Anne und die Horde. Ines Langel

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Название Anne und die Horde
Автор произведения Ines Langel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738051940



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ihn im letzten Spanienurlaub im Schaufenster gesehen und gewusst, dass sie ihn haben musste. Es war nicht einfach nur ein Kompass. Auf der Rückseite befand sich auch eine ausklappbare Lupe.

      „Was willst du denn damit?“, hatte Papa sie vor dem Laden gefragt.

      „Ich brauche ihn für meine Safari“, hatte Anne gemeint. „Jeder Zoologe hat einen Kompass. Ach bitte, Papa! Bitte!“

      Ihr Vater hatte gelächelt und ihr tatsächlich den Kompass geschenkt. Seitdem war kein Tag vergangen, an dem Anne nicht mit dem Kompass unterwegs war. Nur in die Schule nahm sie ihn nie mit. Sie hatte zu viel Angst, er könnte ihr geklaut werden.

      Anne begann mit der Suche natürlich in ihrem eigenen Zimmer, denn hier war das haarige Ding zuerst aufgetaucht. Akribisch suchte sie jeden Winkel ab, blickte überall drunter und sah auch in den Schränken nach. Doch sie wurde nicht fündig. Das einzige, was sie fand, waren Wollmäuse.

      Als sie sich sicher war, dass sich nichts und niemand in ihrem Zimmer versteckten, verließ sie es, zog die Türe zu und versiegelte es mit gelbem Allzweckklebeband. Hier war sie fertig. Sie ging als nächstes in Swontjes Zimmer. Sie hasste Swontjes Zimmer, doch wenn sie gründlich sein wollte, musste sie auch hier suchen. Ihr Bruder war zwölf, fast dreizehn, doch sein Zimmer sah aus, wie das eines Erwachsenen. Alles hatte seinen festen Platz, nichts lag auf dem Boden, es hing keine Wäsche über dem Stuhl. Die Bücher standen nach Größe sortiert auf den Regalbrettern und seine Starwars-Sammelfiguren waren immer abgestaubt. Anne verzog angewidert das Gesicht. Wie konnte man nur so ordentlich sein? Ihr Zimmer war dagegen ein Schlachtfeld. Mama neckte sie deswegen oft, gerade dann, wenn Anne etwas suchte.

      „Wenn du mehr Ordnung hieltest, müsstest du nicht so viel suchen. Ordnung ist das halbe Leben, Anne.“

      Es lief ihr eiskalt den Rücken runter bei dem Gedanken, dass dies stimmen könnte. Wenn Ordnung das halbe Leben war, dann machte die andere Hälfte auch schon keinen Spaß mehr. Papa hatte ihr am Tag des Einzugs ein Türschild geschenkt.

      „Annes Räuberhöhle. Bitte anklopfen“, stand darauf.

      Anne hatte es gar nicht lustig gefunden, vor allem weil ihr Bruder ein Schild mit der Aufschrift „Swontjes Studierzimmer. Bitte Ruhe.“ bekommen hatte.

       Studierzimmer, dass ich nicht lache!

      Swontje verbrachte doppelt so viel Zeit mit Rollenspielen am PC, als mit seinen Hausaufgaben.

      „Warum darf Swontje einen Computer im Zimmer haben und ich nicht?“, hatte sie bei Papa gejammert.

      „Weil Swonje ihn ab jetzt für die Schule braucht. Wenn du in die 5. Klasse kommst, bekommst du auch einen Computer für dein Zimmer, versprochen.“

      Anne fand das ungerecht, konnte aber nichts dagegen machen. Sie würde noch ein paar Jahre den Gemeinschaftscomputer im Wohnzimmer benutzen müssen.

      Swontjes Zimmer war schnell durchsucht. Es gab keine Winkel, in denen man sich hätte verstecken können. Anne versiegelte es mit Klebeband, und zog weiter in das Elternschlafzimmer. Dieses Zimmer war für Anne das schönste der ganzen Wohnung. Selbst wenn die Eltern nicht da waren verströmte es eine Aura von Sicherheit und Geborgenheit. Hier nahm Anne sich besonders viel Zeit. Sie schaute in jede Kiste, in jeden Schrank und auch unter das große Bett. Sie fand nichts Außergewöhnliches, nur ein paar alte Fotos. Mama und Papa bei ihrer Hochzeit. Sie nahm die Bilder an sich. Sie würde sie später in Ruhe mit Mama ansehen. Im Wohnzimmer gab es mehr Verstecke, doch auch hier fand sie kein haariges Ding. Der Flur war ein langer Schlauch, hier konnte sich niemand verstecken. In der Küche durchsuchte sie gründlich den Wandschrank. Als sie dort auch nichts fand, wollte sie schon aufgegeben. Nur aus Trotz lugte sie noch in die Küchenschränke. Sie zog jede Schublade auf. Als sie die letzte Schublade aufzog, hielt sie überrascht inne. Auf dem Schubladenboden lagen drei Erdnüsse. Was hatten die da zu suchen? Anne öffnete die Tür zum Vorratsschrank und überblickte das Angebot. Keine Erdnüsse. Sie hatten noch nie Erdnüsse gehabt. Keiner hier im Haus mochte Erdnüsse. Anne legte den Kopf schief und sah sich die Nüsse genauer an. Nichts Ungewöhnliches war zu entdecken, doch sie gehörten eindeutig nicht hierher. Anne nahm die drei Nüsse an sich. Sie würde sie behalten. Sie wusste zwar noch nicht, ob die Nüsse mit dem haarigen Ding in Verbindung standen, doch sie würde es herausfinden. Gerade, als sie in ihr Zimmer gehen wollte, hörte sie den Schlüssel in der Tür. Die Einkäufer waren zurückgekommen.

      „Anne-Maus, wir haben dir was mitgebracht“, rief Mama fröhlich und stand auch schon voll beladen in der Küche. Ihr Blick fiel auf Anne in voller Kampfmontur. Einen Moment war sie wie erstarrt, dann lachte sie laut los.

      „Björn!“, rief sie ihrem Mann zu. „Komm mal gucken und bring den Fotoapparat mit!“

      Noch bevor Papa die Küche betrat, erschien Swontjes Kopf im Türrahmen. Er lachte verächtlich.

      „Mann, was soll denn das sein. Der Nudelroboter?“

      „Haha, sehr komisch!“, sagte Anne und verschränkte die Arme vor der Brust.

      „Swontje, bitte“, sagte Mama. „Das ist doch süß.“

      Mama küsste Anne auf die Wange. Papa kam mit dem Fotoapparat. Er strahlte als er Anne sah.

      „Oh, Anne. Warst du auf Safari?“, fragte er. „Das müssen wir festhalten. Stell dich doch mal ans Fenster.“

      Anne wollte nicht, doch ihre Eltern waren so glücklich, dass sie nicht anders konnte. Sie stellte sich vors Fenster, und sie lächelte breit, obwohl sie vorne eine Zahnlücke hatte.

      Frau mit Hut

      Papa hatte das Foto von Anne auf Safari ausgedruckt und in die Küche gehängt. Für ihn war alles ein großer Spaß. Natürlich glaubte auch Mama nicht, dass ein behaartes Tier Erdnüsse in die Küchenschublade gelegt hatte. Sie sah verwundert auf die Nüsse und meinte:

      „Ich wusste gar nicht, dass du so gerne Erdnüsse isst.“

      „Tue ich ja auch gar nicht. Ich habe sie doch gefunden.“

      „Eigenartig, es isst doch auch sonst niemand Erdnüsse von uns.“

      Triumphierend hielt Anne die Nüsse unter Mamas Nase. Das war der Beweis.

      „Siehst du, ich sage ja, dass hier jemand umgeht.“

      „Und Nüsse verteilt?“, fragte Mama.

      Der skeptische Blick sagte Anne, dass sie verloren hatte. Hier würde ihr niemand glauben.

      „Es gibt bestimmt eine andere Erklärung, als eine riesige haarige Spinne, die in unsere Küchenzeile kriecht und…“

      „Keine Spinne“, rief Anne genervt. Nervös drehte sie die nierenförmigen Dinger in ihrer Hand hin und her. „Ich habe dir doch gesagt, dass es sich um ein haariges…“

      „Ach Anne“, meinte Mama und bekam den „Blick“. So schaute sie immer nur, wenn sie meinte verstanden zu haben, was das eigentliche Problem war.

      „Dir ist sehr langweilig hier nicht wahr?“

      Anne verdrehte die Augen. „Nein, ich…“

      Mama hatte den Kopf schief gelegt und Annes Schulter gestreichelt. Anne wäre am liebsten davongelaufen.

      „Ich verstehe das. Wir sind gerade erst hergezogen, und du hast noch keine Freunde. Die Schule geht erst in fünf Wochen wieder los. Du bist schon ein bisschen einsam, nicht wahr? Ich verspreche dir, dass ich mir was einfallen lasse.“

      Mama hatte Wort gehalten und sich etwas einfallen lassen. Zum einen hatte sie ihrer Tochter eine Dauerkarte fürs nahe Schwimmbad gekauft. Anne sollte so oft hin- gehen, wie sie wollte.

      „Bestimmt wirst du dort schnell ein paar Freundinnen finden.“

      Anne hatte dazu nichts gesagt. Mama meinte es ja gut.

      Zum anderen hatte Mama beschlossen, dass Anne neue Bücher brauchte.