Das Geheimnis der Baumeisterin. Petra Block

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Название Das Geheimnis der Baumeisterin
Автор произведения Petra Block
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847682066



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wollte noch einmal hineinschauen und niemand ahnte, dass darinnen etwas fehlte.

      Überhaupt gestaltete sich das Begräbnis eigenartig. Die Familie Rikeland hatte einen ehrbaren Namen in der Stadt und weit darüber hinaus. Zahlreiche Trauergäste erschienen und der kleine Kirchhof war von Menschen gänzlich überschwemmt. Trotzdem stand Johan einsam an dem offenem Grab. Nur Hegemann gesellte sich zu ihm. Sämtliche Ratsherren waren anwesend, blickten aber allesamt betreten zu Boden und tätigten nicht mehr als die üblichen Beileidsbekundigungen. Insgeheim war jeder froh, dass das unsägliche Anliegen nicht wieder zur Sprache kam und Rikeland anscheinend den schmerzlichen Verlust anderweitig verarbeitete. Die ganze Stadt schien von der eskalierten Ratssitzung zu wissen und die Bürger tuschelten und redeten. Sie taten nur eines nicht, keiner sprach von der Aufklärung des feigen Mordes, niemand fragte, ob er helfen könne. Alle schienen in eine ängstliche Starre verfallen zu sein.

      Nachdem der Pastor seine Rede beendet hatte verschwanden die Menschen so schnell es der Anstand eben noch zuließ. Der Regen tat ein Übriges und vertrieb selbst diejenigen, die vielleicht doch mehr als „mein Beileid“ murmeln wollten. Nur die Brüder Moderitz gaben sich den Anschein von besonderer Betroffenheit und schüttelten Johan, der die ganze Zeit nur still und in sich gekehrt dastand, aufdringlich die Hand. Jokoff sagte: „Du solltest nach Hause gehen und Dich an ein wärmendes Feuer setzen, diese nasse Kälte kann tödlich sein.“

      Rikeland zeigte mit einer einzigen Bewegung, dass er mitbekam, was um ihn herum geschah. Er drosch Jokoff seine Faust ins Gesicht.

      In einer entfernten Ecke des Friedhofes zuckte eine junge Frau ob dieses Schlages zusammen. Es war Agnes Moderitz, die sich nicht näher herantraute. Von der Liebe zu Bernhard Rikeland war ihr nur das Töchterchen Ghese geblieben. Ihre Brüder sollten sie hier nicht weinen sehen. Konnte sie überhaupt noch weinen? Vielleicht; wenn alle fort waren, vielleicht konnte sie dann in aller Stille Abschied nehmen. Völlig durchnässt verbarg sie sich zitternd hinter einem höheren Grabstein. Seit Stunden hockte sie hier und wenn der Regen nicht bald aufhörte und Johan Rikeland nicht nach Hause ging, dann konnte sie sich gleich zu ihrem toten Geliebten legen. Sie begann leise zu husten.

      März 1254 – Der Entschluss

      Genau vier Jahre war es nun her, dass er seinen Sohn begraben musste.

      Ratsherr Johan Rikeland stand auf dem Kirchhof und blickte auf die Grabplatte zu seinen Füßen. Die Freude war nicht in sein Leben zurückgekehrt.

      Hegemann, der nach wie vor zu ihm hielt, hatte inzwischen einen Enkelsohn bekommen. In seinem Hause war immer etwas los. Der Kleine konnte schon prima sprechen und bettelte Onkel „Rike“ immer um eine Kleinigkeit an. Eine Honigwabe, einen Apfel oder ein gekochtes Ei hatte der immer dabei, wenn er zu seinem alten Freund ging. Heute freilich war der dritte Geburtstag des Knaben und unter Rikelands Umhang zappelte das Geburtstagsgeschenk sehr ungeduldig. Ein kleiner Hund versuchte sich aus dem Griff Johans zu befreien.

      Dieser verabschiedete sich im Stillen von seinem Sohn und begab sich schnellen Schrittes in Richtung Neustadt.

      Das Stadtgebiet war gewachsen, neue Bürger hatten sich dort sehr schnell angesiedelt und auch Rikeland und Hegemann bauten sich an einer der Gruben, die zum Hafen führten, neue Häuser aus guten Hölzern. Der Handel florierte, Wismar platzte längst aus allen Nähten und das Kirchspiel, von dem vor ein paar Jahren nur geredet wurde, nahm langsam Formen an. Eine neue Stadtkirche wollten die Bürger errichten, ganz nah bei der Marienkirche sollte sie stehen, der Platz dafür war schon ausgesucht.

      Ach, was sollte es, heute wollte er sich nicht mit Gedanken an Kirchen und derlei Kram befassen. Heute sollte gefeiert werden, und er war auch schon angekommen im Hause des Geburtstagskindes und schritt soeben durch das offen stehende Tor in die Diele. Sofort stürzte ein kleiner Wirbelwind auf ihn zu und bestürmte ihn mit Fragen. „Onkel Rike, was hast Du mir heute mitgebracht? Ist es etwas Großes? Weißt Du, ein Apfel reicht heute nicht, ich habe Geburtstag und möchte etwas ganz Schönes von Dir haben. Was hast Du da unter Deinem Umhang? Hui, es bewegt sich, muss ich davor Angst haben?“

      Der Bursche ging vorsichtig auf Abstand.

      „Nein, nein“, sagte Johan Rikeland, vor dem hier brauchst Du Dich nicht zu fürchten und zog den Welpen hervor. „Schau wie ängstlich er selber ist, angepinkelt hat er mich.“ Er hob das Tierchen hoch und es tropfte immer noch von seinem Bauch herab. „Hier nimm ihn, ich schenke ihn Dir Gottfried, behandele ihn gut und wenn Du lieb zu ihm bist, dann wird er sein ganzes Leben lang ein guter Freund für Dich sein.“

      Gottfried kam vorsichtig näher und sah dem kleinen Hund in die Augen. Dieser nutzte die Gelegenheit und schleckte seinem neuen Herrchen quer über das ganze Gesicht. Der Junge brüllte und Rikeland schlug sich vor Lachen auf die Schenkel.

      „Wie ich sehe geht es Dir gut.“ Arnhold Hegemann war dazugekommen und knuffte ihm freundschaftlich in die Seite.

      „Ach, Du weißt ja“ sagte dieser, „wenn ich Deinen Enkel sehe, dann berührt ein Sonnenstrahl mein Herz, und meine gequälte Seele gibt ein wenig Ruhe.“

      „Das verstehe ich, nie hätte ich gedacht, dass dieses winzige Kerlchen mein Leben so durcheinander bringt. Den werde ich nie mehr hergeben, und die Erbfolge ist natürlich auch gesichert.“

      „Für Dich und die Deinen sieht die Zukunft nicht schlecht aus, was aber ist mit mir? Steht mir nicht auch noch ein wenig Glück zu?“

      „Keinem gönnte ich es mehr als Dir, und was Du auch tätest, solange es gut für Dich wäre, hättest Du meinen Segen.“

      „Dann will ich Dich etwas fragen, aber das braucht hier noch niemand zu hören. Können wir in Deine Schreibstube gehen?“

      Arnhold Hegemann ließ einen großen Krug Bier und zwei Becher in das Kontor bringen und die Männer machten es sich bequem.

      Rikeland begann zu sprechen. „Dir wird nicht entgangen sein, dass ich in den letzten Jahren die Hospitäler der Stadt mit dem versorge, was sie nötig brauchen. Es gibt viele Arme und Kranke, ich kenne all ihre Namen, einen ganz besonders. Im Heiligen Geist Hospital lebt ein Junge, etwa sechs Jahre alt. Er hat niemanden zu dem er Vater oder Mutter sagen kann. Was für ein aufgewecktes Bürschchen er ist, habe ich gemerkt, als er mir kleine Kieselsteine verkaufen wollte und allen Ernstes behauptete, wenn ich sie meinen Hühner ins Futter mengen würde, dann fräßen sie nur noch die Hälfte, aber legten Eier mit härterer Schale.“

      Die Männer lachten und Hegemann stellte fest, dass sein Freund blitzende Augen bekam.

      „Der Bursche beeindruckt Dich wohl sehr?“

      „Mehr als das, und deshalb habe ich beschlossen ihn in mein Haus zu holen.“

      „Einen sechsjährigen Knecht? Du warst doch nie dafür, dass Kinder arbeiten müssen. Deine Entscheidung erstaunt mich.“

      „Der Junge ist kein Leibeigener, und er soll auch nicht als Knecht bei mir einziehen. Ich will ihn an Kindes statt annehmen. Er wird eine gute Ausbildung bekommen und eines Tages meine Geschäfte weiterführen. Der Name Rikeland muss in Wismar weiterleben und in aller Munde bleiben.“

      „Das wird er sicher und meinen Segen hast Du. Es wird allerdings einige geben, die Dir das neue Glück in Deinem Hause nicht gönnen werden. Bleib wachsam.“

      April 1254 – Ghese

      Ghese war verzweifelt.

      Sie zählte noch keine sechs Jahre, aber schon lasteten große Sorgen auf ihren kleinen Schultern. Seit sie denken konnte kränkelte ihre Mutter. Fast täglich ging es ihr schlechter, viele Tage lang kam sie gar nicht hoch von ihrem ärmlichen Strohlager in der Ecke des Schlafraumes, den sie sich mit anderen Kranken im Hospital teilen musste. Ghese wuchs hier auf, sie kannte nichts anderes als Armut, Bettelei und Krankheiten.

      Sicher, es gab auch Bewohner in Sankt Jacob, denen es deutlich besser ging, die schönere Räume bewohnten, gutes Essen hatten und auch im Winter