben Sie ein Buch über Vögel?“

      „Vögel?“, fragten Mama und Merymend gleichzeitig.

      Anne nickte. „Ja, Papageien.“

      Merymend zuckte kurz zusammen, doch Mama sah ihre Tochter nur fragend an.

      „Wegen meiner Forschung“, meinte Anne und Mama lachte.

      „Forschung?“, fragte Merymend argwöhnisch.

      „Ja“, antwortete Mama, „Anne wird Forscherin wenn sie groß ist, da muss sie sich jetzt schon bilden.

      Merymend nickte. „Ich habe da allerlei.“ Sogleich verschwand er in der Regalschlucht. Nach einigen Augenblicken kam er mit drei kleinen und einem großen Buch zurück.

      „Sind in dem großen Bilder?“, fragte Anne.

      „Man soll ein Buch nicht nach seinen Bildern beurteilen“, sagte Merymend und sah Anne geringschätzig an.

      „Ich möchte aber auch sehen, worüber ich lese.“

      Mama nickte. „Ja, wir nehmen das Buch mit den Bildern.“

      Merymend legte die kleinen Bücher beiseite und packte das große in eine neue Papiertüre. Er reichte sie Anne. Überrascht von dem Gewicht, hätte sie die Tüte fast fallen gelassen.

      „Schwere Lektüre“, sagte Merymend.

      Er sah Anne so durchdringend an, dass sie den Blick senkte.

      „Nicht für meine Anne“, sagte da Mama. „Wenn sie an etwas interessiert ist, zeigt sie richtigen Entdeckergeist.“

      „Gewiss, Gnädigste“, sagte Merymed, „die eigenen Kinder sind immer die besten“.

      Mama kicherte, streichelte Anne über den Kopf und bezahlte. Dann reichte sie dem Buchhändler die Hand.

      „Vielen Dank, Herr Merymend. Wir werden Ihnen berichten, wie das Buch war, dass sie so wärmstens empfohlen haben.“

      Nur widerwillig ergriff Merymend die dargebotene Hand.

      „Ich danke Ihnen, Teuerste. Bitte beehren Sie mich recht bald wieder, und bringen Sie diesen Fratz da mit.“

      Damit warf er einen letzen Blick auf Anne, einen Blick der sagte: „Bleib bloß weg von hier, du Kröte “.

      Anne schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. Mama winkte noch mal Herrn Merymend zu, dann ging sie zur Tür. Ihre Tochter lief schnell hinterher. Sie wollte auf keinen Fall allein an diesem Ort bleiben, nicht eine Sekunde. Als die Türe hinter ihnen krachend ins Schloss fiel, atmete Anne erleichtert auf.

      Der Kakapo

      Als Mama am Abend mit Papa über den wundervollen Buchladen und den interessanten Herr Merymend redete, fragte sich Anne, ob sie mit Mama im selben Laden gewesen war. Sie hatte überhaupt nichts Wundervolles entdecken können. Der Laden war unordentlich und ziemlich schäbig, kein Vergleich zu der großen, von Licht durchfluteten, Buchhandlung, zu der sie vor dem Umzug immer gegangen waren. Herrn Merymend konnte man durchaus als interessant bezeichnen, allerdings beschrieb Mama ihn so, als gäbe es weit und breit keinen zuvorkommenendern, höflicheren, gebildeteren, besser aussehenden Mann als ihn. Anne fragte sich ernsthaft, ob ihre Mutter den Verstand verloren hatte. Sonst ließ sie sich nicht so schnell beeindrucken. Sie war keine dumme Frau, sie hatte Psychologie studiert und kannte sich aus mit den Menschen. Es war schwer, ihr etwas vorzumachen. Ausgerechnet auf diesen Merymend musste sie hereingefallen. Darüber würde Anne noch nachdenken müssen. Aber erst mal hatte sie genug zu tun mit den Rätseln, die sich plötzlich vor ihr auftaten wie ein schwarzes Loch: Das haarige Ding unter ihrem Bett, die Erdnüsse, die steinerne Frau mit Hut, der unheimliche Laden, der Vogel, der Kreis, das Licht… Und dann natürlich dieser undurchschaubare Herr Merymend, für den Mama so schwärmte. Konnte es sein, dass es in diesem Durcheinander von Dingen eine Ordnung gab, womöglich einen Zusammenhang?

      Nach