Gefahren - Abwehr. Jürgen Ruhr

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Название Gefahren - Abwehr
Автор произведения Jürgen Ruhr
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742716774



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drehte ich mich um, immer darauf gefasst in die Mündung einer Waffe zu blicken. In Gedanken ging ich alle Arten von Langwaffen durch, die in Frage kommen könnten. Die Berührung fühlte sich ungewöhnlich an. Es musste sich um eine großkalibrige Waffe handeln, vermutlich sogar um eine Schrotflinte. Wer um alles in der Welt lief hier am helllichten Tag mit einer Schrotflinte durch die Straßen?

      Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass sich mein zwangsläufiger Partner ebenfalls umdrehte, wobei er wesentlich sorgloser wirkte als ich. Aber Gisbert war ja auch kein ausgebildeter Detektiv und Personenschützer. Während der Drehung hob ich langsam meine Hände auf Schulterhöhe, um keine voreilige Aktion zu provozieren.

      ‚Privatdetektiv am helllichten Tag von durchgeknalltem Amokläufer erschossen‘, sah ich die Schlagzeile in den Medien schon vor mir. Dann erblickte ich in vielleicht einem Meter Entfernung einen alten, dicken Mann, der sich auf seinen Gehstock stützte.

      Herr Weser.

      Rasch nahm ich meine Hände wieder herunter und schielte zu dem Praktikanten. Gut, der hatte mein Verhalten zum Glück nicht mitbekommen und grinste jetzt den alten Mann freundlich an.

      „Potius sero quam numquam“, gab er immer noch grinsend von sich und blickte dann zu mir herüber: „Lieber spät als niemals“, übersetzte er dann freundlicher Weise und erntete von mir nur ein böses Knurren, gefolgt von einem leisen ‚Oberklugscheißer‘, was Weser aber nicht hören konnte. Ich kannte ja dessen Art und wollte den Alten nicht jetzt schon verärgern.

      Plötzlich drang Wesers Stimme an mein Ohr: „Also, was ist? Sind sie stumm oder sprechen sie unsere Sprache nicht? Ich bin nicht zu Hause. Wollen sie jetzt zu mir oder nicht?“

      Ich fasste mich. Einem ausgebildeten Krav Maga Kämpfer, Privatdetektiv und Personenschützer fällt es nicht schwer, eine Situation von einer Sekunde zur anderen zu erfassen und angemessen zu reagieren.

      „Herr ... Herr Weser, also ich ... ich, also“, begann ich, wurde aber von meinem voreiligen Praktikanten unterbrochen.

      „Guten Tag, Herr Weser. Natürlich wollen wir zu ihnen.“

      Weser beäugte uns misstrauisch. „Wer sind sie überhaupt? Glauben sie denn, es kann jeder so einfach zu mir wollen? Dazu brauchen sie einen Termin. Sind sie von einer Sekte, oder wollen sie mir etwas verkaufen?“

      Bevor Gisbert mir jetzt wieder über den Mund fahren konnte, erklärte ich schnell: „Sekte, also eher ...“

      „Mit Sekten will ich nichts zu tun haben“, unterbrach mich der Alte und hob drohend den Stock, den ich zuvor für eine Schusswaffe gehalten hatte. Aber wie ich als Kämpfer ja wusste, konnte auch ein Stock zur gefährlichen Waffe werden ...

      „Nein, wir sind von keiner Sekte und wir wollen ihnen auch nichts verkaufen“, erklärte Gisbert jetzt und mir gingen zum ersten Mal konkrete Mordgedanken durch den Kopf. Was bildete sich dieser siebzehnjährige Schnösel eigentlich ein? Ich war hier der Chef und er lediglich der Praktikant. Er sollte zuhören, beobachten und lernen und nicht seinem Chef ins Wort fallen. Ein böser Blick von mir sollte Gisbert zur Ruhe bringen. Jetzt konnte er einmal beobachten, wie man mit so schwierigen Menschen wie diesem Herrn Weser umgehen musste.

      „Herr Weser! Wir sind von keiner Sekte und wollen ihnen auch nichts verkaufen“, begann ich meine kurze Erklärung, wurde von dem dicken Alten aber direkt wieder unterbrochen.

      „Ja, das sagte dieser adrette junge Mann schon. Sind sie ein Papagei, dass sie ihm alles nachquatschen?“ Weser lachte meckernd: „Sie in ihrer hellblauen Hose und der grünen Jacke sehen wirklich so aus wie ein Paradiesvogel. Fehlt noch ein Wenig Gelb oder Rot ...“

      „Mein Name ist Gisbert Orbach“, drängte sich der Grünschnabel wieder in den Vordergrund und wagte es sogar dem Alten seine Hand hinzuhalten. Doch jetzt wurde es mir zu viel. Ich drückte seinen Arm herunter und hielt nun meinerseits Weser die Hand hin. „Ich bin es doch, Jonathan Lärpers“, erklärte ich mit einem freundlichen Lächeln. „Von der Detektei Argus.“

      Weser sah mich fragend an, nahm aber nicht die dargebotene Hand. Dann nickte er: „Ja, jetzt erkenne ich sie an dem dämlichen Grinsen. Herr Läkters. Sie haben da aber etwas im Gesicht, was sie ziemlich fremd aussehen lässt ... Und was soll das mit dem Argusauge sein?“

      „Detektei Argus“, erklärte ich und bekam wieder dieses mir bekannte Gefühl, das zwischen Ohnmacht und Wut rangierte. Erleichterung würde mir nur der Tod des Alten verschaffen.

      „Aber können wir nicht erst einmal in ihr Haus gehen? Wir müssen doch nicht alles hier auf der Straße besprechen.“

      Wieder blickte mir Weser ins Gesicht. Es vergingen einige schweigende Minuten, dann schüttelte er den Kopf: „Was wollen sie in meinem Haus? Und außerdem ist das hier keine Straße, sondern ein Gehweg. Was wollen sie überhaupt von mir?“

      Immer noch stand ich mit dem ausgestreckten Arm vor ihm, zog aber schließlich meine Hand zurück. In diesem Moment wollte Weser allerdings danach greifen und meinen freundlichen Gruß erwidern, griff allerdings ins Leere.

      Gisbert, der wohl nur auf diese Gelegenheit gewartet hatte, ließ seine Hand wieder vorschnellen und schüttelte nun seinerseits die Pranke des alten Mannes. „Wir sind wegen ihres Koffers hier“, erklärte er und schwebte jetzt nahe vor dem Punkt, an dem ich ihn niederschlagen würde. Bernd hin oder her.

      „Mein Koffer? Was ist mit meinem Koffer?“, fragte Weser und blickte irritiert von einem zum anderen.

      Gisbert, der sich offensichtlich kein bisschen um das Verhältnis Chef und Praktikant scherte, erklärte nun geduldig: „Ihnen ist doch am Flughafen Düsseldorf ein Koffer abhandengekommen und sie haben unseren Chef, Bernd Heisters, angerufen, dass wir ihnen bei der Wiederbeschaffung behilflich sind.“

      Jetzt war eigentlich der Moment gekommen, in dem ich meinen treuen Revolver zücken und diesen penetranten Praktikanten erschießen sollte. Doch ich hielt mich zurück und verfluchte lediglich im Stillen Bernd, der mir dieses Bürschchen aufgebürdet hatte.

      „Ja, mein Koffer“, vernahm ich Wesers Stimme. „Aber warum kommen sie nicht mit mir ins Haus? Wir müssen doch nicht alles hier auf der Straße besprechen. Warum sagen sie denn nichts, Herr Lumpers? Sie scheinen durch geistige Abwesenheit zu glänzen!“

      „Gehweg“, stieß es aus mir hervor. Eigentlich wollte ich das gar nicht sagen.

      „Gehweg?“, echote Weser fragend und ich nickte: „Gehweg. Nach ihren eigenen Worten ist dies keine Straße, sondern ein Gehweg.“

      Weser nickte und kramte umständlich in seinen Taschen: „Ja natürlich, Gehweg. Wieso reden sie auch immer von Straße, Leppers?“

      Ich stöhnte, während Weser das alte Tor aufschloss, das endlich den Weg zu seinem Haus freigab. Die wild wuchernde Hecke und das Tor machten aus dem kleinen Grundstück den idealen Hochsicherheitstrakt.

      „Nun kommen sie doch endlich herein, ich kann das hier ja nicht ewig aufstehen lassen“, murrte der alte Mann und schloss anschließend hinter uns sorgfältig wieder ab. Sollte jemand versuchen einzubrechen, so würde derjenige sich die Zähne daran ausbeißen.

      Endlich führte Weser uns in das Wohnzimmer. Wieder entrang sich meiner Kehle ein Stöhnen. Seitdem ich das letzte Mal hier gewesen war, hatte sich nichts verändert: Immer noch dominierten die klobigen und aus der Mode gekommenen Eichenmöbel den Raum. Ich blickte mich um. Nein, etwas war anders. Ich rieb mir die Augen. Wesers Fernseher, der auf einem kleinen Schränkchen gegenüber der Sitzecke stand, war damals schon antiquiert gewesen. Jetzt aber prangte an dem Platz ein ziemlich großes Röhrengerät, das schon bessere Zeiten gesehen hatte. Im Zeitalter von Flachbildgeräten, HDTV und curved Fernsehern war das hier eine echte Antiquität.

      Weser bemerkte meinen Blick und meinte stolz: „Ja, da stauen sie, was Lüllers? Das ist ein siebenundzwanzig Zoch Gerät, also neunundsechzig Zentimeter in der Dogalen. So etwas hat nicht jeder ...“

      „Das stimmt“, gab ich zu, „so etwas hat nicht jeder. Heutzutage nicht mehr.“

      Gisbert,