Das Geheimnis der Baumeisterin. Petra Block

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Название Das Geheimnis der Baumeisterin
Автор произведения Petra Block
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847682066



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von Stein zu Stein. Plötzlich rutschte er aus und fiel etwa sechs Fuß tief in die Baugrube. Es knackte abscheulich und sein Bein baumelte unterhalb des Knies wie ein Lämmerschwanz. Schreiend bekam er noch mit, wie die Arbeiter zusammenliefen, dann schwanden ihm die Sinne.

      Als er wieder zu sich kam, lag er auf einem Bett. Sein Bein steckte zwischen zwei Holzlatten und war mit schmalen Stoffstreifen umwickelt. Es tat höllisch weh, aber Blut konnte er nicht entdecken. Er sah sich um und wusste sogleich wo er sich befand. Hier wuchs er als kleiner Junge auf, bis Johan Rikeland ihn mit nach Hause nahm. Conrad lag im Hospital vom Heiligen Geist. Eine Menge Kranker schlief oder döste um ihn herum. Ein paar Schwestern huschten durch die Gänge.

      Am Ende des Raumes sah er ein Mädchen, das einen Wassereimer trug und anscheinend die Durstigen versorgte. „He“, rief er, „Du, bring mir Wasser, ich will trinken!“ Das Mädchen beachtete ihn kein bisschen. „He“, rief er noch einmal, „ich habe Durst.“ Sie verschwand. Eine Schwester kam, um nach ihm zu sehen und ihm zu sagen, dass sein Vater unterwegs sei, um ihn nach Hause zu holen. „Ich will trinken“, sagte er, „aber das Mädchen hat mich nicht beachtet.“ „Nun ja“, antwortete die Schwester, „das ist Ghese, sie ist wohl so eigenwillig wie Du, aber ein liebes Ding. Sei freundlich zu ihr, dann bekommst Du auch Wasser. Sag ‚bitte’, das hört sie gern.“

      Conrad sah Ghese an diesem Tag nicht wieder, aber ihr flammendrotes Haar, davon fand er eines auf den Laken. Er rollte es zusammen und steckte es ein. Es faszinierte ihn, eine solche Farbe hatte er noch nie vorher gesehen.

      Sein Vater kam und holte ihn ab. Der Pferdekarren rumpelte durch die Lübsche Straße zur Faulen Grube. Es war nur ein kurzer Weg bis nach Hause und Conrad überlegte ob sein schweigsamer Vater wohl sehr wütend auf ihn sei.

      „Wir haben Besuch“, sagte dieser nach einer Weile. „Mein alter Handelspartner Heesten aus Flandern ist bei uns. Du solltest eigentlich mit ihm fahren und das Geschäft einmal von einer anderen Seite aus kennen lernen. Das sollte die Überraschung sein.“ Er sah seinen Sohn streng an, dann musste er schmunzeln. „Ich sehe aber“, meinte er, „dass die Steine Dich nicht gehen lassen. Du kannst nicht ohne sie sein, was? Erzähle mal, wie hast Du Dir Deine Zukunft vorgestellt?“ Johan Rikeland knuffte seinen Sohn zärtlich in die Seite.

      Dieser glaubte kaum was er vernahm. Vater lenkte ein und zwang ihn nicht in das Tuchgeschäft? Sofort fing Conrad an zu erzählen. Es sprudelte nur so aus ihm heraus und Rikeland hörte Begriffe, die er noch nie zuvor gehört hatte.

      „Ich will lernen“, sagte Conrad, „ich muss wissen, wo die Steine wachsen, lass mich studieren und alles über Trauflinien, Wasserschläge und Blendbögen herausbekommen. Worin unterscheidet sich eine Basilika von einem Dom? Was sind Arkaden und Kragsteine? Ich habe schon soviel gehört Vater, aber es reicht mir nicht. Ich will Kirchen bauen.“

      Juli 1262 – Feuer

      Der Tag war anstrengend für die alte Benedicta.

      Ihre Knochen knackten schrecklich und trotz der warmen Nacht fröstelte es sie ein wenig. Sie war zu alt um noch den ganzen Tag auf den Beinen zu sein, immerhin erreichte sie in diesem Sommer ihr dreiundachtzigstes Jahr. So erzählte man jedenfalls, und das, so sagte man auch, sei ungewöhnlich. Nur in der Bibel wurden die Menschen so alt wie Methusalem, und der war viele hundert Jahre alt geworden. Das behauptete der Pastor, und wenn er in der Kirche solche Geschichten predigte, dann sah man sie schon seltsam an und tuschelte hinter ihrem Rücken. Ganz in ihrem Inneren fürchtete sie sich davor immer noch älter zu werden.

      Benedicta lebte in einer erbärmlichen Hütte inmitten der Stadt. Eigentlich klebte die Bude an der Rückwand eines Schweinestalles in der Krämerstraße.

      Sie hätte auch in einem der Hospitäler dahinsiechen können, aber das war nicht ihr Wille. Solange sie kriechen konnte, wollte sie selbst für sich sorgen. Kinder waren ihr nie beschieden, ihr Mann verließ sie deswegen schon früh.

      Vor ein paar Tagen zog ein Quacksalber durch die Stadt und pries lauthals eine Mixtur an, die ein wahres Wundermittel gegen sämtliche Krankheiten sein sollte. Krätze würde sie heilen, Leibschmerzen und Zahnweh. Benedicta hatte ihm vergnügt ihre Zahnstummeln präsentiert und gefragt, ob das Elixier daraus wohl wieder Perlen machen könne. Die Zuschauer auf dem Markt grölten vor Begeisterung.

      Sie hatte ihre letzten Münzen zusammengekratzt und etwas von dem Heilmittel erstanden. Der Kerl meinte, sie solle es warm machen, dann wirke es besonders gut. Also kramte sie einen alten Topf hervor und machte ein kleines Feuer in ihrer Hütte. Die Wärme erfüllte den Raum bald und die Alte massierte ihre müden Beine.

      Als der Nachtwächter vom Hafen durch die Breite Grube kam, sah er einen hellen Schein in der Krämerstraße. Was sollte das bedeuten? Wer machte so spät noch Licht? Er begann zu laufen und riss sich das Horn von der Schulter.

      Feuer!

      So laut er konnte schrie er „Feuer! Feuer!“ durch die Nacht, stieß in das Horn und schlug an alle Haustüren. Die ersten Bürger stürzten auf die Straße. Mit Ledereimern und Feuerpatschen bewaffnet rannten sie zum Haus von Kaufmann Hösick. Von dorther qualmte es fürchterlich und man hörte seine Schweine entsetzlich schreien. Hinter dem Stall brannte es lichterloh.

      Die ganze Stadt lief zusammen, jeder Einwohner war verpflichtet, nicht nur Gerätschaften zur Brandbekämpfung bereit zu halten, sondern auch mit ganzem Körpereinsatz seine Stadt gegen solche Katastrophen zu verteidigen. So bildeten denn die Männer sehr schnell eine Kette und schöpften Wasser aus der Breiten Grube. Eimer um Eimer wurde weitergereicht. Kinder rannten herbei und schleppten die leeren Gefäße zurück zur Grube. Frauen trugen bereits Hab und Gut aus den benachbarten Gebäuden, denn inzwischen hatte das Feuer die Nachbarhäuser erreicht und fraß sich in beide Richtungen die Straße entlang.

      Ganz Wismar geriet in Aufruhr. Wer irgendeine Art von Karren besaß lud seine Habseligkeiten auf und brachte sie fort. Alte Leute jagten Vieh vor sich her, Kinder spannten Ziegen und Hunde an Wägelchen und trieben sie in den Norden der Stadt. Ein höchstens dreijähriger Junge hielt zwei flatternde Hühner in den Händen und rannte mit flinken Füßen zum Hafen. Wasser, das wussten auch die Kleinsten, Wasser war lebensrettend.

      Niemand weinte oder klagte, dafür war jetzt keine Zeit.

      Man hätte es auch nicht gehört, denn aus dem Feuer war inzwischen ein Sturm geworden, der sich mit lautstarkem Gebrüll nahm was er kriegen konnte. Der Wind war in dieser Nacht sein bester Gefährte und trieb die Funken über den Marktplatz. Die Verkaufsbuden flackerten nur kurz auf, dann waren sie weg und die Flammen bissen genüsslich in das Rathaus.

      Die Sommernacht geriet zu einer einzigen Katastrophe. Wismar zerfiel in Schutt und Asche, und was nicht zerbröselt am Boden lag, das trieb der Wind als graue Flocken über das Land.

      Fassungslos hetzten die Menschen an den Stadtrand. Frauen schrien nach ihren Kindern, Vieh brüllte vor Schmerz, nicht jedes Tier hatte gerettet werden können.

      Entsetzt schauten sich diejenigen, die sich zusammenfanden, um. Man erkannte sich kaum. Viele hatten nur ihre Nachtgewänder an und alle waren schwarz wie die Raben. Die Gesichter verschmiert, die Kleidung zerschlissen, arm oder reich, niemand konnte sie auseinanderhalten. Selbst die Frau vom Bürgermeister sah aus, als ob sie aus der Gosse kam.

      Plötzlich knallte es hoch über ihren Köpfen. Als hätte er es ausgesprochen eilig, prasselte Regen in Sturzbächen auf sie herab, Gott hatte endlich ein Einsehen und schickte ein erlösendes Gewitter.

      Die Menschen weinten und gingen, so wie sie waren, in das nächste Gotteshaus. Manche hatten ein Ferkel auf dem Arm und auch der kleine Junge mit seinen Hühnern war wieder da und ließ die Tiere endlich los. Niemanden interessierte es, zu welchem Kirchspiel er gehörte, alle strömten in die Nikolaikirche und auch die Pastoren fanden in seltener Einigkeit zusammen. Man dankte einfach nur seinem Schöpfer.

      Vier Menschen hingen in der Kirche ganz besonderen Gedanken nach.

      Jander und Jokoff Moderitz hatten zwei ihrer Häuser verloren und schielten bösartig zu ihrem